Brodka: Polen ist nicht Island, wo seit Björk alles cool ist
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Katha KlossMonika Brodka liebt Warschau und Nirvana. Sie hat zwei Katzen und denkt, dass der Kirchengang vor allem eine Genusstuung für die Sinne ist. Wir haben mit dem polnischen Star zur Veröffentlichung ihres neuen, exklusiv auf Englisch gesungenen Albums Clashes gesprochen.
cafébabel: Du sprichst in Interviews oft über die Band Nirvana. Und deine Single "Horses" beginnt mit einer Referenz an Courtney Love. Woher kommt das?
Brodka: Aus meiner Jugend. Ich habe damals ein Nirvana-Konzert auf MTV Unplugged gesehen. Ich habe lange Zeit gedacht, die würden nur Akustikrock machen, ein bisschen brutal und wild. Geniale Songs, ein trauriger Sänger, all das fand ich faszinierend. Später habe ich mir dann die Kassette zu ihrem Konzert 'From the Muddy Banks of the Wishkah' gekauft - ich bin direkt zum Hardcore übergegangen. Für mich ist Nirvana eine zeitlose Band. Ihre Clips haben bei mir immer Gänsehaut verursacht.
cafébabel: In deinen eigenen Clips wird deine Leidenschaft für Fotografie und Mode deutlich. Wie würdest du die Beziehung zwischen deiner Musik und dem visuellen Aspekt beschreiben?
Brodka: Das ist für mich eine Art Symbiose. Ich liebe Kino. Als ich nach Warschau gekommen bin und noch niemanden kannte, habe ich tonnenweise DVDs auf der Straße gekauft. Ich habe sie mir alle reingezogen. Bilder haben mich schon immer stark beeinflusst. Aber ich habe es nicht geschafft, mich nur über sie zu definieren. Seit meinem Album Granda [Brodkas drittes Album; A.d.R.] kenne ich aber meinen Geschmack besser, wusste, welche Art von Musik ich machen und die visuellen Botschaften, die ich senden wollte. Für Clashes haben sich mein Geschmack und meine Gelüste aber auch wieder weiterentwickelt. Ich funktioniere stark über Intuition, aber für manche Antworten auf meine Fragen muss ich auch aktiv werden. Zum ersten Mal habe ich diesmal die komplette Regie eines Clips selbst koordiniert ("Santa Muerte"), das war schon immer mein Traum.
cafébabel: Dein letztes Album Granda kam vor sechs Jahren raus. Was hat sich seitdem in deinem Leben geändert?
Brodka: In der Musikszene ist vieles anders. Vorher war die Musik in Polen entweder mainstream oder underground. Es war schwierig, guten Pop, Alternative Indie oder Electropop zu finden. Granda hat auch zum Entstehen dieser "Musik dazwischen" beigetragen. Mit neuen Festivals und dem Internet sind auch viele neue Bands entstanden: man muss auch nicht mehr unbedingt Musiker sein, um Musik zu machen. Diese Revolution hat sich erstmal durch einen Haufen Mittelmäßigkeit ausgezeichnet, in dem man erst mal nach der seltenen Perle suchen musste. Aber diese Konkurrenz ist notwendig, sie macht Lust darauf, besser zu werden. Ich selbst bin viel gereist. Ich hatte nicht viel Zeit, nach Granda ein neues Album aufzunehmen. Die Promo eines Albums im Ausland dauert ein bis anderthalb Jahre. Und die von Granda hat sogar drei Jahre gedauert. Und zwischendurch gab es ja auch noch die neue LP LAX.
cafébabel: Bleiben wir beim Reisen. Du hast Clashes in Los Angeles aufgenommen. Deine Heimat bleibt aber Warschau. Was fasziniert dich an der polnischen Hauptstadt?
Brodka: Ich mag es, in Warschau immer wieder die Gelassenheit einer Kleinstadt zu finden. Es ist eine Hauptstadt menschlicher Größe. Ich lebe jetzt schon seit 12 Jahren dort und hatte das Glück zu sehen, wie sich die Stadt verändert - und das nicht zu knapp. Es gibt dort viele interessante Projekte, auch der Food-Sektor entwickelt sich rasant. Ich bin froh, das miterleben zu können. Ich mag die Sommerlagerfeuer entlang der Weichsel, man könnte fast glauben, das seien heidnische Rituale mitten im Stadtzentrum. Es ist einfach malerisch, diese Lichterquellen von einer Brücke aus zu beobachten.
cafébabel: Vor zwei Monaten hast du auf Instagram auch ein Foto mit dem Hashtag #PopieramDziewuchy [Ich unterstütze Mädchen] gepostet. Was ist los mit den polnischen Mädels?
Brodka: Gute Frage. ich war eigentlich nie sehr engagiert, ob in der Politik oder für Menschenrechte. Aber in diesem Fall fühlte ich mich irgendwie betroffen (und war genervt). Jede Person sollte das Recht haben, über solch ein intimes Thema nach seinem eigenen Gewissen entscheiden zu können. Die Frauen aus den Großstädten wissen, was sie tun. Die Abtreibung zu verbieten führt dazu, dass sie zukünftig zu heimlichen und illegalen Mitteln greifen werden. Und wenn jemand meint, die Religion hätte ihren Platz in dieser Debatte, dann ist das eine persönliche Einstellungssache.
cafébabel: Die Kirche nimmt einen ungewöhnlichen Platz auf deinem neuen Album ein. Ich habe fast den Eindruck, du verleihst der Kirche eine künstlerische Dimension.
Brodka: Die Kirche ist eine Art Theater. Und mein neues Album wird davon stark beeinflusst. Ein Thema ist mir eingefallen, als ich an Orgelmusik dachte. Ich hatte wirklich Lust, das in meiner Musik zu verwenden - die Orgel gibt dem Album seine mystische, rituelle Note. Über die Musik wollte ich die Aura der Kirche vermitteln. Der Titel "Krie" zum Beispiel steht sinnbildlich für dieses Gefühl, das man in einer großen, leeren Kirche hat und aus der Ferne einen Chor hört. Der visuelle Aspekt der Kirche hat mich schon als Kind fasziniert. Ich habe nichts von der Bibel verstanden, ich habe zusammen mit einer Gruppe Gläubiger Worte wiederholt, die keinen Sinn machten. Der Geruch von Weihrauch und der Sound der Orgel, die von einer völlig versteckten Person gespielt wird, weckten meine Sinne. Ich habe auch schon immer geistliche Kleider und deren Farben gemocht. Clashes ist kein Album über Religion, vielleicht mehr über das Heilige, etwas, das jeder braucht in einer Welt ohne Autorität. "Got no guru that will take me home", da ist niemand mehr, der uns den Weg zeigt, dem wir folgen sollen.
cafébabel: Hattest du auch vor Clashes schon englische und französische Songs im Kopf? Fühlt sich das Singen in einer anderen Sprache anders an?
Brodka: Für mich ist der Text wirklich ausschlaggebend. Mein Ansatz in puncto Schreiben ist immer der gleiche: es braucht Poesie, Abstraktes, unerwartete Konzepte, befremdliche Metaphern und trotzdem eine gewisse Floskelhaftigkeit. Ich spreche gut Englisch, aber ich wusste nicht, ob ich auch poetisch in dieser Sprache sein konnte. Eine Freund aus New York hat mir sehr geholfen. Ich habe die Texte geschrieben und sie ihm anschließend vorgelesen. Und er hat mir manchmal vorgeschlagen, welche Worte besser klingen könnten.
Ich habe auch viele meiner Texte gefunden, als ich die Musik komponiert habe. Wenn ich komponiere, singe ich dazu auf Englisch. Aber ich denke dabei kaum an den Sinn der Worte. Auf Polnisch kann ich nicht singen, ohne dass mich eine sinnlose Wortkombination irgendwann blockiert. Mit dem Englischen kommt immer die Melodie zuerst. So habe ich zum Beispiel für "Santa Muerte" und "Horses" den Text gefunden. Ich wollte eigentlich gar nicht über Pferde schreiben. Aber als ich den Song Freunden vorspielte, haben die gleich mitgesungen [sie singt den Refrain]. Ich wollte den Song so catchy wie möglich lassen, das Problem war nur, etwas Interessantes zu Pferden zu erzählen. Das hat lange gedauert. Aber das Bizarre an "Horses" kommt daher, dass jedes Wort auf eine verschiede Geschichte zurückgeht - das macht die ganze Sache am Ende doch noch rund.
cafébabel: Du drängst auf den internationalen Markt, nervt es nicht, alles nochmal von vorn beginnen zu müssen, wenn man im eigenen Land schon ein Star ist?
Brodka: Das ist nicht einfach. Es ist selten, Künstler ihr viertes Album im Ausland veröffentlichen zu sehen. Die Erwartungen des polnischen Publikums an meine Musik sind völlig andere. Ich liebe Challenges. Momentan ist es noch ein Traum, aber immer mehr Leute hören meine Musik. Ich habe auch auf Englisch geschrieben, um mit meiner Musik auf Reisen gehen zu können und sie nicht in der polnischen Sphäre einsperren zu müssen. Polen ist nicht Island. Seit Björk wissen wir, dass alles, was aus Island kommt, automatisch cool ist. Aber niemand kennt polnische Musik im Ausland, höchstens ein paar Metalbands. Es wäre toll, diese Tendenz umzukehren und ich wäre sehr stolz, dabei zu helfen.
cafébabel: Letzte Frage, wie heißt deine Katze?
Brodka: Ich habe zwei Katzen. Die erste heißt Boniek, ist rot und ähnelt Zbigniew Boniek [ein polnischer Fußballer und Fußballtrainer; A.d.R.]. Die zweite heißt Sawa, nach der Legende, dass die Entstehung der Stadt Warschau auf das Paar Wars und Sawa zurückgeht. Im Französischen ähnelt Sawa auch "ça va" - meine Katze heißt also auch 'Wie geht's?'...
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Hören: 'Clashes' von Brodka (2016/Kayax/PIAS)
Translated from Brodka: Pogański rytuał w centrum miasta