Charlie zu Libération: "So, machen wir jetzt die Zeitung?"
Published on
Translation by:
Katha KlossDie Journalisten von Charlie Hebdo, die das Attentat vom 7. Januar überlebten, haben am letzten Freitag die Arbeit wieder aufgenommen, um am kommenden Mittwoch eine 'normale' Zeitung herauszubringen. Szenen der ersten Redaktionskonferenz 'danach'.
Insgesamt hatte die Redaktionssitzung von Charlie Hebdo mehr als drei Stunden gedauert. Neben dem Layout für die nächste Ausgabe, Themen und Deadlines, muss an diesem Morgen auch über Tote, über Verwundete, über Hommagen und Beerdigungen gesprochen werden. Der ovale Redaktionsraum, den hier alle nur Hublot (Bullauge) nennen und wo wo die Zeitung Libération – in Frankreich gerne „Libé“ genannt – normalerweise ihre tägliche Redaktionssitzung abhält, ist heute ausnahmsweise von den Überlbenden der satirischen Wochenzeitung besetzt. Der Raum, der von einer Seite über ein rundes Fenster beleuchtet wird, ist einerseits überheizt und hat andererseits alle vier Fenster weit aufgerissen, damit der Zigarettenrauch entweichen kann.
Am großen runden Tisch stehen die Computer, die der Verleger Le Monde zur Verfügung gestellt hat. Um den Tisch herum sitzen Willem, Luz, Coco, Babouse, Sigolène Vinson, Antonio Fischetti, Zineb El Rhazoui, Laurent Léger… Insgesamt sind es mehr als 25 Leute mit grauen Minen und verquollenen Augen, der harte Kern, Kollegen, Mitarbeiter und der harte Kern. Sie allesamt sind da, um die nächste Ausgabe von Charlie Hebdo vorzubereiten. Die soll nächsten Mittwoch erscheinen und in einer Auflage von einer Million gedruckt werden. Das ist 20 mal mehr als die gewohnte Auflage der Zeitung.
„Ich habe alle im Krankenhaus gesehen.“ So eröffnet Gérard Biard, der Chefredakteur von Charlie Hebdo, die Sitzung. " Riss [einer der überlebenden Karikaturisten; A.d.R.] wurde an der rechten Schulter verletzt, doch der Nerv wurde nicht getroffen. Natürlich hat er verdammte Schmerzen. Das erste, was er von sich geben konnte, war, dass er sich nicht sicher sei, ob wir mit der Zeitung weitermachen könnten." Fabrice Nicolino, der mehrmals während des Attentats getroffen wurde, "geht es besser", auch wenn "er natürlich starke Schmerzen hat". Patrick Pelloux, Notarzt und Kolumnist bei Charlie Hebdo, erklärt daraufhin die Kinnverletzungen eines weiteren Opfers, Philippe Lançon, der auch Journalist bei Libération ist. Simon Fieschi, der Webmaster, wurde seinerseits in ein "künstliches Koma versetzt". Eine junge Frau bricht in Tränen aus. "Du musst dich nicht schuldig fühlen", versucht Gérard Biard sie zu beruhigen. Alle nicken schweigend mit dem Kopf. Die Frau, die da weint, ist Sigolène Vinson, die während des Anschlags in der Redaktion anwesend war, von den Attentätern jedoch verschont wurde.
Biard leitet zu den Toten über. Wie die Beerdigung organisieren? Wie die nationale Hommage? Mit welcher Musik? Und bitteschön keine Fahnen? "Wir brauchen keine Symbolik, die sie selbst nicht gemocht hätten, sagt einer am Tisch. Man hat Menschen umgebracht, die Strichmännchen zeichneten. Keine Fahnenträger. Wir müssen an die Schlichtheit dieser Menschen und ihrer Arbeit erinnern. Unsere Freunde sind tot, doch wir werden sie nicht auf dem öffentlichen Platz ausstellen." Alle willigen ein.
Massenanfragen für Abonnements
Eine Journalistin erklärt, dass ein spontan von Unbekannten im Netz lanciertes Crowdfunding in weniger als 24 Stunden bereits 98.000 Euro eingebracht hätte. Die Ûberlebenden von Charlie werden von neuen Abonnenten nur so überrannt, die sie im Moment gar nicht händeln können. Aber sehr schnell werden sie in diesem Punkt Hilfe vom Verlagshaus Lagardère bekommen. Der Anwalt von Charlie Hebdo, Richard Malka, meldet sich zu Wort: „Es kommt Geld von überall her. Hilfe, Räumlichkeiten, Personal, um die Anfragen zu bearbeiten...“ „Wir haben Unterstützung von vielen Medien erhalten“, erwidert Christophe Thévenet, der andere Anwalt des Blattes. „Da sind Spenden, 250.000 Euro über den Verein Presse und Pluralismus und eine Million Euro, die Fleur Pellerin [französische Kulturministerin, A.d.R.] versprochen hat... Ihr werdet bei Charlie volle Kassen haben wie nie zuvor!“ Der Anwalt weiß, wovon er spricht: Er ist es, der die Satzung der Zeitung geschrieben hat und die Generalversammlungen des Blattes einberuft. In den letzten Monaten hatte die Wochenzeitung einen Spendenaufruf gestartet, um zu versuchen die Kassen, in denen ziemliche Ebbe herrschte, wieder zu füllen.
„So, machen wir jetzt die Zeitung oder was?“, fragt Gérard Biard, der sichtlich Lust hat, in die Startlöcher zu gehen. „Was bringen wir auf unseren Seiten?“ „Weiß nicht, was war denn los?“, fragt Patrick Pelloux. Nervöses Lachen bricht aus. Biard setzt fort: „Ich wäre dafür, eine – in Anführungszeichen – normale Nummer zu bringen. Damit die Leser Charlie wiedererkennen. Es soll ja keine Sonderausgabe werden.“ „Gar nicht mal übel“, antwortet jemand am Tisch. Manche bringen die Idee ein, weiße Seiten zu lassen, dort, wo die Toten Mittwoch gezeichnet oder geschrieben hätten. Doch das Team ist dagegen. „Ich will nicht, dass es materiell eine Leere gibt“, argumentiert Gérard Biard. „Sie sollen alle da sein, auf den Seiten. Auch Mustapha.“ Mustapha Ourrad, der Korrektor, gehört zur langen Liste der Opfer des Attentats vom Mittwochmorgen. „Dann lasst meine Fehler eben drin!“, scherzen Patrick Pelloux und die anderen.
„Ah ja, Fidel Castro ist tot“, ruft Luz und zeigt den ein oder anderen Mittelfinger, als er die Information (die schnell widerrufen wird) auf seinem Handy entdeckt. Der Reporter Laurent Léger versucht, die Debatte wieder auf das Heft zu lenken: „Ich denke, wir sollten keine Nachrufe bringen, wir werden keine Hommage-Nummer machen.“ Die Redaktion diskutiert Inhalte der nächsten Ausgabe. Gérard Biard: „Ich hoffe, man hört endlich damit auf, uns als fundamentalistische Laizisten zu bezeichnen und von Meinungsfreiheit mit einem ‚ja aber‘ zu sprechen.“ Laurent Léger: „Ich denke, man kann auch sagen, dass wir die letzten Jahre sehr allein waren.“ Corinne Rey: „Wir müssen rüberbringen, dass wir leben.“ Richard Malka: „Und dass wir Religionskritik nicht beiseite lassen.“
Charlie Hebdo ist ein seltsames Blatt, das keine Rubriken hat, sondern bestimmten Autoren oder Zeichnern einen Platz einräumt. Für die Spalten der Verstorbenen entscheidet sich das Team, noch nicht veröffentlichte Werke zu bringen. Deshalb wird es in der Mittwochsausgabe diese Woche auch Charb, Cabu, Wolinski,Honoré… geben. Während der Diskussionen gibt es hier und da Schluchzer, wie Buschfeuer, die anschließend in den Armen des Nachbarn erlöschen. Es werden Hände gehalten und feuchte Augen getrocknet.
Richard Malka räuspert sich: „Manuel Valls ist gerade in der Redaktion angekommen.“ Das Redaktionsteam atmet auf, läuft herum und schwatzt. In Begleitung der Kultur- und Kommunikationsministerin Fleur Pellerin, die einen JeSuisCharlie-Sticker auf der Brust trägt, und einer Horde Journalisten, Assistenten und Kommunikationsmenschen, schüttelt der Premierminister die Hände der Anwesenden, während er die ein oder andere Information zum Polizeieinsatz in Dammartin-en-Goële fallen lässt – „Die beiden Mörder sitzen in der Mausefalle“ - bevor er ihnen „viel Erfolg“ wünscht.
Biard sagt aufs Geratewohl: „Also gut, keine Journalisten mehr? Keine Minister mehr? Was machen wir dann auf Seite 16?“ Seine Frage verliert sich im Klacken der Cola-Dosen, die jetzt geöffnet werden, den Pains au Chocolats, die verzehrt werden, den weggedrückten Tränen, den Polizei-Blaulichtern draußen. In seiner Ecke amüsiert sich Patrick Pelloux: „Eine richtige Redaktionskonferenz also, es geht drunter und drüber, wir sind gut dabei, wieder loszulegen.“
Dieser Text wurde ursprünglich auf der Webseite der linksliberalen Libération veröffentlicht, welche die geniale Idee hatte, diesen in Creative Commons Lizenz zur Verfügung zu stellen, damit auch andere Medien Zugriff haben. Danke dafür!
Translated from Charlie à Libération : « Bon, on fait le journal ? »