Der Häuptling eines gallischen Dorfes auf der Landwirtschaftsmesse
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Wir haben uns ja bereits an die skandalträchtigen Auftritte von Nicolas Sarkozy gewöhnt. Die Beleidigung, die er auf der Landwirtschaftsmesse ausgesprochen hat, war nur einer davon. Doch die Messe hat ihm auch die Gelegenheit gegeben, die Ziele der Agrarpolitik nach seinen Vorstellungen neu zu definieren.
Sowohl die innereuropäische Landwirtschaftspolitik als auch die Rolle der EU im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO). Wie denken Brüssel und unsere europäischen Nachbarn darüber?
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Das gallische Dorf
Man könnte sagen: Ein Präsident, der Streit sucht, das ist zumindest amüsant. Die Landwirtschaftsmesse ist schon seit längerem wie die Bühne eines Volkstheaters: Chirac musste Kühe streicheln und Rillettes probieren (ein traditioneller französischer Wurstaufstrich, A.d.U.). Im Jahr 2008 erinnert sie eher an den Laden des Fischhändlers aus Asterix – zur Freude und Unterhaltung aller.
Es wäre falsch, die Auswirkungen dieses jährlichen Treffens zu unterschätzen. Die Landwirtschaft bleibt ein sehr wichtiger Sektor der französischen Wirtschaft. Ein Großteil der Bevölkerung arbeitet in diesem Bereich, es ist auch ein Teil unserer Kultur. Die Präsidenten der Republik haben das alle verstanden, und Sarkozy musste sich dem Bürger von Fouquet genau so aussetzen wie der schwierigen Aufgabe, die Herzen des ländlichen Frankreichs zu gewinnen. Sarkozy hielt eine Rede von etwa einer Stunde, in der er auf die größten Sorgen der Landwirte eingegangen ist. Die größte darunter ist die Angst vor der gemeinschaftlichen Agrarpolitik.
Eine offensive Politik
Im kumpelhaften Ton, aber mit fester Stimme hat sich Nicolas Sarkozy zum Fürsprecher einer neuen offensiveren Agrarpolitik der EU-Gemeinschaft gemacht, weit ab von der „ausschließlich defensiven und konservativen Haltung, die Frankreich zu oft innehatte“, Es ist schwer, hier zwischen den Zeilen zu lesen: Der Präsident bezieht sich auf den EU-Gesundheitscheck, den die Kommission im November für die „gemeinsame Agrarpolitik“ (GAP) durchgeführt hat. Eine Neuverteilung der festgelegten Unterstützungen wird sicher unter der Vielzahl der verschriebenen Heilmittel sein. Ein Unsicherheitsfaktor für die französischen Landwirte, die am meisten von der gemeinsamen Agrarpolitik profitieren, sehr zum Ärger unserer Nachbarn. Hat Nicolas Sarkozy nur die Verringerung von unvermeidbaren Subventionen angekündigt, oder etwa seine Absicht, den europäischen Partnern seinen Willen aufzuzwingen? Diese Frage bleibt ungeklärt.
Die Gemeinschaftspräferenz
Gleichzeitig hat der Präsident das Phantom der „Gemeinschaftspräferenz“ wieder aus dem Schrank geholt. Diese Politik ermöglichte es der europäischen Landwirtschaft, sich in den ersten Jahren der EU-Integration positiv zu entwickeln: durch die Besteuerung von Produkten außerhalb der EU und die Einführung eines Systems der gegenseitigen Unterstützung. Dieses protektionistische System lässt sich seit der Marktliberalisierung schwer aufrechterhalten. Nicolas Sarkozy hat angekündigt, dass er seinen ganzen Einfluss in die Verhandlungen mit der WTO ausüben wird, um die Dumpingpreise der Entwicklungsländer und den Druck aus den USA auf den europäischen Markt zu vermeiden.
Ein Eiertanz
Die Tonart ist also vorgegeben, bringt aber Brüssel und unsere europäischen Partner in Verlegenheit. Kurz nach der Rede des Präsidenten, freute sich Mariann Fischer Boel, die EU-Kommissarin für Wirtschaft über den Eifer, mit dem der Präsident an der Reform der GAP teilnehmen will. Doch sie stellte auch klar, dass „keinerlei Art von Protektionismus“ akzeptiert werden würde. Ein Enthusiasmus mit Einschränkungen, das charakterisiert einmal mehr die Beziehungen zwischen Brüssel und Paris.
Fernab vom Rampenlicht muss die EU nun ihre wirtschaftliche Außenpolitik an die Notwendigkeit anpassen, ihre Landwirte zu schützen. Das wird keine leichte Aufgabe, sondern ein wahrer Eiertanz. Doch bei so viel Feinheit und Diskretion, die Sarkozy bei seinem Auftritt auf der Agrar-Messe unter Beweis stellte: Wer kann da auch nur einen Augenblick daran zweifeln, dass er nicht auch für dieses Problem eine gute Lösung finden wird?
Julien de Cruz