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Billig bechern in Ballermann-Berlin

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Lifestyle

Im Berliner Bezirk Kreuzberg-Friedrichshain wird gefeiert, was das Zeug hält. In den Billigcocktailbars, den Parks und auf den Straßen tummeln sich auch immer mehr Touristen - die Anwohner sind genervt und machen Stimmung. Junggesellenabschiede, Pub Crawls, Rumpöbelei: ist Berlin das neue Mallorca?

„Wollt Ihr noch schön feiern, wa?“ Der Taxifahrer ist sich sicher, mit wem er es zu tun hat, als er mich und meinen Freund am Freitagabend nach Mitternacht in den südlichen Teil des Ostberliner Viertels Friedrichshain fahren soll. Mit unserer Antwort „Nein, wir wollen nach Hause, wir wohnen da“, hat er allerdings nicht gerechnet und es schwingt eine ordentliche Portion Mitleid mit, als er „Ohweia. Ganz schön laut da!“ entgegnet.

Vor ein paar Jahren sah das noch anders aus. Da waren immer fast alle neidisch, wenn sie hörten, dass ich inmitten des Szenebezirks wohnte. Heute ist der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg immer noch schön und szenig – doch in letzter Zeit wohl etwas zu beliebt geworden, und das nicht nur bei seinen Bewohnern, doch vor allem auch bei den Touristen.

Eigentlich könnte man sich als Berliner ja freuen, wenn sich junge Menschen aus der ganzen Welt – und um junge Leute handelt es sich fast ausschließlich, die hier ihren Urlaub verbringen (das Durchschnittsalter der Berlin-Street Art made in BerlinTouristen liegt laut berlin.de bei 40 Jahren und damit deutlich unter dem vergleichbaren Deutschlandwert), in unserem Viertel wohl fühlen und wir endlich auch mal etwas unser zu Hause nennen können, wo andere Urlaub machen. „Eigentlich“ ist das Stichwort. Denn während man sich von Seiten der Stadt Berlin über mehr als 20 Millionen Übernachtungen im Jahr freut, regt sich unter den Anwohnern mehr und mehr Unmut. Aufgeregt wird sich hauptsächlich über die Horden an Easyjetsettern, die sich auf relativ kleinem Raum, zwischen dem Westberliner Schlesischen Tor (auch Ballermann I genannt) und dem Ostberliner Ostkreuz (Ballermann II) aufhalten. Woran man sich stört, das ist hauptsächlich Lärm und Dreck, und überall dem steht die diffuse Sorge, dass der Bezirk nicht mehr das ist, was er war, dass aus einem coolen Viertel eine ramschiges Amüsierquartier geworden ist.

Tourimagnet Berlin – ein kleiner Rest Anarchie

Das Phänomen, dass sich Leute auf öffentlichen Plätzen, in Parks, auf Brücken und an der Spree treffen, ist an sich nichts Neues. Das Spontane, unorganisierte (das Bier bekommt man ja alle paar Meter problemlos im „Spätkauf“ an der Ecke) ist ja genau das, was Berlin so attraktiv macht – ein kleiner Rest an Anarchie, der der Stadt anhaftet. Mit der Bierflasche in der Hand um die Häuser zieh’n? In München würde man dafür schräg angeschaut werden, in Madrid sogar verhaftet und auch in London sollte man sich überlegen, ob man dafür nicht lieber in den Pub geht. In Berlin wird diese Kultur verehrt und geliebt, wie unlängst sogar von der Künstlerin Christane Rösinger besungen.

Dass sich, der Gentrifizierung geschuldet, die Verhältnisse alle paar Jahre verschieben, ist auch nichts Neues. Da sind die jungen Eltern, die bis vor kurzem noch selbst auf dem kleinen Platz abhingen, zum Tischtennis spielen mit ein paar Sixpacks im Gepäck.Mittlerweile ärgern sie sich darüber, dass sie nachts nicht schlafen können, weil bis tief in die Nacht Krach draußen ist. Tine ist eine typische Friedrichshainerin. Die junge Buchhalterin hat einen italienischen Freund und einen internationalen Freundeskreis. Doch wenn in „ihrem“ Park, in dem sie mit ein paar Freunden gerne ihr Feierabendbier trinkt, plötzlich organisierte Gruppentreffs des um die Ecke gelegenen Hostels stattfinden, zu denen fast 100 jungendliche Skandinavier mit Songbuch, Gitarre und Animateur für Stimmung sorgen, dann ist sie genervt. BWL-Studentin Monique wohnt auch mittendrin, und auch sie beobachtet die Entwicklung in ihrem Kiez mit Sorge: „Eigentlich war’s hier immer schön gemütlich, aber neulich dachte ich, ich bin in Camden Town!“ Ihre Nachbarin Christina könnte ausrasten, wenn sie morgens immer Schlangenlinien mit dem Rad fahren muss, um all den Glasscherben, die sich über Nacht angesammelt haben, auszuweichen – oder dem Erbrochenen, das vor ihrer Haustüre liegt. Und ich selbst werde giftig, wenn mir mal wieder eine Horde Randberliner, respektive Engländer mit lallender Zunge und in sonderbarer Aufmachung Küsse oder Geld abluchsen will, weil es gerade in ist, den Junggesellenabschied auf meinem Nachhauseweg zu feiern.

Der Berliner Senat hat das Problem erkannt, denn der Bezirk ist dem Touristenansturm nicht gewachsen, doch was genau für ein besseres Miteinander getan werden könnte, ist noch unklar. Eine Hotelbar an der Warschauer Brücke hat ihre eigene Strategie, um das falsche Publikum fernzuhalten: „Ein Haus für alle, außer Schwaben, Engländer und Iren, ab einer Anzahl von fünf und in Superman-Kostümen."

Was witzig gemeint ist, kann leicht ins Arrogante abgleiten. Tourismus ist und bleibt ein bedeutender Wirtschaftsfaktor für Berlin und bevor man sich aufregt, sollte manch einer sich erst einmal selbst an die Nase fassen. Ich selbst war mit 17 auf Mallorca und ja, ich habe Sangria aus einem Eimer getrunken. In meiner Erasmus-Zeit in Madrid war ich meist in einer Riesengruppe von Deutschen und Engländern unterwegs und ich glaube, besonders taktvoll gegenüber den Madrilenen haben wir uns ab einem gewissen Alkoholpegel auch nicht mehr benommen. Ich erinnere mich dunkel an spontane, höchst illegale „Botellones“ in Parks und auf öffentlichen Plätzen.

„Das ist eine ganz schön spießige Einstellung, die Du da hast“, sagt mein Freund als ich mich mal wieder über lärmende Touris beschwere. „So ein Gejammere, dass man seine Ruhe haben will und durch nix Fremdes gestört werden will, würde man in der Provinz erwarten, aber doch nicht hier.“ Recht hat er. Entspannen wir uns alle mal wieder. Die Feierkarawane wird irgendwann weiterziehen und bis dahin müssen wir halt damit klarkommen, dass uns die gerechte Strafe für den Ballermann nun ereilt hat.

Illustrationen: Bar Gagarin (cc)Stefan Garvander/flickr; Touris Piss Off (cc)EssG/flickr; Video: (cc)drthomaskrueger/YouTube