Bulgarien: Geschlossene Gesellschaft
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In Bulgarien schützen sich wohlhabende Familien durch so genannte „gated communities“ vor der armen Bevölkerungsmehrheit.
„Es spricht sich schnell herum, wenn irgendwo ein West-Ausländer wohnt“, sagt Dieter Lehne. Der deutsche Beamte lebte berufsbedingt für ein Jahr in der bulgarischen Hauptstadt Sofia. Er zog in eine so genannte gated community – aus Angst vor Einbrüchen. In einer solchen geschlossenen Wohnanlage, die mittlerweile in fast allen Großstädten ehemaliger Staaten des Warschauer Pakts anzutreffen ist, fühlte sich Dieter Lehne sicher. Sie war von Mauern umgeben und mit Kameras ausgestattet, ein Aufseher schob am Eingangstor Wache.
1500 Euro pro Quadratmeter
Doch längst nicht nur Ausländer leben in den geschlossenen Wohnanlagen – auch bei Einheimischen mit dem nötigen Kleingeld werden gated communities immer beliebter. Laut der Immobilienagentur Address sind derzeit allein in Sofia über 50 Projekte mit wohlklingenden Namen wie „Comfort Inn“ oder „Embassy Suites“ in Planung bzw. in Bau. Der Quadratmeterpreis beträgt je nach Lage und Ausstattung zwischen 650 und 1500 Euro.
Die Außenbezirke im Südosten Sofias sind ins Visier der Immobilieninvestoren geraten. Hier, etwa sieben Kilometer vom Stadtzentrum entfernt, gibt es ausreichend große unbebaute Flächen. In unmittelbarer Nähe liegt das Erholungsgebiet Vitoscha-Gebirge: Hier kann man im Sommer Wandern und im Winter Schilaufen.
Im sozialistischen Bulgarien wohnten einst hohe Parteifunktionäre in isolierten und gut bewachten Anlagen. Mit der Wende setzte ein neuer Trend des abgeschotteten Wohnens ein. Allerdings entscheidet heute nicht mehr das Parteibuch über ein luxuriöses Eigenheim, sondern nur noch das Geld. „Das Abschotten ist rational nachvollziehbar“, meint Dieter Lehne. „Das soziale Gefälle führt zu Spannungen.“
Tatsächlich klafft die Lohnschere weit auseinander. So beträgt der Mindestlohn in Bulgarien derzeit 160 Leva – umgerechnet 80 Euro. Während eine Lehrkraft am Gymnasium 150 Euro im Monat erhält, verdient man als Software-Experte bei Privatfirmen das Zehnfache.
Komfort, Ruhe, Zurückgezogenheit
Gut verdienende Bulgaren wollen nicht mehr nur in einer schönen Wohnung, sondern auch in der richtigen Lage mit den richtigen Leuten wohnen. Schutz vor Kriminalität sei der größte Pluspunkt der bewachten Siedlungen, so Katja Zenova, Geschäftsführerin von Address. Auch ein eigener Parkplatz ist in der verkehrsüberlasteten Hauptstadt ein guter Grund, um in einen „Komplex“ zu ziehen. Und während öffentliche Grünflächen verwildern, kümmert sich in den Gated Communities ein Gärtner um das Gemeinschaftseigentum.
„Überbevölkerung der Stadtviertel, verschmutzte Luft und Stress sind die Hauptursachen, warum sich die Menschen zu dieser Bauweise orientieren. Sie garantiert ihnen Komfort, Ruhe und Zurückgezogenheit“, erklärt Zenova.
Im Zuge des Sofioter Baubooms werden größere bebaubare Flächen bereits knapp. Deshalb sei eine „Erweiterung der städtischen Zonen“ in Richtung Südosten zu bemerken, erklärt Mladen Mitov, Manager der Immobilienagentur Yavlena. Dörfer im Umkreis von etwa 30 Kilometern werden ebenfalls zu einem attraktiven Standort für geschlossene Siedlungen.
Zufahrt zum sicheren Eigenheim
Doch auch in anderen Landesteilen entstehen Gated Communities. In der zentralbulgarischen Stadt Veliko Tarnovo, das seit einigen Jahren zum Mekka britischer Immobilienkäufer geworden ist, errichtet die israelische Tidhar Group im hügeligen Umland eine 60 000 Quadratmeter große bewachte „Satellitenstadt“ komplett mit Kindergarten und Einkaufszentrum.
In Wintersportorten wie Bansko oder am Schwarzen Meer baut man ebenfalls immer mehr Anlagen hinter Mauern. Die Käufer dieser Urlaubsimmobilien sind größtenteils Ausländer – sie wollen die Immobilien außerhalb der Urlaubszeit weitervermieten oder später gewinnbringend verkaufen.
Bleibt nur noch ein Problem: die Zufahrt zum sicheren Eigenheim. Die ist nämlich oft voller Hindernisse. Das Straßennetz sei in schlechtem Zustand, kritisiert Zenova. „In vielen Fällen ist der Zugang zu schönen und modernen Gebäuden gelinde gesagt schwierig.“
Seit dem 1. Januar 2007 sind Bulgarien und Rumänien Mitglieder der Europäischen Union. Aus diesem Anlass präsentiert cafebabel.com in den nächsten Wochen in loser Folge mehrere Artikel, die die beiden neuen Mitglieder vorstellen. Der nächste Artikel zum Thema "Rumänien: Reich an Armen" folgt am Donnerstag, den 18. Januar.
Diese Artikel werden von Autoren des Korrespondenten-Netzes n-ost verfasst. Der Verein n-ost wurde im Dezember 2005 in Berlin gegründet. Das Netzwerk existiert bereits seit Frühjahr 2003. In ihm organisieren sich Journalisten und Initiativen aus über 20 Ländern, die sich als Vermittler zwischen Ost- und Westeuropa verstehen. Sie setzen sich für Demokratie und Medienfreiheit ein und leisten mit ihrer Arbeit einen Beitrag zum Zusammenwachsen Europas.