Berliner Piratin Susanne Graf: „Wir haben Respekt, aber keine Angst!“
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Sie ist seit den Wahlen im September die jüngste Abgeordnete des Berliner Parlaments, die einzige Frau ihrer Fraktion und Piratin. Im Café Meyerbeer sprechen wir über Datenschutz, den Umgang mit Fehlern in der Politik und warum die Frauenquote bei den Piraten nichts bringen würde. Aber zunächst heißt es: Abwarten und Cappucino trinken. Denn Susanne Graf ist eine begehrte Interviewpartnerin.
Es ist ein herbstlicher Nachmittag in Berlin. Ich bin verabredet mit Susanne Graf, frischgebackene Parlamentarierin im Abgeordnetenhaus von Berlin. Die Piraten haben bei den Wahlen im September überraschend 8,9 Prozent der Stimmen gewonnen. Mit ihrer Parole „Klarmachen zum Ändern!“ sprachen die Piraten ebenso Protestwähler wie Wähler, die Themen wie Datenschutz und Transparenz des politischen Prozesses für wichtig halten, an.
Langsam wird es kalt, Susanne Graf kommt nicht. Ihre Handy-Nummer habe ich nicht bekommen, die Kommunikation läuft über den Pressesprecher. Datenschutz! Ich rufe ihn an, er ruft sie an, er ruft zurück. „Sie müsste gleich kommen“, sagt er. Kurz darauf ist sie da, entschuldigt sich für die Verspätung. Gerade komme sie von einem Interviewtermin mit der Wochenzeitung Freitag, aber der habe sich verschoben. Denn davor musste sie Fotos für die Illustrierte Stern machen.
Susanne Graf ist eine gefragte Frau. Piratin, mit 19 Jahren die jüngste Abgeordnete im Parlament und die einzige weibliche Parlamentarierin in ihrer 15-köpfigen Fraktion. Schnell gehen wir ins Meyerbeer, das wir ausgesucht haben, nicht weil es besonders schön wäre, sondern weil es praktisch liegt, in der Nähe der Redaktion des Freitag. Ich bestelle einen Cappuccino, sie eine Bionade. „Es ist ein bisschen komisch, so im Mittelpunkt zu stehen. Auf einmal will jeder was von mir wissen. Das ist sehr ungewohnt“, sagt sie.
Datenschutz ist für Wähler, die die DDR noch kennen, ein wichtiges Thema
Aber das hätte sie sich nach dem Wahlerfolg ihrer Partei denken können. „Ich war mal bei einer Veranstaltung des Chaos Computer Club“, erklärt sie den Grund für ihr politisches Engagement, „und dort kam das Thema Vorratsdatenspeicherung auf. Ich hatte das Gefühl, dass mir der Umgang mit unseren Daten nicht so ganz gefällt. Ich will meine Daten sicher wissen, ich will die Hoheit über meine Daten haben und nicht, dass der Staat alles weiß.“
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Datensicherheit und Datenschutz sind zwei Themen, mit denen sie auch im Wahlkampf punkten konnte. Ihr Wahlkreis, Marzahn-Hellersdorf, liegt im Osten der Stadt. Der Anteil der Rentner in der Bevölkerung ist hoch, kein Gebiet, in dem die Piraten, die meist von Jüngeren gewählt werden, traditionell Erfolg haben. „Wir haben einen Altersdurchschnitt, der bei über 50 liegt. Da musste man erst mal erklären.“ Schwer fiel das nicht. „Die Menschen hier haben die DDR miterlebt, die haben erlebt, was es bedeutet, wenn der Bürger dauerhaft überwacht wird.“ 8,8 Prozent der Wähler stimmten in Marzahn-Hellersdorf schließlich für die Piraten.
Aus Versehen ins Parlament
Susanne Graf redet schnell und viel. Sie ist keine professionelle Politikerin: Ihre Antworten sind oft wenig weichgespült, sie hat keine Angst, nicht die Parteilinie zu vertreten, beharrt auf einer Meinung. Der Bild-Zeitung wollte sie aus Protest keine Interviews geben, bis sie überrumpelt wurde und dann doch kurz drei Fragen beantwortet hat. Machtbewusst tritt sie auch nicht auf. „Ich möchte eigentlich kein Berufspolitiker werden“, sagt sie ernst. „Ich bin darum gebeten worden, mich aufzustellen. Ich habe angenommen, weil ich dachte, ok, die Leute wollen mich und dann möchte ich das auch. Aber wenn die Mitglieder des Landesverbandes mich für die richtige Person halten, dann ist es auch richtig, jetzt hier im Abgeordnetenhaus zu sein.“
Piratinnen von Bord?
„In der Politik werden selten Menschen gesucht, die einsichtig sind, die versuchen, kompromissbereit zu sein, stattdessen werden Menschen gesucht, die polarisieren und die ihre Meinung aufsagen."
Wäre sie nicht gewählt worden, wäre die Piratenfraktion im Abgeordnetenhaus noch außergewöhnlicher gewesen – die einzige rein männliche Fraktion. Der Grund liege in der Art und Weise, wie Politik gemacht werde, meint Susanne Graf. „In der Politik werden selten Menschen gesucht, die einsichtig sind, die versuchen, kompromissbereit zu sein, stattdessen werden Menschen gesucht, die polarisieren und die ihre Meinung aufsagen. Und irgendwie können Männer das besser.“ Die naheliegende Lösung, eine Frauenquote durchzusetzen, lehnt sie trotzdem ab. „Nur weil manche Menschen Brüste haben darf man sie doch nicht dazu zwingen, zu kandidieren“, erklärt sie.
Ein Berliner Phänomen?
Dass die Piraten gerade in Berlin so erfolgreich waren, mag an der Stadt liegen. „Berlin ist gerne unkonventionell. Für uns ist das ein sehr großer Vorteil. Dazu kommt, dass wir momentan ohnehin auf einer Erfolgswelle schwimmen und dass wir neue Themen besetzt haben, die von anderen Parteien nicht besetzt wurden.“ Der Wahlerfolg bedeutet aber auch: Aus der schönen Theorie wird nun Praxis. Auch die Grünen sind vor 20 Jahren als eine Anti-Parteien-Partei gestartet und haben aus reiner Notwendigkeit dann doch viele Innovationen wieder aufgegeben.
Die Piraten müssen zeigen, wie sie es tatsächlich mit Transparenz und Offenheit halten und wie sie die Bürger stärker in die Politik einbeziehen können. Die Fraktionssitzungen sind fürs erste öffentlich. Den ihr zustehenden Dienstwagen lehnte die Fraktion ab, und bat darum, ihn gegen Fahrräder einzutauschen. Wie die parlamentarische Praxis die Piraten verändert, wird sich zeigen. Susanne Graf bleibt optimistisch. „Wir haben keine Angst. Wer Angst hat, traut sich nicht, etwas zu verändern. Wir haben Respekt vor der Aufgabe, wir wissen, dass wir Fehler machen können. Aber es ist dann wichtig, dass man diese Fehler zugibt.“ Unsere Gesprächszeit ist um, ihre Bionade steht noch fast unangerührt da. Schnell trinkt sie aus, und eilt zum nächsten Termin.
Lest mehr zu den Piraten auf dem Berliner Babelblog.
Fotos: Homepage: (cc)Tobias M. Eckrich/Wikimedia; Text: ©Tobias Sauer