Der nette Nazi von nebenan: Das neue Gesicht des deutschen Rechtsextremismus
Published on
Springerstiefel, Bomberjacke, Baseballschläger und Glatze - so sieht in vielen Köpfen der typische Neonazi aus. Doch schon längst gehen die Rechtsextremisten in Deutschland subtiler vor, um ihre Ansichten zu verbreiten und neue Anhänger zu gewinnen.
Die deutschen Medien bemühen gerne das Klischee des dumpfen „Stiefelnazis“ und übersehen dabei, dass sich die Szene in den letzten Jahren stark gewandelt hat. „Die Zugangsweisen zur rechten Szene haben sich verändert. Die Rechtsextremisten versuchen vermehrt gesellschaftlichen Einfluss auszuüben. Sie treten im Anzug oder normaler Arbeitskleidung auf und sind optisch nicht mehr zu erkennen“, sagt Simone Rafael von der Amadeu-Antonio-Stiftung, die Initiativen der Zivilgesellschaft im Sinne demokratischer Kultur fördert.
Jenseits der alteingesessenen Parteien wie der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD), der Deutschen Volksunion (DVU) oder den Republikanern lassen sich neue Aktionsformen beobachten. In Reaktion auf das Verbot vieler rechtsextremistischer Gruppen in den 1990er Jahren wurden nichtrechtliche Organisationen unter dem Decknamen so genannter „freier Kameradschaften“ gegründet. Diese informellen Verbände hetzen gegen Andersdenkende, indem sie Rechtsrockkonzerte oder Aufmärsche organisieren.
Schwarz statt braun: autonome Rechte
Für die junge Generation von Neonazis ist das jedoch nicht spektakulär genug. Vielmehr kopieren sie als so genannte Autonome Nationalisten den Stil der linken Szene. Kapuzenpulli, Palästinensertuch und globalisierungskritische Transparente - der Rechtsextremist von heute gibt sich alternativ-rebellisch. In ihrem zum „Schwarzen Block“ formierten Auftreten orientieren sich die Rechten an antifaschistischen Gruppen und besetzen linke Symbolik mit völkischem Gedankengut.
Die neue Strategie zahlt sich aus. Unter dem Deckmantel antikapitalistischer Forderungen und Themen wie Tier- und Umweltschutz lassen sich Jugendliche leichter erreichen als mit braunen Sprüchen. Militante Aktionen und gewalttätige Übergriffe auf „politische Gegner“ tragen zur Anziehungskraft bei. Und quasi ganz nebenbei wird die antidemokratische, rassistische und antisemitische Ideologie vermittelt.
Der nette Nachbar - ein Nazi?
Mit ihren Inhalten wollen deutsche Rechtsextremisten die gesamte Gesellschaft erreichen. In puncto Mobiliserung scheint die hiesige Naziszene ihre Hausaufgaben gemacht zu haben. Oft verkaufen sie sich als „Kümmerer“ und „Anwälte des kleinen Mannes“, weiß die Journalistin Rafael weiter zu berichten. Sie nehmen sich beispielsweise sozialer Probleme an. Wurde der Jugendclub geschlossen? Gibt es Probleme mit dem Arbeitslosengeld oder der Kindertagesstätte? Die Rechten haben dort ein offenes Ohr, wo niemand sonst zuhört. Mehr noch: In Regionen, in denen sonst kaum Abwechslung geboten wird, organisieren sie Sommerfeste, Fußballspiele und engagieren sich in Vereinen. So überzeugen die Rechtsextremen von sich in einem unpolitischen Umfeld als nette Nachbarn.
Daneben existieren auch politische Bewegungen, die sich vorgeblich für lokale Interessen einsetzen, indem sie Ängste und Vorurteile schüren. Prominentestes deutsches Beispiel ist die Bürgerbewegung Pro Köln, die mit anti-islamischen Kampagnen einen Moscheebau zu verhindern suchte und 2004 in den Kölner Stadtrat einzog. Auf den ersten Blick oft unbemerkt wollen die Rechtsextremen so ihr rassistisches und nationalistisches Weltbild in der breiten Bevölkerung verankern. Beispielsweise verbirgt sich hinter der harmlos klingenden Bürgerinitiative „Schöner Wohnen in Wolgast“ eine rechte Protestaktion gegen Asylbewerberheime. „Erst gilt es, als normaler Mensch mit den Bürgern in Kontakt zu treten, dann wird enthüllt, was man von Juden und Migranten hält“, erklärt Rafael.
Rassismus
Aus ihrer persönlichen Beobachtung berichtet die Redakteurin, die auch die Homepage netz-gegen-nazis.de betreut, dass die gesellschaftliche Akzeptanz rechtsextremer Akteure in einigen Regionen Deutschlands erstaunlich weit fortgeschritten ist. „Rassistische und antisemitische Äußerungen werden als normal betrachtet. Beratungsinitiativen, die die Bevölkerung sensibilisieren, sind deshalb besonders wichtig“. Im Vorfeld der Bundestagswahl 2009 machten die Rechten in Deutschland mit der Verteilung von CDs und Schülerzeitschriften an Schulen von sich reden. Der Inhalt war so geschickt formuliert, dass er sich in aller Legalität verbreiten lassen konnte.
Laut Simone Rafael gibt es aber auch positive Entwicklungen, etwa in Sachsen, welches bis heute bundesweit die meisten rechtsextremen Gewalttaten verzeichnet: „Mehr Menschen trauen sich inzwischen, offen den Rechten zu widersprechen“. Noch vor einigen Jahren war das Bundesland für so genannte „national befreite Zonen“ bekannt, in denen Jagd auf Jeden gemacht wurde, der nicht ins rechte Weltbild passte.
Der Staat reagiert mit Verboten
Neben dem zivilgesellschaftlichen Engagement bleibt der Staat nicht untätig. Erst 2009 wurden zwei rechtsextreme Vereine verboten. Das „Collegium Humanum“ diente Holocaustleugnern als Anlaufstelle, die „Heimattreue Deutsche Jugend“ (HDJ) organisierte in Zeltlagern die politische Schulung des Nachwuchses. Noch immer existieren Vereine, die als gemeinnützig eingetragen sind und damit Spenden annehmen dürfen. Doch Verbote allein werden nicht helfen. Vielmehr gilt es, den Rechtsextremen im propagierten „Kampf um die Köpfe“ nicht das Feld zu überlassen, sondern mit Hilfe der Zivilgesellschaft das Bewusstsein für die neuen Methoden des deutschen Rechtsradikalismus zu stärken.
Fotos: ©originalpozer/flickr; Autonome Nationalisten ©Meneer de Braker/flickr