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Der lange Weg zu Neuwahlen

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Warum wählt Deutschland ein Jahr vor dem vorgesehenen Termin? Und wie funktioniert die komplizierte Prozedur, die zu Neuwahlen führte?

Eigentlich hätte 2006 das Jahr der Deutschen werden sollen: Fußballweltmeisterschaft im eigenen Land und Wahlen zum Bundestag standen auf dem Programm. Doch die finden nun schon am 18. September dieses Jahres statt. „Für die aus meiner Sicht notwendige Fortführung der Reformen halte ich eine klare Unterstützung durch eine Mehrheit der Deutschen gerade jetzt für erforderlich. Deshalb betrachte ich es als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland als meine Pflicht und Verantwortung, darauf hinzuwirken, dass der Herr Bundespräsident von den Möglichkeiten des Grundgesetzes Gebrauch machen kann, um so rasch wie möglich [...] Neuwahlen zum Deutschen Bundestag herbeizuführen." Mit diesen Worten tritt der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) am 22. Mai dieses Jahres vor die Öffentlichkeit. Neuwahlen – im dritten Jahr der aktuellen Legislaturperiode, damit hatte nun wirklich niemand gerechnet.

Niederlagen in Serie

Doch was war passiert? Schröders Sozialdemokraten, das zeichnet sich zwei Stunden vor seiner Rede ab, müssen ihr Stammwählerland Nordrhein-Westfalen an die Christdemokraten abtreten. Schon am 17. März ging Schleswig-Holstein verloren, bis dahin ebenso eine Festung der Sozialdemokratie – nur die Höhepunkte einer langen Serie von Wahlniederlagen. Grund war der Unmut der Bevölkerung über bis dahin nicht gekannte Einschnitte bei Sozialleistungen. Tatsächlich wird Schröder als der Kanzler in die Geschichte eingehen, der begann, die Wohlfahrtssysteme der Bundesrepublik zu reformieren. Während Fachleute ihm oft noch zu zaghafte Versuche unterstellen, sieht ein Großteil der Bevölkerung die unter dem Titel „Agenda 2010“ eingeleiteten Maßnahmen als „sozialen Kahlschlag“. Doch sollte das Volk Schröder trotz niedriger Umfragewerte doch noch einmal das Vertrauen aussprechen, könnte er versuchen, seinen Weg weiter beschreiten – trotz der erdrückenden Mehrheit der Christdemokraten im Bundesrat, der föderalen Kammer, die vielen Gesetzen zustimmen muss und der rot-grünen Koalition schon in der Vergangenheit das Regieren schwer gemacht hat.

Die „unechte“ Vertrauensfrage

Doch vor die Neuwahlen hat das Grundgesetz zunächst einen steinigen Weg durch die Institutionen gesetzt. Aufgrund der negativen Erfahrungen aus der Weimarer Republik, als keine Regierung eine Legislaturperiode überstand, hat der Bundestag kein Selbstauflösungsrecht. Nur der Bundespräsident kann Neuwahlen anberaumen, zum Beispiel nach einer verlorenen Vertrauensfrage des amtierenden Kanzlers und einer absehbaren Nichtregierbarkeit auf Grund fehlender Mehrheiten. Genau diesen Weg hat der Bundeskanzler nun eingeschlagen.

Am 1. Juli stellt Schröder im Bundestag eine „unechte“ Vertrauensfrage und verliert, ganz so wie geplant: Hinreichend viele Abgeordnete der rot-grünen Regierungskoalition hatten sich enthalten. Nunmehr wird Bundespräsident Horst Köhler zum entscheidenden Mann. Das Staatsoberhaupt hat 21 Tage Zeit, der Vertrauensfrage zuzustimmen.

Das tut er dann schließlich. „Ich habe heute den 15. Deutschen Bundestag aufgelöst und Neuwahlen für den 18. September angesetzt“, sagt Köhler zu Beginn seiner Live-Rede im deutschen Fernsehen am 21. Juli. In seiner Begründung folgt er der Einschätzung von Kanzler Schröder: „Unser Land steht vor gewaltigen Aufgaben. Unsere Zukunft und die unserer Kinder stehen auf dem Spiel. Millionen von Menschen sind arbeitslos, viele seit Jahren. Die Haushalte des Bundes und der Länder sind in einer nie da gewesenen, kritischen Lage. Die bestehende föderale Ordnung ist überholt. Wir haben zu wenig Kinder, und wir werden immer älter. Und wir müssen uns im weltweiten, scharfen Wettbewerb behaupten.“

Bundeskanzler und -präsident sehen nur in einer gesicherten Mehrheit die Voraussetzungen für die Lösung dieser Probleme. Auch das Bundesverfassungsgericht stellt sich hinter den Bundeskanzler. Es weißt am 25. August die Klage der Bundestagsabgeordneten Werner Schulz (Grüne) und Jelena Hoffmann (SPD) gegen die vermeintlich unechte Vertrauensfrage ab und macht so den Weg für Neuwahlen endgültig frei.

Doch wie Schröder im Falle eines Sieges die Blockadesituation durch unterschiedliche Mehrheiten in Bundestag- und Bundesrat überwinden will, erklärte er nicht. Das mag auch gar nicht mehr nötig sein: Trotz leichten Zugewinnen für Schröder bleibt die Union in den letzten Umfragen klar stärkste Partei. Schröder kann sich wohl schon bald aufs Altenteil zurückziehen und Angela Merkel den Platz räumen.