Das subjektive Objektiv
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Die Folterbilder aus Abu-Ghureib schockierten die Welt: Entblößte Menschenkörper an Hundeleinen, ein mit Stromdrähten fixierter Mann unter einem schwarzen Leintuch. Darf man so etwas zeigen?
Er steht da wie ein Jesus ohne Kreuz: mit ausgebreiteten Händen und gekreuzten Beinen blickt der Mann starr nach oben. Als suche er dort etwas. Sein Körper ist verklebt von Blut und Dreck. Hinter ihm reihen sich Zelltüren aneinander. Quer über seiner Scham steht in großen Lettern: „Amerikas Schande – Folter im Namen der Freiheit“.
Das Titelbild des „Spiegels“ vom 20. Februar 2006 war wohl das provokanteste der letzten zehn Jahre, schätzt Stefan Kiefer, Mitglied der Titelbildredaktion des Hamburger Nachrichtenmagazins. Allein das Thema Abu-Ghureib auf das Cover zu nehmen, habe innerhalb der Redaktion zu heftigen Diskussionen geführt. Und gerade dann noch ein Folterfoto? „Das Titelbild ist zwar provokant und zeigt die Demütigung dieses Menschen“, sagt Kiefer. „Dabei ist es aber nicht rücksichtslos.“
Dem Publikum war das Titelbild aber eine Spur zu heftig. Es habe viele Kündigungen von Abonnenten und „bitterböse Briefe“ gegeben. „Spiegel“-Leser erzählten verärgert, ihre Kinder seien allein durch den Anblick dieses Fotos in ihrer Entwicklung gestört worden. „Sicher war das für uns nicht der Verkauf des Jahres“, sagt Kiefer. „Doch letztlich sind wir ein Magazin, das die politischen Ereignisse des Weltgeschehens spiegelt.“ Und da obliege es der journalistischen Pflicht, auch die Dinge zu zeigen, „die so menschenverachtend sind, dass sie eigentlich gar nicht passieren dürfen.“ Heute würde Kiefer nicht anders über das Cover entscheiden.
Der Entstehungsrahmen eines Fotos
Es gibt Bilder, die den Betrachter mehr als nur berühren. Sie treffen einen. Bilder, wie das einer indischen Frau, die mit fast verdrehten Armen auf dem Sandboden liegt und trauert. Ins Bild ragt der Arm eines Familienmitgliedes, gestorben durch den Tsunami. Die Aufnahme wurde als World Press Photo 2004 ausgezeichnet.
„Als Fotograf hat man die Aufgabe, wichtige Ereignisse abzubilden“, sagt Bastian Ehl. „Dazu gehören dann auch so unbequeme Dokumente wie Bilder aus Krisen- und Katastrophengebieten.“ Seit sechs Jahren arbeitet der 28-Jährige neben seinem Journalistik-Studium als Pressefotograf. Nach dem Diplom will der Reservist als Kriegsfotograf nach Afghanistan gehen.
Nach dem Abitur war Bastian Ehl einer der 3 000 Bundeswehrsoldaten, die als Friedenstruppe nach Bosnien-Herzegowina geschickt wurden. „Ich habe dort viel gesehen, was zu Hause von den Medien nie thematisiert wurde“, sagt Ehl. Auch heute noch unterscheiden sich Realität und Berichterstattung. Einen Teil der Wahrheit halten Fotografen und Redaktionen zurück, indem sie nach ethischen Grundsätzen und der Zumutbarkeit eines Bildes selektieren.
Hinzu käme, dass der Markt von immer wenigeren großen Medienunternehmen beherrscht wird. Die publizistische Vielfalt habe etwa unter der Übernahme des Nachrichtensenders ntv durch die RTL-Gruppe deutlich gelitten. „Die Gruppe schickt jetzt nur noch ein Team runter“, sagt Ehl. „Damit ist dort ein Redakteur mit einer kritischen Frage weniger.“
Fotojournalisten könnten da freier arbeiten. „Die Branche ist in Nischen aufgeteilt, so dass es spezielle Agenturen für Kriegsreportagen gibt“, sagt Ehl. Wer in so einer Agentur arbeitet, ist dann meist selbst Fotograf und kennt die Arbeit vor Ort. „Wenn von so einer Agentur Bilder aussortiert werden, dann kann ich damit auch leben.“
Zwischen Informationspflicht und Menschenwürde
Bevor ein Foto also etwa aus dem Irak zu seinem Betrachter kommt, wird es an drei Stellen und mit drei unterschiedlichen ethischen Vorstellungen gefiltert: vom Fotografen, seiner Agentur und später der Redaktion, die das Bild abdruckt. „Die krasseren Bilder werden zwar gemacht“, sagt Ehl. „Sie werden aber nicht in den normalen Medien, sondern in speziellen Fotobänden veröffentlicht.“ Tageszeitungen würden schließlich auch von Kindern gelesen.
Und wie legt ein Fotograf fest, ob er ein Motiv ablichtet oder nicht? „Diese Entscheidung fällt noch bevor ich meine Kamera auspacke“, sagt Bastian Ehl. Da werden ethische Grundsätze abgefragt, aber auch kalkuliert, ob sich so ein Bild verkaufen lässt. Danach gehöre alle Konzentration dem Motiv. Gewissensfragen werden im Anschluss noch einmal vor dem Computermonitor gestellt: Verletzte ich niemanden in seinen Persönlichkeitsrechten? „Ich muss die Würde des Abgebildeten wahren und die Schmerzgrenze des Publikums respektieren.“ Schließlich müsse man seinen Rezipienten nicht alles zumuten, was man kann.
Anders bei den Bildern aus Abu-Ghureib. Als eines der ersten Fotos aus dem US-Gefangenlager ging die Aufnahme des schwarzen Kapuzenmanns durch die Presse. In nahezu allen Nachrichtenmagazinen und Zeitungen – von konservativ bis boulevardesk – wurde das Bild eines Mannes ausdruckt, der steif auf einem Plastikkanister stand. Von seinen Händen führten Stromkabel aus dem Bild, ein weiteres Kabel verschwand unter dem Gewand in Genitalbereich. Die Persönlichkeitsrechte des Abgebildeten traten wegen der Brisanz des Fotos in den Hintergrund. „Es ist wichtig, dass solche Bilder veröffentlicht werden“, sagt Bastian Ehl. „Im Fall Abu-Ghureib ist die Nachricht wichtiger als das Individuum.“