Demokratie, Cola-Dilemma in der Türkei
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Wieder einmal und beklagenswerterweise steht der Türkei ein kontroverser Strafprozess bevor: der türkische Generalstaatsanwalt Abdurrahman Yalcinkaya fordert ein Verbot der regierenden AKP (Partei fürGerechtigkeit und Entwicklung). Gleichzeitig läuft ein Verfahren gegen die DTP (Partei der Demokratischen Gesellschaft).
Diejenigen, die erpicht auf ein Ende der AKP sind, sehnen wahrscheinlich ebenso ein Ende der DTP herbei. Die Staatsanwaltschaft beschuldigt die AKP, das Zentrum einer anti-säkularen Bewegung zu sein; der DTP wird Separatismus vorgeworfen. Hier wird also einfach mal die Schließung von zwei der insgesamt vier im türkischen Parlament (TBMM) vertretenen Parteien verlangt. Nur zu, knallt der AKP die Tür vor der Nase zu, besiegelt das Ende der DTP. Warum nicht gleich das gesamte Parlament? Ich höre die Leute schon sagen "Neeein, Özcan, Du übertreibst!", doch ich bin überzeugt, die erwähnten Partei-Schließungen werden von einer arroganten Elite in der Türkei keineswegs als übertriebene Reaktionen angesehen.
Der Coup d'État vom 12. September 1980 hat diese arroganten Eliten entstehen lassen. Ich möchte außerdem hinzufügen, dass diese anti-demokratischen Eliten sich dafür einsetzen, denjenigen, die nicht hundertprozentig dem Prototyp des türkischen Bürgers entsprechen, den Zutritt zu Moscheen, Kirchen und Synagogen zu verbieten. Der Staatsstreich der Armee brachte eine neue Verfassung hervor, die in einer Art Copy-and-Paste-Manier innerhalb von fünf Tagen entstand und demokratische Politiker und Institutionen von der Bildfläche verschwinden ließ, Verfechter der Demokratie ins Gefängnis brachte und sich einen eigenen Himmel schuf. Es entstanden offizielle Kader mit Leuten, die sich bereit erklärten für eine ultra-nationalistische Regierung zu arbeiten, innerhalb eines säkularen, undemokratischen Rahmenwerks. Infolge dieser Verfassung verschärfte sich die "kurdische Frage" und religiöse Angelegenheiten in der Türkei wurden verkompliziert. Die Putsch-Regierung verhängte harte Strafen gegen demokratische Aufständische in den 1980er Jahren und stärkte die Eliten, die sich nach dem 12. September herausformten.
Heute ist die Türkei in einem neuen Zeitalter, es ist das Zeitalter der Moderne. Nie zuvor war der Wunsch nach Demokratie in diesem Lande größer. Doch anti-demokratische Eliten, die Kinder des Putsches, machen sich angesichts dieses Wunsches große Sorgen, denn sie fürchten ihre Positionen zu verlieren. Die Eliten haben die türkische Gesellschaft seit jeher in Angst versetzt und gespalten: in nationalistische und religiöse Gruppierungen. Die Oberen des Landes haben Verwirrung zwischen den einfachen Mitgliedern der Gesellschaft gestiftet, um ihre eigene privilegierte Stellung zu genießen und sie verzögerten demokratische Reformen. Die Wahlen vom 22. Juli 2007 haben jedoch erwiesen, dass das türkische Volk keinen Lügen mehr Glauben schenkt. Die genannten Elite-Gruppen stellten sich selbst als Anhänger unseres
Staatsgründers Mustafa Kemal Atatürk vor. Ironischerweise glauben sie das selbst bis heute. Doch wenn es um "republikanische" Herrschaftsformen, verhalten sie sich anders. Zum Beispiel weigerten sie sich, Wahlergebnisse zu respektieren und häufig setzen sie sich für die Schließung von Parteien ein. "Der Bauer ist der wahre Herr des Volkes", sagte Atatürk 1920 bei einem Besuch einer kleinen anatolischen Stadt.
Aus Sicht der Eliten ist ein Dorfbewohner jedoch nichts anderes als ein einfacher Diener der Eliten. Es gibt außerdem eine klare Vorstellung davon, wie ein Bürger zu sein habe. Der stereotypische Bürger der Türkei sollte ein hundertprozentiger Nationalist sein, sunnitischen Glaubens, aber nicht religiös, sondern einen säkularen Lebensstil pflegen, er sollte in Gesellschaft Alkohol trinken und als Soldat geboren werden. Gewisse arrogante türkische Eliten haben sich an ihren speziellen Status gewöhnt, während sie in staatlichen Einrichtungen günstige Mahlzeiten einnehmen, wozu sie billiges Bier oder Cola trinken.
Unsere liebenswerten Eliten sind die unerschrockenen Verteidiger des Status Quo. Sie haben sich daran gewöhnt, die bewaffneten Gruppierungen um Hilfe zu bitten, wenn sie eine Gefahr wittern, die ihre besonderen Zuschüsse bedrohen. Im vergangenen Jahr fürchteten sie im Präsidentschaftswahlkampf ihren Einfluss zu verlieren. Nachdem sie die türkische Armee nicht zum Einschreiten bewegen konnten, griffen sie in einem verzweifelten Versuch, ihre vorteilhafte Position zu verteidigen, zu anderen Methoden und streuten öffentlich Lügengeschichten über die Regierungspartei und veranstalteten Protestzüge in Ankara, Istanbul, Izmir und Manisa. Als sie merkten, dass ihre Taktik nicht aufging, forderten sie die Menge auf, Neuwahlen zu fordern -- die sie am Ende verloren, vom Volk abgestraft. Die AKP gewann rund 47 Prozent der Stimmen.
Die säkularen türkischen Eliten haben die Wahlen und andere Kämpfe verloren. Nun greifen sie zu ihren letzten Mitteln die demokratische Zukunft der Türkei zu verhindern. Wir sollten uns jedoch fragen, ob ein billiges Bier eine Destabilisierung der Türkei wirklich wert ist.
Özcan TİKİT
(Übersetzung aus dem Englischen Dorte HUNEKE)