Berlusconis Frauen: Rebellieren wir. Bitte.
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camilla gendollaSexskandale, sexistische Frauenwitze und eine beschämende Gleichgültigkeit: Was halten junge Italiener vom Verhalten und den Aussagen ihres Staatschefs? Zwei Italiener beider Geschlechter geben sich die Blöße.
Alessandro Zoppo : „Viele würden gern wie er sein“
„Wenn es in Europa einen Wettbewerb für die Wahl des sexistischsten Politikers gäbe - Silvio Berlusconi würde sie zweifellos gewinnen.” So sieht es zumindest der englische Guardian, der seit Monaten den “unmoralischen Ausrutschern” des italienischen Premiers nachgeht. Selbst die Times hat dem Präsidenten des Ministerrates eine “Klinik für sexuelles Suchtverhalten” empfohlen. Ob nun keusch oder nicht - was die Italiener wirklich interessiert, und besonders die Italienerinnen, ist dann doch etwas anderes.
Zunächst einmal interessiert die Italiener die Frage, ob die von Unternehmer Gianpaolo Tarantini losgetretene Untersuchung in Sachen Callgirl-Ring nun gerechtfertigt sei oder nicht. Denn eigentlich sollte man nicht ständig im Privatleben der Politiker herumwühlen. Was aber wirklich aufstößt, ist Berlusconis Haltung: arrogant, vulgär, der Hahn im Korb, ein braun gebrannter Macho, der sich am Strand auf die Pirsch begibt. Nicht gerade ein Verhalten, wie man es sich von einem hohen Repräsentanten des Staates wünschen würde. Natürlich sollte das Privatleben auch privat bleiben. Eine Ausnahme muss aber gemacht werden, wenn es um die Grundhaltung gegenüber der weiblichen Welt an sich geht.
Eine Beschreibung übrigens, die auf jeden Durchschnittsitaliener passt, der dank der italienischen Fernsehsendungen und ständig wechselnden Moden praktisch hirnamputiert ist.
Leider scheint es so, als sei man mit einer solchen Haltung in Italien auf der Gewinnerseite. Berlusconi lebt seit über zehn Jahren das dekadente Model der italienischen Gesellschaft vor: ein Aufsteiger, gerissen, ein Schmeichler, einer mit Muskeln, mit Ellenbogen, ebenso elegant wie prollig. Eine Beschreibung übrigens, die auf jeden Durchschnittsitaliener passt, der dank der italienischen Fernsehsendungen und ständig wechselnden Moden praktisch hirnamputiert ist. Das gilt übrigens auch für die Haltung gegenüber Frauen: Da wird Gleichberechtigung angemahnt, werden Frauenquoten gefordert, und doch gilt die Frau weiterhin als “Gegenstand”, der einzig zum persönlichen Vergnügen des Mannes da ist.
Jene, die Berlusconis Partei gewählt haben und sie auch nach wie vor unterstützen, glauben, dass dieses sexistische Gehabe doch im Grunde genommen nicht böse gemeint sei. Ist nicht jeder seiner Frau irgendwann schon mal fremdgegangen? Was ist schon so schlimm daran, wenn man nach dem Seitensprung wieder brav ins heimische Nest zurückkehrt? Je mehr Mann sich die Hörner abstößt und das Ideal des italienischen Mannsbildes hochhält, desto „cooler“ ist er. Viele würden gern wie er sein, wie Berlusconi. Und viele sind es bereits. Sie geben sich als anständige Leute und verteidigen die Familie, das Vaterland und die Sicherheit. Sie rühmen sich ihrer Eroberungen, verurteilen aber jede Frau sofort als Hure, die sich genauso verhält. Das anthropologische Drama Italiens im Jahr der Gnade 2009 ist ein wahrhaft furchterregendes.
Alessandro, 29 Jahre, lebt in Rom, wo er als freischaffender Journalist arbeitet.
Giulia Camin : „Sich mit Sexismus abzufinden ist ein gefährliches Phänomen“
Berlusconis Haltung war schon immer ganz offen sexistisch. Ist es trotzdem gerechtfertigt, sich für sein Privatleben zu interessieren? Ich würde sagen ja, weil das Casting für eine Karriere in der Politik derzeit nicht auf Meritokratie, auf Verdienst beruht, sondern sich in Firmenzentralen und Fernsehsendern abspielt, zum Beispiel in der Villa Certosa, Berlusconis privater Residenz, und vielleicht sogar in jenem berühmt-berüchtigten Ehebett. Wenn der Regierungschef sich dann auch noch zum Wortführer in Sachen traditionelle Werte wie Familie und Treue aufschwingt, dann wirft das moralische Fragen auf und die Sache wird zur öffentlichen Angelegenheit. Die Dekadenz der ganzen Nation, eine gerechte Strafe.
Die „Was schert mich mein Geschwätz von gestern“-Haltung scheint in Italien Tradition zu haben, und kaum jemand scheint sich daran zu stören. Ein Blick in die ausländische Presse allerdings zeigt, wie peinlich es um uns mittlerweile bestellt ist. Der Daily Telegraph etwa bezichtigte kürzlich alle Italiener der Sexsucht. Das Phänomen Berlusconi macht aus der ganzen Nation stereotypische Casanovas nach dem Vorbild des nimmersatten Satyrs auf der Suche nach unberührten Nymphen. Wie soll man sich dagegen wehren, wenn das vorherrschende Frauenbild in unserem Fernsehen das eines vor allem lüsternen Geschöpfes ist, wie es in Lorella Zanardos und Marco Malfi Chindemis Dokumentarfilm Der Körper der Frauen [Il Corpo delle Donne; A.d.R.] dargestellt wird?
Das sind keine unschuldigen Bagatellen, sondern ein Musterverhalten für ganze Generationen.
Nach Jahren des Kampfes - auch um ein Wahlrecht, das, nicht zu vergessen, erst vor etwa sechzig Jahren auch Frauen zugestanden wurde - werden wir nun laut Veronica Lario, der (noch-)Ehefrau Berlusconis, von einem „schamlosen Dreckspack“ repräsentiert, das sogar Gesetze macht. Sich mit Sexismus abzufinden ist ein gefährliches Phänomen, das nicht nur in Bezug auf Berlusconi zu beobachten ist. Ist es uns eigentlich bewusst, wie selten ein mehr oder weniger schlimmer „Witz“ über Frauen als Akt rassistischen Sexismus‘ wahrgenommen wird? Und die ständigen peinlichen und verletzenden Ausfälle des Premiers? Das sind keine unschuldigen Bagatellen, sondern ein Musterverhalten für ganze Generationen. Erinnert ihr euch an seine Behauptungen bezüglich Vergewaltigungen? „Man bräuchte so viele Soldaten, wie Italien schöne Frauen hat.“ Die Liste seiner Entgleisungen ist lang, aber die Geduld, um sie zu rechtfertigen, ist am Ende. Italien 2009: Jahr der Dekadenz oder der Kulturrevolution? Rebellieren wir. Bitte.
Giulia, 30 Jahre, hat Kunstgeschichte studiert und lebt in Berlin.
Translated from Berlusconi e le donne: una triste commedia all’italiana