Carme Riera: "Das Katalanische ist vom Aussterben bedroht"
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Jeannette Carolin CorellDie mallorquinische Schriftstellerin Carme Riera spricht anlässlich einer Ausstellung zu ihren Ehren im Rahmen der Kulturwoche der Balearen, BeBalears in Lissabon, über den Reichtum und die sprachliche Vielfalt Spaniens.
Am 1. März fand in Lissabon, und damit zum zweiten Mal in einer europäischen Hauptstadt, die Kulturausstellung der Balearen statt, die vom Verband CatalunyApresenta organisiert wird. Problemlos schmuggle ich mich in einem vollen Saal der Klassischen Universität, um der Konferenz einer mallorquinischen Schriftstellerin beizuwohnen, die jüngst ins Portugiesische übersetzt wurde.
Beim Leser landen
„Ich habe nicht den Mut, meine Texte erneut zu lesen.“ Manchmal erinnert sie Carme Riera nicht einmal an die Personen, die in den Handlungen mehrerer Erzählungen vorkommen, oder an die beschriebenen Persönlichkeiten. Die Schriftstellerin findet, der Autor schreibt, schreibt viel, aber sobald ein Wort auf dem Papier gelandet ist, werde es zum uneingeschränkten Eigentum des Lesers. „Der Leser muss der Eigentümer des Buches sein!“ Deswegen könne man sich ja seine Leser auch nicht aussuchen und manchmal noch nicht einmal vorstellen, wer das Werk eines Schriftstellers liest oder wen es interessieren könnte.
Es sei auch vorgekommen, dass sie das Interesse eines Lesers nicht geschätzt habe, „aber nur ein einziges Mal“, sagt sie lächelnd. Dies geschah während eines Linienfluges. Sie wurde ins Cockpit gerufen und der Pilot bat sie um ein Autogramm in einem ihrer Bücher, das er gerade las: Dins el darrer blau („Im letzten Blau“ A.d.R.). Erschrocken bat sie den Piloten, nicht an das Buch, sondern lieber ans Fliegen zu denken. Der Pilot lächelte und sagte, das Flugzeug fliege von ganz allein und er habe nur wenig zu tun… vergleichbar mit dem Schriftsteller, der sein Werk veröffentlicht und dann in der Leere schwebt, um das Kommando erneut zu übernehmen, wenn er beim Leser „landet“.
Landung in Katalonien
„Ich habe sehr jung mit dem Schreiben begonnen, dennoch muss ich mich auch heute noch korrigieren“, gesteht Carme lächelnd ein. Während ihrer Kindheit fiel es ihr schwer, Katalanisch zu schreiben. Erst mit 16 Jahren begann sie dank der Hilfe einer Lehrerin, die ersten Seiten in der Sprache zu schreiben, in der die Großmutter ihr Geschichten erzählte und in der sie mit Freunden und Familienmitgliedern sprach. Das Literaturstudium wurde ihr praktisch aufgezwungen, da es zu jener Zeit den einzigen Weg darstellte, den ein Mädchen ihres Alters einschlagen konnte.
Aber es hat sich gelohnt. Sie betrachtet ihr Buch, berührt es: „Eigentlich wollte ich ja Ärztin werden“, fügt sie hinzu. Mit 18 Jahren zieht Carme Riera nach Barcelona. Sie studiert spanische Philologie an der Autonomen Universität, wo der katalanischen Sprache allerdings nur ein einziger Kurs gewidmet wurde, ebenso wie allen anderen Fremdsprachen. Sie beschließt, Portugiesisch zu lernen und nimmt so den Kontakt zu dem Land auf, das sie heute so liebt und schätzt.
„Lissabon ist wunderbar. Und ich liebe die Portugiesen, ihre guten Manieren und ihre Höflichkeit.“„Das Katalanische ist vom Aussterben bedroht!“, sagt Carme etwas lebhafter. Denn wenn es nicht so wäre, würde man weniger die Notwendigkeit spüren, eine Sprache und damit auch eine Kultur zu verteidigen. Der Druck, den häufiger geschriebene Sprachen wie Englisch oder Kastilisch ausüben, lässt sie ein allmähliches Sterben ihrer Muttersprache befürchten, einer Sprache, deren lange Tradition und große Vielfalt fast unbekannt sind. Das Bild des katalanischen Lokalpatrioten, der nur katalanisch spricht, das Kastilische hasst und sich der Welt verschließt, ist ein Irrglaube. Die Leute sind gesellig und offen, man muss dieses Volk zwischen Vergangenheit und Gegenwart nur entdecken und kennen lernen.
Heute ist eine Sprache kein grundlegendes Identitätsmerkmal mehr. In der Jugendzeit von Carme hingegen stellte sie eine wichtige Sache im Kampf einer Generation dar, der es verwehrt war, in ihrer Muttersprache zu studieren. Das Katalanische war der Schild gegen das Franco-Regime. Heute kann man katalanisch studieren, aber das ist nicht dasselbe. „Zu meiner Zeit sprach man kastilisch im Klassenraum und katalanisch auf dem Schulhof. Heute ist es genau umgekehrt!“, schließt sie bei einem guten Schluck Portwein.
Mehr Raum für die europäischen Kulturen
Auch der Verband CatalunyApresenta leistet einen bedeutenden Beitrag zur Kulturförderung, um Europa diese Inselgruppe näher zu bringen, die zwar viel besucht aber dennoch wenig bekannt ist. Die Ausstellung ermöglicht einen tieferen Einblick in die Balearen, die katalanischen Länder in ihrer Gesamtheit sowie in deren kulturellen Reichtum. In diesem allseitig verlinkten Europa „sollte es mehr Raum für Unbekanntes geben“, für die schwächeren Sprachen und Kulturen, die Unterstützung benötigen. „Viele meiner Erasmus-Studenten sind zum Beispiel beim ersten sprachlichen Kontakt mit der katalanischen Realität völlig verblüfft“, einige wissen noch nicht einmal von der Existenz der Sprache, andere glauben, dass das Kastilische ausreicht, um die Region zu besuchen und zu erleben.
Die Reaktionen auf die neue Sprache scheinen jedoch positiv zu sein, sagt Carme: „Die meisten ausländischen Studenten, vor allem die aus Osteuropa und den näheren Ländern wie Italien, Portugal und Frankreich, beherrschen nach Abschluss des Jahres beide Sprachen. Und das ist ein Privileg.“ Wenn man, so die Schriftstellerin, jeder Sprache eine andere Weltanschauung zuordnet, ist Spanien mit vier offiziellen und anderen Sprachen ein ausgesprochen reiches Land, in dem die Möglichkeit besteht, gleichzeitig mehrere Sprachen zu sprechen und somit eine umfassendere Vision von der Welt zu haben.
Fotos: ©Pelòdia/flickr, ©Alexandra Guerson/flickr
Translated from Carme Riera: «il catalano ha i giorni contati»