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"Beruhigt euch!": Humor essen Angst nicht auf

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KulturLifestyle

“Beruhigt euch!“ - mahnt eine Hamburger Journalistin in ihrem Essay. Sie will ein Zeichen setzen gegen Medienhype und Hysterie. Dabei springt sie selbst auf einen Trend auf.

Eins steht fest: Die Welt wird untergehen. Wir werden alle sterben. Krepieren an Schweine- oder Vogelgrippe, ersticken an isländischer Vulkanasche, einsam und alleine. Der Chef wird keine Trauergrüße schicken. Denn unsere Jobs haben wir bis dahin längst verloren. Sie wurden von einem schmierigen Banker wegrationalisiert oder an rumänische Kinderarbeiter weitergegeben. Kurz: Es ist zum Erschießen.

Silke BurmesterWie, das wussten Sie nicht? Ja, lesen Sie denn keine Zeitung? Sehen Sie keine Nachrichten? Surfen Sie nicht im Internet? Steht da alles drin. Und, zum Nachlesen, jetzt auch in Silke Burmesters Pamphlet “Beruhigt euch!”.

Konkret wie eine Ufowarnung

An eine Streitschrift erinnert allerdings nur das Format: Im Stile Stéphane Hessels"Empört euch" ruft das kleine Büchlein zum Widerstand auf. Gegen die “Meister der Aufblaskunst”, gegen die News im Minutentakt. In kurzen Kapiteln lässt Burmester jeden einzelnen Hype Revue passieren: die Finanzkrise und den Apple-Anbetung, die Ehec-Angst und den Schönheitswahn. Auf 32 Seiten hat die Hamburger Journalistin das Unheil des vergangenen Medienjahres versammelt. Ein Eimer Ironie, eine Wagenladung Satire - fertig ist die Medienschelte. Und damit’s die Leute lesen und der Titel passt, folgt jeder Überspitzung die Entwarnung auf dem Fuß. Wer der geballten Gefahr ins Auge sieht - und dieses Büchlein liest - kann sich vom allgemeinen Wahnsinn lösen. Denn, so die Pointe: es ist alles halb so schlimm. Die durchschnittlichen Kinder werden in der Welt bestehen, obwohl sie nicht fließend Mandarin sprechen. Auch ohne iPad geht das Leben weiter. Terroralarm ist so konkret wie eine Ufowarnung. Neu sind diese Erkenntnisse allerdings nicht. Und beruhigend ebensowenig.

Beklemmung lässt sich nicht abschalten

Poster auf Englands Straßen zu Zeiten des zweiten WeltkriegsDas Gefühl, die Welt sei beängstigend und bizarr geworden - es bleibt nach der Lektüre. Und verschwindet auch nicht nach dem Genuss einer schönen Tasse Tee, wie ihn die Autorin auf der letzten Seite empfiehlt. Beklemmung lässt sich nicht einfach abschalten. Da kann einen das rosarote Manifest noch so laut anschreien.

Es mag am widersprüchlichen Charakter des Buches liegen: Die Autorin geißelt den “Informations-Overkill”, um alle Katastrophen dieser Welt anschließend in ihr Buch zu stopfen. Sie bezichtigt die Medien der Übertreibung - und bietet selbst Horrorszenarien. Dass Deutschland nach mehrerer Bankenpleiten in die Dritte Welt abrutscht, ist platter Zynismus. Denn vor allem viele junge Menschen fürchten, tatsächlich ihren Job zu verlieren. Haben Angst vor Klimakatastrophen, die sich in der Zukunft häufen werden. Eine Parodie der Parodie vermag sie ihnen nicht zu nehmen.

Es gebe zwei Möglichkeiten, mit Wirrnis, Hysterie und Angst umzugehen, schreibt Burmester. “Die erste: das Ganze einfach nicht ernst nehmen. Wenn die Boten der Apokalypse ihre diffuse Warnung verlauten lassen, den Fernseher ausschalten. [...] Man muss nicht jede Panik mitmachen.” So einfach, so klar ist Burmesters Botschaft. Sie liest sich gut. Sie macht sogar ein bisschen Spaß. Und danach ist alles wie zuvor. Die nächste Krise kommt bestimmt.

Foto: Mit freundlicher Genehmigung von ©Kiepenheuer und Witsch