Bukarest: Staubige Reflexionen einer Stadt in Schutt und Asche
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Nicolae Comanescu wirbelt Staub auf: im wahrsten Sinne des Wortes, denn der rumänische Künstler macht Kunst aus den staubigen Grautönen seiner Heimatstadt Bukarest.
Traditionalisten berufen sich auf Ölfarben, Kreide, Kohle oder Akryl. Auch Nicolae Comanescu hat das in seinen frühen Bildserien Wrong Paintings, Grand Prix Remix und Beach Culture in Bercsenyi, in denen er die Hyperaktivität der Medien darstellt, getan.
Aber nun malt der 1968 geborene Künstler aus Rumänien mit Staub. Bei dem Versuch, seine Heimatstadt Bukarest bildlich zu erfassen, verwandelt Comanescu die pulvrigen Ruinen des Kommunismus, die erstickende Materie einer gefallenen und sich erhebenden Stadt, in staubige, von fotografischer Präzision geprägte Nachbildungen seiner Umgebung: Menschenleere Straßen, Karosserien und Parks werden nicht nur zum Objekt seines künstlerischen Auges, sondern zur Metapher des staubigen Alltags eines jeden Bukaresters. Für seine Ausstellung Dust 2.0 ist, so der Künstler, der Einsatz von Staub nicht willkürlich. Es handelt sich um eine informationsreiche Materie, die subtil und eindringlich zugleich die Geschichte und Gegenwart Bukarests reflektiert.
Was inspiriert dich an deiner Stadt?
Der Staub an sich. Auf den ersten Blick sollte einen viel inspirieren. Bukarest ist eine große Stadt, komplex, reich an Geschichten und sozialen Strukturen sowohl robuster als auch lebendiger Natur. Es ist eine Stadt, die dich herausfordert, in der es viel zu tun und zu lernen gibt.
Nicolae Comanescu: Dust 2.0
(Fotos: ©dust2point0.blogspot.com)
Nichtsdestotrotz gibt es ein Problem: Anstatt zu inspirieren, treibt Bukarest seine Einwohner zur Verzweiflung. Alles, was Gefallen finden könnte, beginnt sich langsam in Staub aufzulösen: historische Viertel, die dem kommunistischen Zerstörungstrieb entkommen sind, industrielle Architektur, Parks, Grünflächen, Märkte: alles verkommt zu Staub. Nichts, was sich in der Stadt neu erhebt, entspricht einer zivilisierten Stadtplanung. Bei dem Versuch unsere Stadt dem Prototypen einer 'europäischen Stadt' anzupassen, wird nichts eingehalten. Wälder machen Platz für mehr oder minder luxuriöse Neubauten. Kommunistische Stadtteile aus hässlichen Betonbauten werden mit jedem Tag unerträglicher. Zu viele Autos verpesten die Luft und füllen die Straßen. Die Umweltverschmutzung wächst in einem alarmierenden Rhythmus. Deshalb ist es schwer, sich noch von irgendetwas in Bukarest inspirieren zu lassen. Nicht Bukarest, sondern sein Staub hat mich zu diesem Projekt inspiriert.
Warum hast du dir ausgerechnet den Staub als Werkstoff ausgesucht?
Der Staub hat mich ausgesucht. Der Staub hat die Stadt ausgesucht, in der ich wohne. Staub ist ein Teil unseres Lebens, den wir aber erst wahrnehmen, wenn er in zu großen Mengen auftritt. In dem Augenblick, in dem ich mir des Staubes bewusst wurde, entschloss ich mich damit zu arbeiten. Der exzessive Staubanteil der Stadt sagt viel über den Zustand der rumänischen Gesellschaft aus. Staub ist eine dichte, informationsreiche Materie, die es zu befragen lohnt. Der Staub in Bukarest trägt andere Metaphern als jener in New York oder in Barcelona, indem er entsprechend auf den ökologischen, kulturellen und politischen Zustand des jeweiligen Ortes eingeht.
Staub ist ein Symbol der Nostalgie, der Zwecklosigkeit, der Vergänglichkeit, ein Hinterbliebener der Geschichte, ein Zeichen des Handelns, der Dynamik oder ein Hinweis auf den Lebensstandard. Er begleitet uns seit jeher, seit die Hufen türkischer Boten ihn aufwarfen bis hin zu den heutigen Politikern, die ihn zu heißer Luft werden lassen. Staub hat sich oft wie ein Schleier über die besten Absichten gelegt. Ebenso oft hat er uns verblendet. Es gibt zeitgenössische Künstler, die vom Aufwirbeln des Staubes durch kommunistische Zerstörungsakte reden. Das Einzige, was die Kommunisten jemals zu Stande brachten, war der Staub durch die Zerstörung historischer Denkmäler. Octavian Paler [rumänischer Schriftsteller und Journalist; A.d.Red.] hat gesagt: "in Rumänien ist der Staub politisch".
(Foto: dust2point0.blogspot.com)
Beziehst Du in Deinen Bildern politisch Stellung?
Ich versuche mich nicht als politischen Aktivisten in meine Kunst einzubringen. Aber es ist schwierig in Rumänien zu leben und die Augen vor der sozialen Ungerechtigkeit zu schließen. Das Malen mit Staub ist eine bewusste Wahl. In Rumänien ist der Staub ein Hinweis auf den Lebensstandard; er ist ein Anzeichen für das korrupte politische System. Die politische Klasse hat viel Staub in Bukarest verschuldet, der im besten Fall auf ihre Unfähigkeit, im schlimmsten Fall auf böse Absichten verweist. Als Maler versuche ich ein neutraler Betrachter zu sein. Ich habe nicht die Absicht, ein Urteil über die rumänische Regierung zu fällen. Das Resultat sieht man mit bloßem Auge, wenn man die Straßen von Rumänien entlanggeht. Ich will ein Produkt der Stadt nutzen, das die materielle und symbolische Substanz Bukarests in sich trägt.
Wie hast sich Bukarest post-Ceausescu entwickelt?
Bukarest hat eine eigene Dynamik. Ich habe den Eindruck, dass es trotz regelmäßiger Umwälzungen über- und weiterlebt. In den letzten Tagen des Kommunismus war es eine graue, traurige und verhungerte Stadt. Doch trotz suspekter Geschäftsleute und korrupter Politiker erwacht Bukarest jedes Mal wieder zu neuem Leben. Auch wenn vieles noch chaotisch erscheint, pendelt sich eine gewisse Normalität ein, die zunehmend in die Blutgefäße einer langsam gedeihenden Stadt fließt.