„Das deutsche Selbstbewusstsein schließt Europa mit ein“
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Interview mit Daniel Cohn-Bendit, Co-Vorsitzender der Grünen-Fraktion im Europaparlament, über die Rolle Deutschlands in Europa
Daniel Cohn-Bendit ist ein Flagschiff der europäischen Grünen. 1968 wurde er aus Frankreich ausgewiesen, nachdem er die Maiunruhen in Paris angeführt hatte. Heute ist er jedoch, genauso wie sein Freund Joschka Fischer, in der Realpolitik angekommen und bekleidet das Amt des Co-Vorsitzenden der Grünen-Fraktion im Europaparlament. So gibt er sich auch in den Antworten auf unsere Fragen zur deutschen Rolle in Europa ganz pragmatisch.
Café babel: Herr Cohn-Bendit: Kann man die Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich heute noch als Freundschaft, als Motor für europäische Visionen bezeichnen oder gleichen sie nicht vielmehr einer Zweckehe?
Cohn-Bendit: Es ist weder eine Ehe, noch eine Freundschaft, sondern eine deutsch-französische politische Gemeinschaft, die sich in den letzten 40, 50 Jahren entwickelt hat. Staaten, die durch Politiker wie Chirac und Schröder repräsentiert werden, können nicht miteinander befreundet sein, nur einzelne Menschen können das. Aber es besteht eine deutsche und französische politische Einheit. Das ist das Entscheidende.
Sind die Beziehungen heute nicht viel pragmatischer als früher?
Die Beziehungen waren immer schon pragmatisch. Es ist allerdings richtig, dass sich Deutschland und Frankreich gesellschaftlich stark angenähert haben.
Gibt es in der heutigen deutschen Außenpolitik nicht einen massiven Interessenkonflikt zwischen einem wachsendem Selbstbewusstsein und dem europäischen Einigungsprozess?
Deutschland ist und war schon früher stark, nicht nur europäisch engagiert. Aber Deutschland ist auch stark von Europa abhängig. Das sind die Lehren, die Deutschland aus der verheerenden NS-Zeit gezogen hat. Deshalb glaube ich, das hat Helmut Kohl ja schon im Vereinigungsprozess gezeigt, dass die deutsche Einheit nicht im Widerspruch zur Europäischen Einheit steht. Das deutsche Selbstbewusstsein schließt Europa mit ein.
Aber hat nicht die deutsche Haltung in der Irak-Frage zu einer Spaltung in Europa geführt?
Das hat nicht allein mit der deutschen Position zu tun. Auch die Franzosen hatten eine Position, die mit derjenigen der Deutschen, Belgier und Luxemburger vereinbar war. Deshalb kann man nicht sagen, dass Deutschland Europa gespalten hat. Es gab eine Spaltung in Europa, in der unterschiedliche europäische Staaten unterschiedliche Positionen hatten.
Sie erwähnten eben die enge Verbindung zwischen Deutschland und Europa. Glauben Sie, dass hinsichtlich der Osterweiterung der deutsche Einigungsprozess der EU als Vorbild dienen kann?
Der Einigungsprozess war und ist für Deutschland ein sehr teurer Prozess. Das kann Europa in dieser Art gar nicht bezahlen. Deshalb bin ich eher der Meinung, dass der europäische Einigungsprozess seinen eigenen Weg gehen wird. Die deutschen Beispiele werden da am Ende wenig nützen.
Welche Visionen hat Deutschland noch für Europa? Sie sprechen in Ihren Interviews oft von einer „europäischen Föderation“. Teilen sie Fischers Vision von einer solchen „europäischen Föderation“ mit einem 2-Kammernsystem und einer regelrechten Exekutive?
Auseinandersetzungen über eine so weite Zukunft sind jetzt verfrüht. Zur Debatte steht jetzt der Verfassungsentwurf des Konvents, dabei sollten wir bleiben. Ich glaube, dass er ein Kompromiss ist, der erstmal bestätigt werden muss, damit wir weiterkommen.
Ist der Verfassungsentwurf ein Schritt in die richtige Richtung?
Ich glaube, dass der Verfassungsentwurf Europa auf eine Verfassungsbasis stellt, und das ist richtig. Natürlich ist es möglich, dass in den nächsten Jahren noch Änderungen vorgenommen werden. Aber es ist ein Ansatz, der Europa weiterbringt.
Sie plädieren für eine europaweite Volksabstimmung über den Verfassungsentwurf. Haben Sie keine Angst, dass gerade solche Massenblätter wie die „Bildzeitung“ in Deutschland Volkes Meinung manipulieren könnten?
Ich traue den Völkern einiges zu. Ich glaube nicht an Pressemanipulation. Das sind Auseinandersetzungen, die man austragen muss.
Zum Schluss eine Frage zur europäischen Jugendpolitik: Was denken Sie von der Generation, die nach Ihnen kommt? Ist sie politisch engagiert, kann man vielleicht sogar von einer „Eurogeneration“ sprechen?
Die Jugend ist selbstverständlicher europäisch, als andere Generationen es waren. Der europäische Raum ist für die jungen Menschen von heute ein Raum, in dem sie sich ganz selbstverständlich bewegen, und das ist auch richtig so. Natürlich könnte die EU, was Programme für die Jugend angeht, durchaus noch mehr machen. Ich denke da beispielsweise an so etwas wie einen europäischen sozialen Dienst.