Das Europa-Mandat: Sprungbrett oder Karriereknick?
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Janina HeelDie Mehrheit der Politiker reißt sich nicht gerade um ein Europa-Mandat. Sie träumen eher davon, in der nationalen Politik Karriere zu machen. Es gilt das Motto: Alles entscheidet sich im eigenen Land. Wo sind sie nur, die Europabegeisterten?
In Frankreich hat das kategorische Nein der jungen Rama Yade, die vom französischen Präsidenten gebeten wurde, für die Europawahlen 2009 zu kandidieren, ein Tabu gebrochen. Die Staatssekretärin für Menschenrechte hat es lieber in Kauf genommen, bei ihrem Mentor Nicolas Sarkozy in Ungnade zu fallen, als sich ins Straßburger Exil zu begeben. Da sie ein nationales Mandat als „motivierender“ empfand und um sich in Frankreich nicht ins politische Abseits zu manövrieren, hat sie das Angebot des Präsidenten abgelehnt. Auch wenn europäische Regierungschefs, bei denen diese Haltung auf Empörung stößt, immer wieder versuchen, das EU-Parlament als einen Ort zu präsentieren, an den nur die besten und fähigsten Politiker entsandt werden, ändert das nichts an der Lage.
Das EU-Mandat wird von Politikern vor allem als Pflicht empfunden
Eine andere französische Politikerin, Rachida Dati, Justizministerin und Bürgermeisterin des siebten Arrondissements von Paris, konnte die „sanfte Sanktion“ allerdings nicht ablehnen, da sie in diesem Falle eine noch schärfere Sanktion riskierte: Dati hat schließlich klein beigegeben – allerdings nur nach Abschluss eines Kuhhandels zu ihren Gunsten: Sobald sie ihr Europa-Mandat beendet hat, ist ihre Zukunft in der nationalen Politik und die Aussicht auf eine Rückkehr in die Regierung garantiert. Diese Einstellung zeigt deutlich, dass ein Europa-Mandat weit davon entfernt ist, als berufliche Beförderung zu gelten, sondern vielmehr als Pflichtaufgabe empfunden wird. Schlimmer wird es nur noch, wenn der Begriff „politisches Opfer“ fällt.
Jungpolitiker in den Startlöchern
Das ist bei der Rechten wie der Linken der Fall: Olivier Besancenot, der Sprecher der französischen Nouveau Parti Anticapitaliste (auf Deutsch „Neue Antikapitalistische Partei“; A.d.R.), hatte sich auf den dritten Platz seiner Parteiliste stellen lassen, auf dem er nur wenig Chancen hatte, gewählt zu werden. Warum? Ihm geht es vor allem darum, „den Kampf auf den Straßen Frankreichs fortzuführen.“ Im Klartext heißt das, dass er weiterhin in der nationalen Politik präsent sein und sein Ziel - die Präsidentschaftswahlen 2012 - nicht aus den Augen verlieren will. Für den jüngsten französischen Europaabgeordneten, den 29jährigen Zentrumsanhänger Damien Abad, ist die Europawahl ein Sprungbrett auf die nationale Ebene: „Ich werde in meinem Job in Straßburg 100 Prozent geben,“ verspricht er. „Aber auf lange Sicht möchte ich mich fest im Rhônegebiet etablieren. Bei den nächsten Regionalwahlen werde ich auf dem ersten Listenplatz stehen.“
"Ich hatte eigentlich andere Pläne, aber jetzt werde mich mit 100prozentig meiner Aufgabe widmen"
Für wieder andere war die Wahl ins EU-Parlament eine richtige Überraschung: So ging es zum Beispiel den jungen Kandidaten, die sich für Europe Ecologie im Großraum Paris zur Wahl gestellt hatten. Die 35jährige Journalistin Pascal Canfin und die 29jährige Karima Delli, die sich seit 2005 für die Grünen engagiert, haben an der Seite von Daniel Cohn-Bendit Wahlkampf betrieben: Von nun an tagen sie in Straßburg. „Ich war sehr überrascht über meine Wahl. Ich hatte eigentlich andere Pläne, aber jetzt bin ich gewählt und werde mich mit 100prozentig meiner Aufgabe widmen. Bei Europe Ecologie geht es um aktive Mitarbeit. Ich wende mich an alle, die sich uns gerne anschließen würden, um von diesem Wahlergebnis zu profitieren,“ appelliert Karima Delli. „Ich bin aktiv geworden, weil meine Generation Verantwortung trägt. Ich will voll dabei sein.“
Ist das EU-Mandat doch nur eine vorübergehende Parteischelte?
Auch in den anderen Ländern Europas fehlen die Beispiele nicht. In Deutschland hat ein Europa-Mandat zum Beispiel dem in der Bevölkerung beliebten Cem Özdemir geholfen, wieder politisch Fuß zu fassen. Heute ist er Vorsitzender der Grünen und kann dank seines Europa-Mandats trotz der "Affäre Hunzinger" wieder ganz vorne auf der politischen Bühne stehen. Nachdem seiner Wahl zum Abgeordneten, war er vor allem durch seine Verstrickung in die Flugmeilenaffäre bekannt geworden. Über Straßburg ist Cem Özdemir nun ganz diskret wieder in die deutsche Politik zurückgekehrt und wird manchmal sogar als „deutscher Obama“ bezeichnet.
Straßburg als finanzielle Altersvorsorge?
Die Europaabgeordneten erhalten ein monatliches Gehalt, das mindestens genau so hoch ist wie das ihrer nationalen Amtskollegen. Dazu kommen noch einige durchaus ansehnliche Vergütungen, die das Gehalt auf mehr als 7000 Euro monatlich anwachsen lassen. Ist es vielleicht der finanzielle Faktor, der Politiker dazu motiviert, sich ins EU-Parlament wählen zu lassen? Die Vergütung sichert ihnen ein durchaus komfortables Leben und kann manchmal auch eine gute Finanzierungsquelle sein: So ließe sich zum Beispiel die Präsenz der Front National (einer rechtsextremistischen französischen Partei; A.d.R.), die sonst eher durch ihre Europa-Skepsis auffällt, auf den Bänken des EU-Parlaments erklären.
Und schließlich gibt es auch noch die Abgeordneten, die die europäische Oase vor ihren Augen haben verschwinden sehen. In Polen hat der ehemalige polnische Premierminister, Mitglied der Prawo i Sprawiedliwosc (einer konservativ und europaskeptisch Partei; A.d.R.), flink seine politische Überzeugung gewechselt, um sich auf der Liste der Platforma Obywatelska (auf Deutsch „Bürgerplatform“; A.d.R.) von Donald Tusk, der ihn aktuell an der Spitze der Regierung abgelöst hat, zur Wahl zu stellen. Erst durch seine Aufsehen erregende Scheidung - er hatte seine Ehefrau für eine 28jährige verlassen - hat er allerdings vollends seine politische Glaubwürdigkeit verloren. Da wurde es dann auch mit dem EU-Mandat nichts mehr…
Translated from Le mandat européen : planque ou tremplin ?