Das Bistro Syrien: Ein bisschen Freiheit
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Barbara BraunMitten in Paris gibt es einen Ort, an dem sich Exil-Syrer zwischen Mezze und anderen Leckereien wie zu Hause fühlen: das Bistro Syrien von Al Batin Ahmad. Es ist ein Ort, wo Unterschiede erwünscht sind und Freiheit über alles geht. Hier sind alle Blicke auf die syrische Rebellion gerichtet.
Auf den weißen Wänden des Restaurants kann man die Hoffnungen, die auf der syrischen Rebellion ruhen, nachlesen. Unzählige Forderungen auf Arabisch, die ich nicht lesen, aber spüren kann. Als ich Herrn Ahmad bitte, mir ein paar davon zu übersetzen, meint er nur, dass es hauptsächlich um Freiheit geht. „Jedenfalls ist klar, dass diese Parolen nicht von radikalen Islamisten geschrieben worden sein können“, meint er stolz.
Viel Baklava, eine Fahne und eine satirische Wochenzeitung
Das Bistro Syrien am Boulevard Bonne Nouvelle Hausnummer 14 ist für Exilsyrer wie ein Stück Heimat. Es ist ein Ort mit warmem Licht, an dem jeder willkommen ist. „Ob Künstler, Schriftsteller, Aktivisten, ganz normale Menschen, Sunniten, Alawiten, Christen oder Kurden, hier fühlen sich alle wie zu Hause“, erklärt uns der Besitzer dieses traditionellen syrischen Restaurants. Wie ein Beweis seiner Worte liegt beim Eingang neben einem Berg Baklava die satirische Wochenzeitung Le Canard Enchaîné, die man nur an Orten findet, an denen Meinungsfreiheit ein respektiertes Grundrecht ist.
Al Batin Ahmad ist vor zwanzig Jahren von Nawa nach einem kurzen Zwischenstop in Schweden, in Paris angekommen. Als der Arabische Frühling in Tunis ausbrach, dachte er, „dass dasselbe in Syrien passieren wird“. Und so war es dann auch. Knapp drei Jahre später und 1000 km weit entfernt verteidigt der schüchterne und entgegenkommende 42-Jährige von seinem gastronomischen Stützpunkt aus die syrische Rebellion. „Die erste Demonstration in Paris zur Unterstützung der syrischen Rebellion hat in diesem Restaurant begonnen“, erklärt er stolz. Neben ihm hängt die Fahne der Rebellen, sie hat einen Ehrenplatz. Grün, weiß und schwarz. Manchmal kann eine Rebellion auch farbig sein. „Syrien darf kein totalitäres Regime haben und auch keine Hochburg radikaler Islamisten werden. Syrien ist eine Mischung von Volksgruppen und Religionen, eine 4000 Jahre alte Zivilisation. Dieses Land verdient Freiheit, wie alle anderen Länder der Welt.“ Freiheit – das Wort klingt als hätte es ein Echo, wenn es den Mund des Herrn Ahmads verlässt.
"ich musste zusehen wie sie ihm ein auge ausrissen"
Wie jeden Abend kommen Exil-Syrer um zu diskutieren, gut zu essen und sich umzuhören. Herr Ahmad stellt mir einige Gäste vor und schlägt mir vor, mich zu ihnen an den Tisch auf der Terrasse zu setzen. Der Duft der Wasserpfeife erfüllt die Winterluft. Einer der Gäste beendet gerade ein Telefongespräch und stellt sich gleich darauf vor. Er heißt Houssam Al-Deen und wirkt sehr nett. „Ich bin freier Journalist, habe für France 2, CNN und BBC gearbeitet“, erklärt er mir in perfektem Englisch. „Ich habe Damaskus am 29. Mai verlassen“ – als die Behörden nach seiner Festnahme seinen wahren Beruf herausgefunden haben. „Hier ist es ein bisschen wie in Syrien, ich fühle mich hier zu Hause“, fügt er mit ernster Mine hinzu. Houssam wiederholt immer wieder, dass Al Batin wie ein Vater für alle ist. „Ich kenne viele Syrer, die hier ankommen und kein Wort Französisch können, kein Geld und keine Unterkunft haben. Er hilft ihnen allen“, erklärt er. „Ich habe hier im Restaurant geschlafen. Und Neujahr haben wir gemeinsam mit 64 anderen Flüchtlingen gefeiert.“
An unserem Tisch sitzt auch der Künstler Khaled Alkhani, der vor drei Monaten die Wände des Bistro Syrien neu gestaltet hat. Er hat Schatten und Silhouetten in warmen Farben gemalt. Er ist in Hama geboren, wo er eine traumatische Kindheit erlebt hat. Er war erst 7 Jahre alt, als im Februar 1982 die syrische Armee Hafed El-Assads (der Vater von Bachar, Ex-Präsident Syriens von 1970 bis 2000, Anm. d. Red.) die ganze Stadt niedergewalzt hat. Das war die Vergeltung für die Rebellion der sunnitischen Gemeinschaft. 40 000 Menschen, vorwiegend Zivilisten, wurden damals grausam ermordet. Darunter auch Khaleds Vater. „Ich musste mit ansehen, wie sie ihm ein Auge ausrissen. Dieses Bild krieg ich einfach nicht aus meinem Kopf“, erinnert er sich, Wut und Schmerz sind ihm ins Gesicht geschrieben. „Wir versuchen hier, Syriens Zukunft aufzubauen, und das geht nur mit dem Fall des Regimes von Bachar Al-Assad“, ist er überzeugt. „Sie nehmen sich alle Rechte heraus und glauben weiter ungestört töten zu können.“ Khaled ist überzeugt, „dass das syrische Volk bereit ist, bis auf seinen letzten Atemzug für seine Freiheit zu kämpfen, egal wie viel es dabei verlieren wird.“ Seine Zeichnungen und das Restaurant sind ein „Fenster zur Welt“, ein Ort, an dem man reden kann „ohne Rechenschaft ablegen zu müssen“.
Islamismus ist für den Westen ein Vorwand zum Nichtstun
Ein paar Meter weiter diskutieren Firas und Sadek angeregt und lachen. Die beiden Freunde stammen aus Damakus und sind schon ein paar Jahre vor Beginn der Revolution nach Paris gekommen. Firas ist auch Maler und arbeitet halbtags im Restaurant, „um ein bisschen Geld zu verdienen. Ich habe als Fotograf für die Frau des Präsidenten gearbeitet, musste dann aber aufhören und bin weggegangen“, vertraut er mir an. Sadek Abou Hamed ist Journalist bei France 24. „Ein französischer Kollege hat mich gefragt, ob die Revolution in Syrien laizistisch ist. Ich hab ihm geantwortet, dass die Werte, die dort verteidigt werden, viel einfachere sind: Menschenwürde und Freiheit“, meint er mit den gewandten Worten eines Fachmannes. „Die Einmischung radikal islamistischer Gruppen haben das Gesicht der Revolution beschmutzt. Aber die Grundprinzipien bleiben“, fügt er hinzu und meint abschließend, dass „der Islamismus als Vorwand für den Westen dient, sich nicht einmischen zu müssen.“
Firas steht hastig auf: „Entschuldigt bitte, ich muss los, am Freitag spielen wir immer Fußball.“ Ein Stück weiter wartet die gesammelte Mannschaft, freut sich und umarmt sich. Al Batin, Houssam, Khaled und viele andere. Alle gönnen sich einen Moment der Freude, eine Auszeit von der Revolution, die langsam zum Krieg wird. Eine Auszeit um Schmerz und Abwesende zu vergessen. Dank Herrn Ahmad und seinem duftenden Refugium haben alle einen Ort gefunden, an dem die Freiheit des syrischen Volkes schon begonnen hat und weiter gedeihen kann.
Die Gespräche führte Alexandre Martinez in Paris.
Translated from La libertad de Siria también se cocina en París