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Das Land der roten Quadrate - Jugendkultur im Iran

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Kultur

Der 1. April ist im Iran Nationalfeiertag - der Tag der Islamischen Republik: 30 Jahre nach der Islamischen Revolution erwehrt sich eine unbeliebte Regierung erneut einer unzufriedenen Jugend. Doch der iranische Widerstand gegen das eigene Regime kennt lediglich Taktiken, aber keine Strategie. Ein Stimmungsbild.

©looking4poetry/flickrDie Zeichnung, die Schirin Germez* in einem verrauchten Café in  mit einem schnellen Schub über den kleinen Tisch herüberschickt, füllt kaum eine Serviette. Sie zeigt eine nackte Frau, die umgeben von bedrohlichen Tuscheklecksen einen ängstlichen Blick auf den Betrachter wirft. Die Schwärze ihrer Umgebung hat bereits Besitz ergriffen vom Körper der Frau, die Dunkelheit frisst sich weiter und weiter in sie hinein. Nur ein leuchtend rotes Quadrat in der Körpermitte, geschützt von zwei gefalteten Händen, wehrt das Schwarz noch ab. „Das können sie mir nicht nehmen“, sagt die junge Schauspielerin mit Pathos, als sie auf das Quadrat tippt, mit der anderen Hand eine Zigarette ausdrückend. „Aber ich darf es in diesem Land auch niemals zeigen“.

Die Angst vor der eigenen Regierung, die Schirin Germez nur gegenüber einem reisenden Fremden kurzzeitig ablegt, ist in vielen Städten des Landes spürbar. Die Amtszeit des reformorientierten Staatspräsidenten Chatami von 1997 - 2005 war geprägt von Hoffnung auf Veränderung, doch seit dem Sieg der konservativen Elite um Chamenei und Ahmadinedschad hat sich Enttäuschung unter den urbanen, oft westlich orientierten Jugendlichen breit gemacht. Einige von ihnen streiten wie eh und je für eine liberale Gesellschaft, wie die angehenden Mediziner der Universität Schiras, die sich gegen die geplante Geschlechtertrennung in ihren Hörsälen zur Wehr setzen. Doch die meisten haben resigniert. Sie wissen, dass sie in dieser Islamischen Republik nicht zu Hause sind. Aber sie glauben nicht daran, diese Republik noch verändern zu können.

Regimekritische Frisuren

©kamshots/flickrDaher hat sich die Jugend der iranischen Mittelschicht auf ein riskantes Katz-und-Maus-Spiel mit dem Regime eingelassen, das auf die Durchdringung des öffentlichen Raums mit Symbolen der Ablehnung abzielt. Die Schleier der Frauen rücken nach hinten, bis die Polizei einschreitet und scharfe, jedoch meist zeitlich begrenzte Kontrollen durchführt. Extravagante Frisuren und Kleidung dominieren in manchen Vorstädten Teherans so sehr, dass man sich für einen kurzen Augenblick in Tokyo oder London wähnen könnte. Doch auch hier greift die Staatsmacht schnell ein und setzt die selbsternannte islamische Kleiderordnung durch. Gar die Friseure werden angehalten, sich bei ihrer Arbeit im Zweifelsfall nicht nach den Wünschen der Kunden, sondern nach den Vorstellungen der Regierung zu richten. Viele Ladenbesitzer bringen die obligatorischen Fotos der Imame Khomeini und Khameini nicht über der Tür oder neben der Kasse an, sondern über Regalen,die, „ach so ein Missgeschick!“, auch einmal vollgestapelt werden und so die Sicht auf die Führer der Immerwährenden Islamischen Revolution verdecken. Hinzu kommen der Konsum von Drogen und westlicher Musik sowie die Untergrabung der strikten Sexualmoral in den jugendlichen Subkulturen. All dies ist riskant, daher aber umso reizvoller.

©Paul Keller/flickrDoch wie effektiv können diese Taktiken eines symbolischen Widerstands in einem repressiven Staat sein? Und ist er wirklich politisch motiviert oder nährt er sich nicht lediglich aus dem hedonistischen Wunsch der jungen Iraner nach Individualität und anderen Vorzügen der Moderne? „In einem theokratischen Staat ist Hedonismus bereits eine Form des politischen Widerstands!“, meint Hashem Vali, ein 50jähriger Softwareingenieur aus Teheran, der viele Jahre seines Lebens in Großbritannien verbracht hat. „Meine Generation hat die offene Agitation gegen das Regime propagiert, doch wir mussten entweder emigrieren oder wurden als Kanonenfutter an die vorderste Front im Ersten Golfkrieg geschickt. Die Waffen der heutigen jungen Generation sind nun einmal Jeans, Rockmusik und Internet.“ Er spricht damit eine Hoffnung auf Veränderung aus, die durch demographische Daten gestützt wird. Das Durchschnittsalter der iranischen Bevölkerung liegt bei 25,8 Jahren (Deutschland: 43 Jahre) und die religiöse Staatsführung kann nur noch einen kleinen Teil der 25 Millionen Bürger unter 30 Jahren für den von ihr propagierten rigorosen Lebensstil begeistern. „Doch ich bin nicht sicher, ob das Tragen von Baseball-Caps zum Ende des Regimes führen wird“, bemerkt Herr Vali weiter. Das Regime sei zwar verunsichert durch den Trotz der Jugend, doch wenn dieser nicht bald zu einer Reform der staatlichen Institutionen führe, glaube er nicht mehr an eine nachhaltige Veränderung der politischen Verhältnisse.

Es soll gar einen Ehrenkodex unter Teheraner Taxifahrern geben, der die Mitnahme eines Mullahs verbietet.

Das Paradox eines apolitischen Widerstands wird ergänzt durch den Widerspruch, der sich dem Reisenden bietet, wenn er in den wohlhabenderen Stadtteilen Teherans Moscheen aufsucht und ein weiteres Symbol des Widerstands entdeckt. Sie sind leer. Selbst an Freitagabenden füllen sie sich nur mit einigen älteren Gläubigen, während die Jugend lieber auf dem Motorrad durch den Sommerabend braust als zu beten. Die fromme Islamische Republik Iran weist viele areligiöse Flecken auf. Die Verquickung von Staat und Islam hat in weiten Bevölkerungskreisen dazu geführt, dass das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird. Die Geistlichen des islamischen Glaubens, die Mullahs, sind die bevorzugte Zielscheibe der Wut: sie werden in derben Witzen verspottet und es soll gar einen Ehrenkodex unter Teheraner Taxifahrern geben, der die Mitnahme eines Mullahs verbietet. Die radikalste Form der Ablehnung stellt jedoch die Konversion zum altpersischen Zoroastrismus oder zum Christentum dar. Die Zahl der heimlichen Konvertiten ist nur zu schätzen, doch selbst die vorsichtigsten Beobachter sprechen von Zehntausenden zumeist jungen Iranern die diesen Schritt in den letzten Jahren vollzogen haben. Auch hier hat das Regime das drohende Unruhepotential erkannt und im letzten Frühling die Wiedereinführung der Todesstrafe für die Apostasie, also für den Abfall vom muslimischen Glauben, auf den Weg gebracht. Damit ist ein weiteres, äußerst gefährliches Spielfeld eröffnet in der Konfrontation zwischen den Vätern und den Kindern der Islamischen Revolution.

Traum vom Westen

Es überrascht nicht, dass in dieser festgefahrenen Situation der Traum vieler junger Iraner ein Leben im Westen ist. Sie „stimmen mit den Füßen ab“ und kehren ihrem Geburtsland den Rücken, falls sie über genügend Geld, Kontakte oder auch nur ein ausreichendes Maß an Verzweiflung verfügen. Aufgrund von hohen Dunkelziffern ist die Zahl derer, die Iran seit der Revolution verlassen haben, nicht eindeutig festzustellen, die Schätzungen schwanken zwischen 1,5 und 4 Millionen Flüchtlingen seit 1979.

©Hamed Saber/flickr

Die Daheimgebliebenen, die sich nicht dem aktiven Widerstand anschließen möchten oder können, stellen sich hingegen auf ein langes Doppelleben ein, das zwar in der Öffentlichkeit immer und immer wieder die Grenzen des Mach- und Sagbaren auslotet, sich aber ansonsten im Schutz des eigenen Heims abspielt. Dort kann der Schleier abgelegt, das Satellitenfernsehen eingeschaltet und der auf dem Schwarzmarkt leicht zu beschaffende Wodka ausgeschenkt werden. Dort schafft sich jeder regimekritische Bürger, ganz wie Schirin Germez in Esfahan, sein kleines rotes Quadrat, auf das die Staatsmacht keinen Zugriff hat.

Nachdem sie ihr Gebet zum Sonnenuntergang beendet hat und sich wieder ihrem Kaffee widmet, fragt der fremde Reisende, warum sie denn nicht die direkt anliegende Moschee aufgesucht habe. Schirin Germez blickt vorwurfsvoll, nimmt einen Stift und schreibt als letzten Gruß in das Notizbuch des Fremden: “I am in love with the God of Massih“. Massih ist das persische Wort für Christus.

(* alle Namen geändert)