Der Club der 1000 Euro-Verdiener
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eva kopriosekEuropas junge Leute folgen dem Trend der Zeit: Universität, erster Job, die Zukunft absichern. Doch mit 1000 Euro im Monat fällt der Berufseinstieg in Sevilla doch extrem schwer.
Sie sind zwischen 22 und 40 Jahren alt? Hochqualifiziert, studiert, haben einen Master-Abschluss und sprechen mehrere Sprachen? Interessiert, 1000 Euro im Monat zu verdienen? Das können Sie, und zwar in der sommerlichen Stadt im Süden Spaniens: in Sevilla.
Da ist zum Beispiel Elena Garcia, 28. Mit einem Hochschul-Abschluss in Geschichte, einem Master und drei Fremdsprachen konnte sie nur einen Zeitvertrag bei einem Call-Center - für schlappe 800 Euro monatlich - finden. Gleiches gilt für Juan Salvador, 32, einen frisch verheirateten TV-Redakteur. Er verdient 1300 Euro brutto im Monat und sein Vertrag ist ebenfalls nur befristet. Beide gehören zu den "Mileuristas", einer Generation, die darum kämpft, entsprechend ihrer Qualifikationen bezahlt zu werden. Sie hoffen darauf eine Festanstellung zu finden, die am Monatsende ein bisschen mehr als 1000 Euro auf dem Konto einbringt. Trotz jüngster Reformmaßnahmen der spanischen Regierung, die Firmen subventionieren und mehr unbefristete Verträge schaffen sollen, bleibt der Arbeitsmarkt in Andalusien für Berufseinsteiger ein Sorgenkind.
Leben an der Armutsgrenze
Der Begriff "Mileuristas" (wörtlich "1000-Euro-im-Monat-Verdiener") stammt aus einem Ende des Jahres 2005 an die sozial-demokratische Tageszeitung El Pais gerichteten Brief mit der Überschrift Soy mileurista (Ich bin Mileurista). Mittlerweile hat der Ausdruck den Weg in die Umgangssprache gefunden. Die Autorin des Briefes, Carolina Alguacil, war eine Hochschul-Absolventin, die in der Werbebranche in Barcelona tätig war. Sie war verärgert darüber, dass sie mit 27 Jahren noch immer nicht mehr als 1000 Euro verdiente. Zwei Jahre später hat das Sozialphänomen diverse Artikel und sogar ein gleichnamiges Buch (Mileuristas) hervorgebracht.
"Mein Gehalt von 1500 Euro brutto ist nicht das Problem", sagt Manuel Guerrero, ein 27-jähriger Journalist. "Aber die Mietpreise sind im Vergleich zu den Löhnen die reinste Ausbeutung". Kein Wunder: Ein 2-Zimmer-Appartment in Sevilla kostet zwischen 600 und 700 Euro im Monat, während die "Mileuristas" im Durchschnitt nur 600 Euro verdienen. Jobs mit diesem Monatsgehalt können sie aber nicht ablehnen. Es gibt Hunderte anderer, die sogar für noch weniger arbeiten würden. Ein weiteres Problem stellt die extrem hohe Einwandererzahl dar (4,5 - 5 Millionen in weniger als 10 Jahren). Sie sind oft hochqualifiziert und bereit für Hungerlöhne zu arbeiten.
Steigende Immobilienpreise zwingen junge Leute länger zu Hause zu wohnen, oft bis sie Mitte dreißig sind oder heiraten. "Wir haben hier einen Rückwärtstrend, zurück ins 15. Jahrhundert. Die Zweckheirat ist manchmal der einzige Weg, um das Elternhaus zu verlassen", sagt Guerrero. "Der Staat verletzt damit ein Grundrecht der spanischen Verfassung - das Recht auf adäquates Wohnen."
Das Mileuristas-Phänomen hat nicht gerade dazu beigetragen, Spaniens demographischen Wandel zu verlangsamen. 41 Prozent der Bevölkerung sind über 65 Jahre alt, und mit 1,34 ist die Fruchtbarkeitsrate eine der niedrigsten in Europa. Wer das Elternhaus trotzdem verlässt, hat nicht genug, um sich alleine durchzuschlagen und muss Einschränkungen der Lebensqualität hinnehmen. "Wenn ich Ferien mache, dann nur bei der Familie oder am Strand. Das ist billiger", bestätigt der 28-jährige David Garrido.
Ein Uniabschluss für alle vergrößert die Kluft
Spanien hat einfach zu viele gut ausgebildete junge Leute im Verhältnis zu gut bezahlten Jobs. Wie in ganz Europa, gab es auch in Spanien einen Babyboom in der Nachkriegszeit. Er hielt allerdings ein Jahrzehnt länger an – bis Ende der siebziger Jahre - als in den anderen europäischen Ländern. Während die Bevölkerungszahlen anstiegen, zeigte sich immer deutlicher, dass Spanien eine der niedrigsten Alphabetisierungsraten besaß. 1970 waren 8,5 Prozent der Bevölkerung Analphabeten.
Als die Regierung das Bildungssystem mit riesigen Summen bezuschusste, ging es dabei nicht um Qualität, sondern um Quantität. Die Anzahl der Studenten an spanischen Universitäten ist genau so hoch wie in Deutschland (rund 1,4 Millionen). Allerdings hat Spanien nur halb so viele Einwohner wie Deutschland (Spanien: 45 Millionen; Deutschland ca. 82 Millionen). "In den achtziger und späten neunziger Jahren bedeutete die hohe Arbeitslosigkeit, dass Familien die Universität als eine Art "Verwahrungsort" für ihre Kinder betrachteten", erinnert sich Professor Juan J. Dolado vom Institut für Wirtschaftswissenschaften der Universität Carlos III in Madrid.
Arbeitsscheu
Während immer mehr unmotivierte, vielleicht nicht gerade akademisch ausgerichtete junge Leute die Uni besuchten, wurde das Berufsausbildungssystem "schwächer im Vergleich zu Ländern wie Deutschland. Diese Leute hätten großartige Handwerker oder dergleichen werden können, jetzt aber stecken wir in der Zwickmühle."
"Die Dinge ändern sich ein wenig", sagt Augustín Fleta González, ebenfalls Dozent an der Universität von Sevilla. "Die Regierung will die Anzahl der Studenten reduzieren, um bessere Leistungen zu erzielen. Dem muss ich aber widersprechen. Ich würde eine gut ausgebildete Bevölkerung bevorzugen, die kritischer und reifer handelt. Der Schlüssel hierzu ist ein größeres Angebot an Ausbildungsplätzen."
Zu den niedrigen Gehältern kommt noch hinzu, dass Mitarbeiter mit Zeitvertrag einfacher zu entlassen sind. Außerdem sind die Abfindungen wesentlich geringer. Unter den 100 Verträgen, die jeden Tag abgeschlossen werden, sind nur 12 bis 13 Festanstellungen. All das trägt nicht gerade zur Mitarbeitermotivation bei. Viele Angestellte sehen nicht ein, warum sie sich stärker engagieren sollten. Dolado verweist weiterhin auf das Problem der geringen Produktivitätsrate in Spanien. Er ist verbittert: Es sei die Strategie der Unternehmen, mit ihrer Personalpolitik so viel Geld wie möglich zu verdienen, anstatt sich treue Arbeitskräfte zu erhalten." "Die Geschäftswelt ist sehr geschlossen und exklusiv", ergänzt Fleta González. "Wenn sich die Dinge ändern, dann sehr langsam."
Den Markt entlasten
In einem Punkt herrscht Übereinstimmung: Die "Mileuristas" erwarten zu viel, obwohl das nicht wirklich ihre Schuld ist. "Studienfächer wie Jura und viele geisteswissenschaftliche Fächer haben einen riesigen Überhang an Studenten. Der Markt ist gesättigt", kommentiert Dolado. Die Leute brauchen weitere oder noch andere Qualifikationen. "Am besten fährt man mit Informatik und Kommunikationswissenschaften. Oder man verbessert seine Fremdsprachenkenntnisse. Spanien gehört zu den europäischen Ländern mit den geringsten Sprachkenntnissen."
Andererseits ist die Arbeitslosenquote unter Jugendlichen wesentlich niedriger als früher (Mitte der Neunziger fast 40 Prozent und heute 14 Prozent). "Wir brauchen eine andere Politik, andere Bewusstseinstaktiken gegenüber Arbeitsleistung und Vergütung", sagt David Garrido. "Wir müssen etwas tun, um die Situation zu verändern. Jeder von uns steht auf seiner Weise in der Schuld."
Zwei Jahre nach der Geburt der "Mileuristas" bleibt Salvador positiv gestimmt. Er hat vor, in naher Zukunft ein Unternehmen zu gründen. Und obwohl Guerrero Freunde im Ausland hat, denen es dort besser geht, will er nicht auswandern. "Man muss das Problem lösen, nicht vor ihm davon laufen."
Translated from The 1, 000 Euros a month club