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Der Mann als Norm, die Frau als Ausnahme

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Gesellschaft

Alles, was man über französische und deutsche Grammatik wissen muss, lernt man in der Schule? Von wegen.

Es war einmal im Jahre 1676: Dominique Bouhours, ein französischer Jesuitenpriester und Schriftgelehrter, formulierte eine nahezu revolutionäre Formel: „Le masculin l’emporte toujours sur le féminin“ [dt. Das Männliche siegt immer über das Weibliche]. Begründung: „Lorsque les deux genres se rencontrent, il faut que le plus noble l’emporte.“ [dt. Wenn die beiden Geschlechter sich treffen, muss das noblere siegen]. Vater Bouhours ging es jedoch nicht um Verhaltensregeln für das Zusammentreffen von Männlein und Weiblein im realen Leben (da galt die Regel wahrscheinlich ohnehin). Nein, sein Interesse galt der Grammatik.

Französische Grammatik: Die männliche Form hat Vorrang

„335 Jahre nach der sexistischen Sprachreform“ ruft Henriette Zoughebie auf ihrem Blog dazu auf, die Petition ‚Que les hommes et les femmes soient belles‘ [dt. Damit Männer und Frauen schön sind] zu unterschreiben. Als Mitglied des Vereins L’égalité, c’est pas sorcier! [dt. Gleichstellung ist keine Hexerei] hat Zoughebie die Petition mitinitiiert. Für Nicht-Franzosen ist die Empörung angesichts einer jahrhundertealten Grammatikregel zunächst schwer nachvollziehbar. Der Slogan der Petition zeigt, worum es geht: In korrektem Französisch müsste es ‚Que les hommes et les femmes soient beaux‘ heißen, denn bei der Angleichung des Adjektivs hat die männliche Form Vorrang. Das führt dann zu so absurden Situationen, dass, wenn 200 Frauen an einer Versammlung teilnehmen und nur ein Mann, trotzdem die männliche Pluralform ‚ils‘ verwendet wird, wenn man sich auf die Gruppe der Teilnehmer (und Teilnehmerinnen) bezieht.

„Diese Grammatikregel (…) prägt eine Welt der Vorstellungen, in der das Männliche als dem Weiblichen überlegen angesehen wird“, stellt Henriette Zoughebie fest. Sie erinnert daran, dass vor der Reform 1676 die Regel ‚der Nähe‘ [frz. de proximité] galt: Bezieht sich ein Adjektiv auf mehrere Nomen, darf es dem Nomen angeglichen werden, welches ihm am nächsten steht. Clara Domingues, Generalsekretärin von L’égalité, c’est pas sorcier, nennt ein Beispiel: „ ces trois jours et ces trois nuits entières.“ [dt. diese drei ganzen Tage und Nächte]. Da ‚jour’ [dt. Tag] männlich ist, hätte die Angleichung es ebenfalls sein müssen – durch die ‚Regel der Nähe’ hingegen wird an die weibliche ‚nuit’ [dt. Nacht] angeglichen. Die Petition fordert die Wiedereinführung dieser alten Regel.

„Grammatische Forschung mit gesellschaftspolitischer Relevanz“

Dieses doch sehr französische Problem kennt man in Deutschland nicht, hier gibt es schließlich nur eine Pluralform (‚sie‘), die sich sowohl auf Männer als auch auf Frauen bezieht. Trotzdem sind viele Feministinnen der Auffassung, dass die deutsche Sprache Frauen diskriminiert. In einem Interview mit der taz sagt die feministische Linguistin Luise F. Pusch, sie betreibe „grammatische Forschung mit gesellschaftspolitischer Relevanz.“ Sie plädiert dafür, die Artikel frei wählbar zu machen – ‚die Professor‘ zum Beispiel, oder ‚die Kanzler‘. Die deutsche Sprache, davon ist Pusch überzeugt, sei „krank und reparaturbedürftig.“

Die Sache mit den frei wählbaren Adjektiven geht zwar vielen gemäßigten Feministinnen zu weit, den inflationären Gebrauch des generischen Maskulinums stellen aber auch sie in Frage. Das Problem ist folgendes: Das generische und das spezifische Maskulinum (die Bezeichnung für einzelne Jungen und Männer bzw. Gruppen von ihnen) sind meist identisch. Aus Bequemlichkeit wird oft das generische Maskulinum verwendet – ist ja auch einfacher ‚die Schüler‘ zu sagen, als ‚die Schülerinnen und Schüler‘. In einem Artikel für die Standard (der weiblichen Ausgabe des österreichischen Standard) kritisiert Dagmar Buchta: „Die Mehrheit der Reformgegner bringt dann das Argument vor, dass ‚Frauen ja sowieso mitgemeint‘ seien, denn die generischen Sprachformen seien eben identisch mit den maskulinen. (…) Die männliche, als neutral ausgegebene, Sprachform vermittelt also den Mann als die Norm und die Frau als die Ausnahme, die aufgrund dieses negativen Sonderstatus einfach geschluckt und gelöscht werden kann (…).“Feministinnen sprechen von einem ‚male bias‘, also einer männlichen Verzerrung oder Voreingenommenheit. Das ‚Binnen-I‘ gilt vielen als Lösung: In die weibliche Pluralform wird ein großes ‚I‘ eingefügt um anzudeuten, dass es sich um einen gemischten Plural handelt (LehrerInnen, SchülerInnen…). KritikerInnen erkennen hier allerdings einen ‚female bias‘.

Sprache reflektiert gesellschaftliche Verhältnisse

So weit entfernt ist man (und frau) in Deutschland also doch nicht vom französischen Streit um Bouhours Regel. Sprache, da sind sich die Initiatorinnen der französischen Petition und die deutschen feministischen Linguistinnen einig, reflektiert gesellschaftliche Verhältnisse. „Denn Sprache wirkt nach außen, also auf gesellschaftliche Verhältnisse ebenso wie nach innen, auf das Bewusstsein (…)“, schreibt Dagmar Buchta. Einen kleinen Erfolg immerhin haben die deutschen Feministinnen den Französinnen voraus: Bereits in den 1970ern wurde die als diskriminierend empfundene Anrede ‚Fräulein‘ in Deutschland abgeschafft – etwas, wofür in Frankreich noch gekämpft wird.

Illustrationen: Homepage (cc)OperationPaperStorm/flickr; Im Text (cc)Gemma Bou/flickr