Das Wunder von Brünn
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Maximilian LaunMultinationale Konzerne, wie IBM, AVG und Motorola, haben Tschechiens zweitgrößte Stadt inzwischen für sich entdeckt. Brünn bietet ihnen jegliche Form von Dienstleistungen und ist zudem perfekt an das Zentrum Europas angebunden. Aber was genau ist so attraktiv an einer Stadt, die auf den ersten Blick nicht gerade besonders einladend wirkt?
Die Festung Špilberk thront hoch über Brünn, gerade in Sichtweite des Spielberk Office Centre, einem modernen Gebäudekomplex am Ufer des Flußes Svratka. Hier befindet sich eine regelrechte Sprach-Oase für all die ausländischen Angestellten, die zumindest an diesem Ort kein tschechisch sprechen müssen.
Bei einem der hier ansässigen Konzerne einen Job zu finden, ist nicht besonders schwierig. Eine unbefristete Anstellung bekommt man bereits mit minimalen Kompetenzen, gewöhnlich reicht es schon Englisch und eine weitere Sprache zu sprechen. Dabei handelt es sich dann meistens um eine Tätigkeit im Call-Center, als Informatiker, oder Übersetzer.
Laura ist im Januar 2013 zusammen mit ihrem Mann Federico, ihrem vierjährigen Sohn Samuele und zwei Chihuahuas nach Brünn gezogen. Dank der lokalen Dienstleistungen und den kurzen Distanzen innerhalb der Stadt, haben die beiden nun wesentlich mehr Freizeit – und das bei vergleichbaren Gehältern und Ausgaben wie in Italien. Das Zusammenleben mit den Tschechen und deren Sprache ist nicht immer einfach, aber die italienischen Kollegen helfen sich untereinander und kommen häufig auch nach Feierabend noch zusammen. Mehr Freizeit haben auch Saúl und all die anderen jungen Spanier, welche hier, dank einer Skype-Konferenz, direkt im Anschluss an ihr Studium eine Arbeit gefunden haben – auch wenn es dann nicht immer der Traumjob geworden ist. Klima und Kultur unterscheiden sich teilweise deutlich von Spanien und sorgen schon mal für Heimweh. Dort jedoch, wäre ihre einzige Perspektive gewesen, als arbeitsloser Hochschulabsolvent bei den eigenen Eltern zu wohnen.
Ein zu allen Seiten offener Markt
Wer treibt sich, zwischen Studenten und mehrsprachigen Angestellten, noch durch diese lebhafte Stadt? Was machen jene, die außerhalb dieser enormen Glaspaläste, wie man sie nicht mal in der Hauptstadt Prag findet, arbeiten? Sind es ausschließlich Westeuropäer, die hier, in einer auf Wachstum ausgerichteten Stadt, von ihren Privilegien profitieren?
Maria hat es geschafft ein Studentenvisum zu erlangen, welches ihr zumindest erlaubt in Teilzeit zu arbeiten. Überzeugt davon, dass sie ihre Chancen hier wesentlich besser stehen, möchte sie erst dann wieder in die Ukraine zurückkehren, wenn sie genug angespart hat, um sich dort eine neue Existenz aufbauen zu können. So arbeitete sie in einem kleinen Restaurant, bis die Besitzer, ihrer mangelnden Sprachkenntnisse und ihren seltsamen Gerichte überdrüssig, sie plötzlich und ohne den vereinbarten Lohn auf die Straße setzten.
Wie Maria, versuchen viele Ukrainer und andere Nicht-EU-Bürger hier einen Weg nach Europa zu finden. Artyom dachte ernsthaft darüber nach, Asyl zu beantragen, in dem Wissen, dass dies ein Leben in Isolation bedeuten würde. Alles, nur nicht zurück nach Armenien, wo er seine Homosexualität geheim halten müsste. Auch er schaffte es, dank Studentenvisum und der Unterstützung von Freunden, einen Job als Aushilfskellner zu finden, und sich so eine kleine Lebensgrundlage zu schaffen.
Aber nicht Alle vertreten die Einstellung ihre Landsleute bedingungslos zu unterstützen. Russisch und Ukrainisch zu sprechen ist hier der Schlüssel zu einem blühenden Geschäft: Von Unterkunftsvermittlungen, über die Beschaffung von Dokumenten, bis hin zur Heiratsvermittlung, bietet sich hier ein weitgehend unreglementierter Markt mit verlockend hohen Gewinnen. Die Vermittlung eines Mitbewohners kostet beispielsweise ungefähr 30.000 Kronen (ca. 1.000 €). Wer hier ankommt, ist häufig bereit sämtliche Ersparnisse zu opfern, nur um weiter von einer Zukunft träumen zu können, die das Heimatland scheinbar nicht bieten kann.
Diese Stadt im Herzen Europas ist damit Schauplatz für das Zusammentreffen des krisengeschüttelten Westens, welchem Tschechien sich immer mehr angleicht, mit dem Osten Europas, welchem es vor gar nicht all zu langer Zeit noch selbst angehörte. Den Ukrainern mag die Tschechische Sprache zwar leichter fallen als den Spaniern und Italienern; zu einem guten Start (und darin sind sie sich alle einig) reicht es jedoch häufig schon aus, ein Bier bestellen zu können.
Translated from Vado a lavorare a Brno!