Das bewegte Berlin: Tag der Arbeit
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In „Das bewegte Berlin“ nehmen Babel-Autoren rückblickend das Top-Thema der vergangenen Woche in der deutschen Hauptstadt auf. Die Sichtweise ist subjektiv, analytisch, kommentierend aber immer auch informierend. Schreibt uns in Kommentaren eure Meinung zum Thema. Von Matthias Jekosch Am Abend musste selbst Berlins Polizeipräsident Dieter Glietsch die Beine in die Hand nehmen.
Einige Autonome hatten ihn erkannt und warfen Flaschen nach ihm. Personenschützer brachten ihn daraufhin in einem Mannschaftswagen in Sicherheit. Kreuzberg am 1. Mai – ein gefährliches Pflaster.
„Die Randale am Rande ist bedauerlich, hat den 1. Mai aber nicht geprägt“, sagte ebenjener Glietsch am Tag darauf und präsentierte Zahlen zum Beweis: 138 Personen wurden fest genommen. Das sind mehr als zuvor und zwar deshalb, so erklärte Innensenator Ehrhart Körting, weil die Polizei konsequenter Steine- und Flaschenwerfer aus der Menge herausgreife. 90 Polizisten wurden leicht verletzt. Im vergangenen Jahr waren es noch 115. Die Krawalle passierten am Rande des berüchtigten SO36-Kiezes, des ehemaligen Postzustellbezirkes, in dem die ersten heftigen Straßenschlachten 1987 statt fanden und seitdem jährlich ritualisiert wurden. Blutige Nasen auf beiden Seiten gab es, ja. Aber die Gewalt geht zurück. Mittendrin in dem einstigen Krawallstadtteil zwischen Kottbusser Tor und Mariannenplatz feierten beim sechsten „Myfest“ nach Veranstalterangaben etwa 20000 Menschen friedlich. Kreuzberg am 1. Mai – Volksfeststimmung.
Irgendwann hatten die Anwohner keine Lust mehr auf mit Brettern vernagelte Fensterscheiben und Gewaltausbrüche in ihrer Mitte. Zusammen mit dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg riefen sie 2003 das „Myfest“ ins Leben. Es riecht nach Gegrilltem. Bratwürste, Salate und vor allem türkische Spezialitäten werden alle paar Meter angeboten. „Es macht Spaß mit den Leuten zu quatschen“, findet Ediybe Kirac. Sie wohnt in der Oranienstraße und bietet vor ihrer Haustür auf einem Bierzelttisch Kaffee, Kuchen und Salate an. Wie viele Nachbarn und Gewerbetreibenden insgesamt mitmachen weiß Organisatorin Silke Fischer nicht genau, aber sie versichert: „Die Beteiligung ist enorm.“
Keine Krawalltouristen
Auf 17 Bühnen spielen mehr als 17 Bands. „Ich bin hier wegen der Party“, sagt zum Beispiel der Spanier Gabriele Radelio. Noch vor wenigen Jahren trauten sich höchstens Krawalltouristen zum Kottbusser Tor vor. Eine Zeit, die manche auch zurücksehnen. Ein Mann mit angegrauten Haaren, die zum Pferdeschwanz zusammengebunden sind, stellt sich als „Atze“ vor. Atze erzählt, dass er seit über 25 Jahren im Bezirk wohnt. „Das Fest wird zu viel, irgendwann gibt es gar keine Demo mehr“, fürchtet er. Mitglieder der linken Szene bezeichnen die Feier deswegen als „Konsumfest“.
Der politische 1. Mai fand tatsächlich nicht in Kreuzberg statt, obwohl alleine dort drei Demos angemeldet waren. „Viele wissen doch gar nicht mehr um was es geht“, findet Tine Blisse, die in einem linken Jugendprojekt arbeitet. Viele politisch motivierte Linke reisten stattdessen nach Hamburg, wo es die schwersten Ausschreitungen am 1. Mai seit langem gab. Dort hatte die rechtsextreme NPD eine Demo angemeldet, gegen die mehr als 6000 Gegendemonstranten aufliefen. Die Zahl der Verletzten war mit 59 zwar geringer als in Berlin, erschreckend war aber die Brutalität. Der Hamburger Einsatzleiter der Polizei sagte, nur der Eingriff der Beamten habe verhindert, dass es Tote gab.
Der Tag der Arbeit wird traditionell weltweit am 1. Mai begangen. In Europa ist der Tag nur bei Dänen, Engländern, Iren, Holländern und Türken kein Feiertag. Ausschreitungen gehören leider dazu. Schon der Beginn der Arbeiterbewegung 1886 in den USA endete nach einem Bombenwurf in Chicago blutig. Vier der Anführer wurden damals gehenkt. Auch in anderen Ländern eskaliert die Gewalt. In diesem Jahr gab es zwölf Verletzte in Zürich und in Istanbul setzten 20000 Polizisten Tränengas gegen Demonstranten ein. Trotz des Festes - auch in Berlin waren die Feiernden vorsichtig. „Abends gehe ich lieber hoch“, sagte Anwohnerin Kirac. Sie wohnt im dritten Stock in der Oranienstraße. Da oben ist sie sicher und hat alles im Blick.