Block’n’Roller Girl(s) für Europa
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Mehr als derbe Rempeleien auf Rädern? Mit Drew Barrymores Regiedebüt Roller Girl (2011) schwappt der Frauenteamsport auf Rädern 'Roller Derby' aus den USA nun auch nach Europa.
Bliss (Ellen Page) ist 17, lebt in einem texanischen Kuhkaff und hat so gar keine Lust mehr auf die Schönheitswettbewerbe, zu denen sie ihre Mutter zerrt, seitdem sie denken kann. Sie hat genug von adretten Schleifchen und glänzenden Lackschuhen und kratzt ihr sauer verdientes Kellnergehalt zusammen, um sich ein paar derbe Stiefel zu kaufen. Doch das ist nur der erste Schritt der Rebellion des Kleinstadtteenagers. Die Wandlung beginnt, als Bliss zum ersten Mal ein Rollerderby-Spiel sieht.
Die Frauen auf den Skates sind so ganz anders als die angepassten Kleinstadtmädchen, von denen sie sonst umgeben ist. In knappen, wilden Outfits geben sie sich selbstbewusst, fahren schnell und aggressiv und wirken mit Namen wie „Iron Maven“ und „Bloody Holly“ ganz schön gefährlich. Bliss fackelt nicht lange, packt ihre Barbie-Rollschuhe in den Rucksack und begibt sich heimlich in die große Stadt, um am Aufnahmetest für das Rollerderbyteam teilzunehmen. Bis aus der ehemaligen Beauty Queen aber ein echtes Rollergirl wird, muss Bliss noch jede Menge Hindernisse überwinden, und die sind nicht nur sportlicher Natur.
Feministisches Manifest oder die Fleischwerdung von Männerphantasien?
Mit Drew Barrymores Kino-Regiedebüt Roller Girl wird die Teamsportart Rollerderby zum ersten Mal einem breiten Publikum bekannt. Der Vollkontaktsport, der fast ausschließlich von Frauen ausgeübt wird, ist in seiner heutigen Form ein Riesending in den USA – doch auch in Europa formieren sich mehr und mehr Teams. Rollergirls haben mit vielen Vorurteilen zu kämpfen: „Es ist kein echter Sport, sondern es sind ein paar fette Mädchen, die einander auf Rollschuhen verprügeln“ – Salli vom schwedischen Crime City Rollers Derby aus Malmö hat sich schon einiges anhören müssen, wenn sie erzählt, dass ihre Leidenschaft dem Rollen gehört. „Das ist natürlich völliger Quatsch, wir sind alle total unterschiedlich.“
Dass der Sport hauptsächlich von Frauen ausgeübt wird, führt in der Öffentlichkeit oft zu weiteren falschen Annahmen. Die einen sehen ihn als politisch-feministisches Manifest, andere wiederum belächeln die Rollergirls, aufgrund ihrer manchmal doch recht sexy Outfits als die Fleischwerdung von Männerfantasien. „Weder das eine noch das andere ist wahr.“ „Shaolynn Scarlett“ von den London Rollergirls will endlich mit diesen Missverständnissen aufräumen. „Rollerderby ist eine Sportart, nicht mehr und nicht weniger. Man muss schnell, athletisch und geschickt sein und eine Menge an Arbeit reinstecken, wenn man gut sein will.“
Dass es beim Rollerderby nicht darum geht, möglichst gut aussehend durch die Gegend zu fahren, wird beim Anfängertraining schnell klar. „Push yourself as hard as you can“, ein Satz, der wohl nicht nur beim Bear City Roller Derby in Berlin öfter zu hören ist. Das harte Training, die vielen Liegestütze, schnell gefahrenen Runden und Sprungübungen haben sich gelohnt: Die Berlin Bombshells dürfen sich derzeit mit dem Titel des Deutschen Vizemeisters schmücken. Beim Kampf um die deutsche Rollerderby-Krone mussten sie sich nur den Stuttgart Valley Rollergirlz geschlagen geben, deren Mitglied Polly Purgatory so was wie die Mutter des Sports in Deutschland ist.
Als sie mit sechs Freundinnen vor fünf Jahren das erste deutsche Team gründete, war das zunächst nicht immer leicht: Trainieren mussten sie in Parkhäusern und am Anfang haben sie die dummen Kommentare ganz schön genervt. „Inzwischen ist mir das total egal. Ich habe durch den Sport viel an Selbstbewusstsein gewonnen und bin sehr ehrgeizig geworden – das kannte ich vorher an mir gar nicht.“ Auch Josefin aus Malmö hat durch den Sport eine ganz neue Seite an sich entdeckt. Die Schwedin mit der freundlichen Stimme wirkt nett und fast etwas schüchtern. Die Verwandlung beginnt, sobald sie die Skates angezogen hat und auf dem Track steht. Dann werden ihre Augen ganz dunkel und sie gibt alles, um zu gewinnen: aus Josefin wird „Jo Evil Eye.“
Stutenbeißerei ist Anti-Rollerderby-Mentalität
Cara von den Glasgow Roller Girls nennt sich Poison Delight und ist seit 2009 dem Rollschuhsport verfallen. „Ich liebe die Geschwindigkeit. Alles passiert so schnell und manchmal muss man Entscheidungen innerhalb von einer Sekunde treffen – total aufregend!“ Als Adrenalinjunkie spielt sie normalerweise auf der Position des Jammers, das ist die Spielerin, die die gegnerische Mannschaft überrunden muss und damit die Punkte holt. Dass sie dabei ungestört an den anderen vorbeirauschen kann, dafür sorgen ihre Teamkolleginnen, die Blockerinnen. Mit verschiedenen Techniken versuchen sie die gegnerische Jammerin aufzuhalten und den Weg für die ihrige freizuschaufeln. Dass es dabei nicht immer zimperlich zugeht, ist klar, doch ein wildes Geschubse oder Haarereißen, wie sich das manche wohl denken, ist das nicht. Ein langes Regelwerk hat der Weltverband WFTDA herausgegeben, und auf die Einhaltung dieser Gebote achten während des Spiels eine ganze Menge an Schiedsrichtern, die zudem noch von nicht-skatenden Officialsunterstützt werden.
Der Zusammenhalt, der im Spiel wichtig ist, hört auch dann nicht auf, wenn der Schlusspfiff ertönt. Stutenbissigkeit ist hier ein Fremdwort. „Ich liebe die Rollerderby-Mentalität. Auch außerhalb des Tracks sind wir alle Freunde geworden“, fasst Cara zusammen. Ein Teamgeist, der demnächst besonders wichtig sein wird. Anfang Dezember finden in Toronto die ersten Rollerderby-Weltmeisterschaften statt und die europäischen Mannschaften möchten allen zeigen, dass der Sport endlich auch in Europa angekommen ist.
Roller Girl: Seit 1. September in deutschen Kinos.
Illustrationen: Homepage Roller Girl ©Senator Films; Im Text: Crime City Rollers aus Malmö ©crimecityrollers.com; (cc)François Hogue/flickr; Video (cc)YouTube