Das politische Tier: Eine italienische Kommunistin im Bundestag
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cafébabel DEPaola Giaculli wurde in der Toskana geboren, wo sie schon mit 15 Aktivistin für die Kommunistische Partei wurde. Aber jetzt ist dieses "politische Tier" in den Bundestag umgezogen und kämpft dort gegen den Kapitalismus und Angela Merkel für die Partei die Linke. Ich habe sie in Berlin getroffen.
Ich habe Paola Giaculli im Café Die Eins getroffen, das einen Steinwurf weit vom Bundestag entfernt ist. Komische Skulpturen nisten hier in den Nischen in der Wand. Das bietet hier einen Kontrast zu den rustikalen schwarzen Tischen mit spitzen, teutonischen Ecken und scheinenden Oberflächen. Als Paola Giaculli ankommt, erkennen wir uns sofort, obwohl wir uns noch nie begegnet sind. Vielleicht haben wir bereits Bilder voneinander durch unseren Mailverkehr in unseren Köpfen erschaffen. Eher wahrscheinlich ist, dass wir uns durch einfaches Ausschlussverfahren erkennen, denn vorher war ich die einzige Person im Café.
Paola Giaculli ist eine italienische Kommunistin im Bundestag. Aber was mich am meisten interessiert, ist das, was sie macht, wenn sie gerade nicht Bundestag sitzt. Diese Frage ist ernst gemeint, stellt sich aber als Eigentor heraus. Gleich zu Anfang entsteht eine unangenehme Stille. Sie kichert ein bisschen sagt schließlich: „Das ist eine schwierige Frage, denn ich bin ein politisches Tier.“ Mein Gott. Sie lacht, aber sie macht keine Witze. Ihr Lächeln verwandelt sich schnell in Eifer. „Ich bin schon mit dieser Passion geboren. Für mich ist die Politik eine Leidenschaft und ich gerate über jede Art der Ungerechtigkeit in Wut.“
Gefangene der Geschichte
Die Partei die Linke ist aus der Asche der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) auferstanden, die die DDR von 1949 bis 1989 regiert hat (den Namen trägt sie aber erst nach einer Fusionierung im Jahr 2007). Die Partei wurde 2013 bei den Bundestagswahlen mit 8,6 Prozent der Stimmen drittstärkste Kraft in Deutschland. Überreste der geteilten Vergangenheit sind überall in der deutschen Hauptstadt verteilt. Aus dem Fenster kann ich die Marschallbrücke sehen, die die Nazis gesprengt haben, um die Rote Armee zu stoppen. Auch im Bundestag ist noch ein hintergründiges Grollen der Geschichte noch zu hören. „Manchmal habe ich im Bundestag das Gefühl, das wir uns noch in den 50ger Jahren, im Kalten Krieg befinden“, sagt Giaculli bitter. Die Schuld hierfür gibt sie Merkels CDU, als sie sich erbost daran erinnert, wie sie von deren Fraktion als stalinistische Kriminelle beschimpfen lassen musste. „Bis diese Menschen sterben, muss man mit ihnen leben“, kommentiert sie morbide.
Obwohl die graue Wählerschaft der Linken vor allen Dingen unter ostdeutschen Nostalgikern zu finden ist, präsentiert sich mit auch ein anderes Gesicht der Partei. Giaculli beschreibt die Linke mit einigen Stichwörtern: Offenheit, Frische, Kultur und Festivals. Durch die Begegnungen, die ich mit der Partei hatte, kann ich diese Einschätzungen durchaus teilen. Ich habe eine Gruppe Linker Vertreter vor dem Familienministerim getroffen, wie sie eine Regenbogenflagge schwenkten. Einige Tage später sah die Flagge der Linken, wie sie sich über den Köpfen eines lesbisch und schwulen Festivals im Wind wehtre. Ihre Mitglieder versammelten sich zu hart hämmerndem Techno.
Immigration ist das Leib- und Magenthema eines jeden politischen Tieres in Europa, egal ob von links oder rechts. Paola Giaculli ist hierbei keine Ausnahme. Über Jahre haben sich unsere Ohren an das Gerede vom „Sozialtourismus“ von Merkel und Cameron, an Le Pens Islamophobie und das Gedröhne von UKIP gegen Osteuropäer gewöhnt. Selbst linke Parteien leisten sich numerische Scharmützel darüber, wie viele Steuern und Profite Immigranten einbringen. Somit leisten Paola Giacullis utopische Idee einen wichtigen Beitrag, um die Debatte wieder mit Leben und Geist zu füllen.
„Ich glaube nicht an eine Welt, die durch Grenzen geteilt wird“, sagt sie mir mit einer Aufrichtigkeit, die ich als aussagekräftiger, als alle verführerischen Statistiken empfinde. Statt sich mit kleinlichen Beschwerden über Immigration aufzuhalten, möchte Giaculli sich lieber mit anderen Problemen befassen. Immigranten, die aus Europe „aufgrund von Krieg, Hunger und Folter fliehen“ - um die möchte sie sich kümmern. Sie glaubt, dass alle Europäer den gleichen Pass haben sollten. Mit ihren Ausführungen zum Transnationalismus, nimmt sie mir eine dringliche Frage bereits vorweg: Warum arbeitet eine italienische Ex-Kommunistin im Bundestag? „Ich glaube an das europäische Projekt“, erklärt Giaculli, „also macht es keine Unterschiede wo ich arbeite.“
Lass uns nochmal über die Milliarden sprechen
Was ist mit dem großen Kämpfen im 20. Jahrhundert gegen den Kapitalismus passiert, jetzt wo wieder eine große Rezession vor der Tür steht. Giacullis sozialistische Leidenschaft richtet sich augenblicklich gegen das Transatlantische Handelsabkommen (TTIP) (wenn du davon noch nichts gehört hast, dann wirst du es bald). „Das TTIP zu beenden wird eine der größten Herausforderungen gegen den Kapitalismus unserer Zeit sein.“ Sie charakterisiert das Abkommen als einen direkten Angriff auf die Demokratie, eine Gefahr für die Arbeiter, die jahrzehntelang für ihre Rechte gekämpft haben.
Tatsächlich lassen sich die meisten Ungerechtigkeiten mit denen sich Giaculli konfrontiert sieht, auf den Kapitalismus zurückführen. Die passionierte Pazifistin empört sie sich über den kapitalistischen Waffenhandel: „Wie kann man Maschinen bauen, die zum töten da sind? Das ist unlogisch und schlimm!“ Sie schimpft über ein System, das Produkte ausspuckt, die die meisten Menschen sich nicht leisten können. Damit stimmt sie in ein Konzert, das an François Holland erinnert, der ursprünglich einmal gesagt hatte: „Ich mag keine Reichen.“ Giaculli formuliert das so: „es gibt zu viele Menschen mit zu vielen Milliarden. Ich will denen diese Milliarden wegnehmen.“
Aber anstatt die einfach die Welt zu verändern, schlägt Giaculli vor, unsere Wahrnehmung der Welt zu revolutionieren. Sie attackiert das Kapital und den Warenfetischismus. Das aktuelle System würde uns unnütze Dinge schmackhaft machen. Mit einem Nicken in Richtung Marx‘ Theorie der Entfremdung sagt sie, dass der Kapitalismus uns nach irreführenden Idealen streben lasse und Menschen zu Instrumenten mache. „Du brachst nicht viel, um ein gutes Leben zu führen“, unbewusst hört sie sich nach Jesus Christus an. Wenn Jesus der erste Sozialist war, dann sind Merkels Christdemokraten am falschen Ende des politischen Spektrums.
Als sich das Interview dem Ende neigt, entrollt sich hinter ihr eine Leinwand. Der Projektor stottert kurz, bevor er Giaculli fast erblinden lässt. Sie dreht sich um und sagt trocken: „Mexiko gegen Kamerun“, bevor sie mit noch eine Anekdote über die Weltmeisterschaft mit auf den Weg gibt. Es stellt sich heraus, dass Giaculli für die Weltmeisterschaft 1990 in Italien als Pressereferentin gearbeitet hat. Obwohl es „ziemlich viel Spaß“ gemacht hat, hat ihr die WM aufgrund des "Gemetzels" der FIFA im Hintergrund doch ziemlich zu schaffen gemacht. Sie spuckt die Namen Blatter und Havelange aus, als wären es Schimpfwörter. „Sie gehören einer Mafia an“, schäumt sie, „ich bin davon angeekelt. Sie haben alles verdorben. Der Kapitalismus hat alles verdorben. Er hat uns unseren Spaß geraubt.“
DIESE REPORTAGE WURDE IM RAHMEN DES PROJEKTS "EUTOPIA – TIME TO VOTE" IN BERLIN VERFASST. DAS PROJEKT IST IN ZUSAMMENARBEIT MIT DER HIPPOCRÈNE-STIFTUNG, DER EUROPÄISCHE KOMMISSION DEM FRANZÖSISCHEN AUSSENMINISTERIUM UND DER EVENS-STIFTUNG DURCHGEFÜHRT WORDEN. FINDE BALD ALLE ARTIKEL AUS BERLIN AUF DER STARTSEITE VON CAFÉBABEL.
Translated from The Political Animal: An Italian Communist in the Bundestag