Bulgarisches Watergate kurz vor den Wahlen
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Es klingt wie ein Rückfall in kommunistische Stasi-Methoden: Das bulgarische Innenministerium hat jahrelang Geschäftsleute, Politiker und sogar die eigenen Minister und den Staatspräsidenten bespitzelt. Knapp zwei Wochen vor den Neuwahlen am 12. Mai spitzt sich das „bulgarische Watergate“ zu.
Seit einigen Tagen kursiert ein Plakat in Bulgarien: Es zeigt den bulgarischen Ex-Innenminister Zwetan Zwetanow mit überdimensional großen Ohren. „Zwei schöne Ohren, die Seele eines Spitzels” steht darauf. Das Transparent wirkt fast lustig, dabei spielt es auf ein brisantes Thema an, das zur Zeit die bulgarische Öffentlichkeit erschüttert: Jahrelang hat das Innenministerium in Sofia bulgarische Bürger und Politiker abgehört und bespitzelt.
Die Vorgänge erinnern an Stasi-Methoden im Kommunismus: In einem grauen Van mit modernster Abhörtechnik zeichnete das Innenministerium seit 2009 heimlich Gespräche von Geschäftsleuten, Juristen und sogar von seinen eigenen Ministern auf. Unter ihnen auch den Oppositionsführer und früheren sozialistischen Ministerpräsidenten Sergej Stanischew. Er war es, der den Fall öffentlich gemacht und vor die Staatsanwaltschaft gebracht hat, nachdem er anonyme Hinweise erhalten hatte.
Wie bei der Stasi
Vier Direktoren der Innenbehörde wurden bereits wegen Amtsmissbrauch und falscher Zeugenaussagen angeklagt. Ex-Innenminister Zwetanow jedoch übernimmt keine politische Verantwortung. Stattdessen wirft er der ermittelnden Staatsanwaltschaft vor, sie handele im Auftrag „geheimer Zirkel in der Justiz“, die ihn verleumden wollten.
Besondere Brisanz erhält der Fall, da am 12. Mai vorgezogene Neuwahlen in Bulgarien anstehen. Im Februar war die rechtskonservativen Regierung von Ministerpräsident Bojko Borissow nach wochenlangen Protesten gegen Sparmaßnahmen und Strompreiserhöhungen zurückgetreten. Ausgerechnet Zwetanow leitet den Stab von Borissows Partei „Gerb“.
Inzwischen hat ihn auch ein ehemaliger Kollege aus den eigenen Reihen schwer belastet: Ex-Landwirtschaftminister Miroslaw Najdenow sagte in einem spektakulären Fernsehinterview, Zwetanow habe regelmäßig auch Sitzungen und informelle Gespräche seiner Ministerkollegen und sogar von Staatspräsident Rossen Plewneliew aufgezeichnet. Alle Minister im Kabinett hätten darüber Bescheid gewusst, dass ihre Telefonate abgehört wurden.
Der Abhörskandal, der nun ausgerechnet während der ohnehin aufgeheizten Stimmung vor den Wahlen ans Licht kommt, gibt den oppositionellen Sozialisten Auftrieb. Doch Experten bezweifeln, dass die sozialistische Partei BSP für mehr Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sorgen wird. „Manipulation und Abhöraktionen hat es auch schon früher gegeben, nur nicht in diesem Ausmaß“, sagt der bekannte politische Kommentator Iwo Indjew.
Auch die Medien in Bulgarien seien inzwischen komplett von der Regierung gesteuert. Dieses System sei aber schon unter der sozialistischen Regierungskoalition von 2005 bis 2009 entstanden. „Was nützt es, wenn nur die Akteure ausgewechselt werden, das System aber das gleiche bleibt?“, fragt Indjew.
Die Bürger, die im Februar mit ihren Demonstrationen die Regierung gestürzt hatten, sind in den vergangenen Tagen wieder massenweise auf die Straße gegangen. „Diese Partei muss weg“, sagt beispielsweise der 32-jährige Programmierer Plamen Todorow. „Sie hat sich jahrelang an Praktiken der kommunistischen Staatssicherheit bedient.“
Die Autorin dieses Artikels, Diljana Lambreva, ist Korrespondentin des Osteuropamagazins ostpol.
Illustrationen: Teaser (cc)filmstill; Video (cc)MickeyMouseFrance/YouTube