Der Geist von Seidnaya
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In Syrien leben Christen und Muslime in gegenseitigem Respekt friedlich zusammen. Solange man sich aus der Politik heraushält, ist man frei, seinen Glauben zu leben. Angesichts der Verfolgung und Unterdrückung, der die christliche Minderheit in den Nachbarstaaten ausgesetzt ist, erscheint das Land als Oase der Ruhe.
Juli 2008 in Syrien
Am Eingang des Heiligtums des Klosters von Seidnaya, eine Stunde Fahrt nördlich von Damaskus, streift man die Schuhe ab, die Frauen verbergen sich Haar und Schultern mit einem Tuch. Gerade so wie beim Betreten einer Moschee. Der niedrige Raum, allein von einigen Kerzen erhellt, liegt im Halbdunkeln, die Wände sind von Ikonen bedeckt, rauchgeschwärzt, goldschimmernd. Darunter hängen kleine Hände aus Gold geschnitten, auch Arme, Beine und andere Körperteile, für welche die Pilger Heilung erhoffen. Es sollen noch Wunder geschehen, wie zum Beweis stehen in einer Ecke Krücken und Prothesen.
Vor dem Heiligenbild der Jungfrau Maria brennen Kerzen und das ewige Licht. Die Schwester, ganz in schwarz gehüllt, das Haar unter einem eng geschlungenen Tuch verborgen, taucht ein Wattekügelchen ins heilige Öl, damit man sich damit bekreuzige. Das Marienbild, angeblich vom Apostel Lukas gemalt, ist dem Blick durch goldene Münzen und Medaillons verdeckt, die davor gehängt sind. Das Bild ist Christen und Muslimen gleichermaßen heilig, beide kommen sie hierher zum Gebet, um sich Heilung zu erflehen oder um Kinder zu bitten. Als die christliche Familie den Schrein verlässt, huschen zwei junge Frauen im Kopftuch herein, die im Hof gewartet haben.
Jeder ist frei, seinen Glauben zu leben
In Syrien ist die Nähe des Islams zum christlichen Glauben noch erkennbar, ist das Christentum noch eine zutiefst orientalische Religion, sind noch viele Riten lebendig, die in Europa längst vergessen sind. Anders als in den Nachbarstaaten leben die Konfessionen in Syrien in gegenseitigem Respekt dicht beieinander. Anders als in der Türkei, wo der Laizismus die Kontrolle der Religion durch den Staat bedeutet, was zur Diskriminierung aller nicht-islamischen, nicht-sunnitischen Gemeinden geführt hat, bedeutet Laizismus in Syrien, dass Christen, Alawiten und Druzen frei sind, ihren Glauben zu leben – solange er nicht mit der Politik kollidiert.
In Ägypten leiden die Kopten unter der zunehmenden Islamisierung der Gesellschaft, in Palästina haben die Christen dem Siedlungsdruck der Israelis weichen müssen, im Libanon sind die Maroniten nach dem jahrelangen Bürgerkrieg politisch auf dem Rückzug, im Irak sind die Christen den Bombenangriffen islamistischer Terroristen ausgesetzt. Da nimmt sich Syrien als eine Oase der Ruhe und als Modell der friedlichen Koexistenz aus. In den christlichen Vierteln von Bab Touma in Damaskus und Al Djedeida in Aleppo drängen sich die Kirchen der katholischen, orthodoxen und armenischen Glaubensrichtungen. In den Straßencafés wird Bier ausgeschenkt, die Mädchen tragen kurze Kleider.
Das Regime duldet keine Opposition
Dennoch ist und bleibt Syrien, trotz einer gewissen politischen Öffnung unter Bashar al-Assad, eine Diktatur. Nur drei Tage nach dem Besuch im Kloster von Seidnaya wird ein Aufstand im nahegelegenen Gefängnis, in dem vor allem politische Gefangene untergebracht sind, blutig niedergeschlagen. Menschenrechtsgruppen berichten von 25 Toten, die staatlich kontrollierte Presse schweigt sich aus. Wenn es um die Macht geht, schlägt das Regime mit aller Härte zu. Das beweist nicht zuletzt der Aufstand der Muslimbrüder 1982 in Hama, den die Luftwaffe zusammen gebombt hat. Von der Opposition wurde seitdem wenig gehört.
So repressiv die Politik, so offen die Religion: Der Großmufti von Syrien, Scheich Ahmad Badr Al Din Hassoun, hat einen christlichen Berater für den interkonfessionellen Dialog. Nach der umstrittenen Regensburger Rede hat er dem Papst einen persönlichen Brief geschrieben und sich damit an die Spitze einer Bewegung muslimischer Geistlicher gestellt, um der Konfrontation der Religionen entgegenzuwirken. Erst kürzlich hat er Benedikt XVI. nach Damaskus eingeladen, das im Paulusjahr eine besondere Bedeutung hat, da der Heilige dort seine Missionstätigkeit aufgenommen hat.
Die Vision einer Stadt des Dialogs
Dem Dialog fühlt sich auch Pater Paolo verpflichtet. Der italienische Jesuit führt das Kloster von Mar Musa, ein festungsartiges Gebäude in den Bergen am Rande der Wüste. Seit den 1830er Jahren lag das Kloster, dessen Geschichte bis ins sechste Jahrhundert zurückgeht, verlassen. Erst 1991 hat der stämmige Mann mit der dröhnenden Stimme den Ort entdeckt und eine kleine Gemeinschaft dort in der Einsamkeit der Wüste versammelt. Zehn Mönche und Nonnen syrisch-katholischen Glaubens leben dort heute, hinzu kommen Besucher aus Syrien und aller Welt, die für einige Stunden oder Tage die Stille suchen.
Durch eine kaum hüfthohe Pforte betritt man das Kloster, nachdem man den gewundenen Pfad hinauf geklommen ist. Von der Terrasse blickt man auf die Ebene hinab, leer, weit und hitzeflimmernd. Womöglich aber wird es nicht mehr lange so bleiben. Denn Pater Paolo plant dort, am Fuß der Berge, ein spirituelles Zentrum, eine Stadt des interkonfessionellen Dialogs. „Sham Spiritual Oasis“ hat er das Projekt genannt und in einem Saal des Klosters sind die Pläne eines Architektenwettbewerbs zu sehen. Gebetsräume, Meditationshallen, Unterkünfte, Geschäfte, Parkplätze.
Mancher Besucher schüttelt ungläubig den Kopf angesichts der Dimension des Projekts und auch manche der Nonnen und Mönche scheinen unsicher, was sie davon halten sollen. Vision oder Größenwahn? Ganz im Geiste von Seidnaya, würde Pater Paolo wohl erwidern.