Berliner DJs mixen Multikulti
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Julia EichhorstStraßenkunst wie 'Welcome to Schwabylon' gibt es in Berlin an jeder Ecke. Die Bezeichnung Schwabylon entstand ursprünglich 1973, in Anspielung auf ein riesiges Münchner Einkaufszentrum, das sich als nicht aufrecht zu erhalten erwies – ähnlich wie der Gedanke hinter einer anderen deutschen Wortschöpfung aus den Siebzigern: Multikulti.
Der Versuch, eine multikulturelle Gesellschaft zu entwickeln, sei „absolut gescheitert“, gab sich Angela Merkel 2010 geschlagen – hatte dabei aber sicherlich nicht eine der aufregendsten und progressivsten Musikszenen Europas im Sinn.
In Berlin hört die Party niemals auf. Die Stadt ist lebendig, lässig und voller interessanter Leute. Niemand interessiert sich dafür, wie man aussieht oder wo man herkommt. 'Niedrigmieten' lautet das Zauberwort. Angeblich ist das alles, was Kreativität wirklich braucht. Wer also kommt heutzutage hierher und warum? „Eigentlich jeder, der kann“, sagt der in Berlin geborene DJ und Producer bulgarischen Ursprungs, Stefan Goldmann. „Im Wesentlichen gibt es zwei Gruppen: Mittelschichtskinder mit etwas Unterstützung von ihren Eltern und, zu einem geringeren Teil, Leute, die eher am Rand der Gesellschaft leben. Die erste Gruppe zieht ein, weil sie gehört hat, dass hier die Party am kochen ist. Die anderen, weil Berlin ein Ort im 'Westen' ist. Das Erstaunliche ist, dass man den Unterschied nicht merkt, solange man Mittelschichtler um sich herum hat. Alle sprechen Englisch, tragen die gleichen Klamotten, hören die gleiche Musik und tun so, als ob es zwischen ihnen keine kulturellen Unterschiede gibt. Also hat die Migration keinen wirklich erkennbaren kulturellen Einfluss.“
Multikulti 1994: als es noch OK war
Die Karriere der deutsch-türkischen DJane Ipek Ipekcioglu begann unfreiwillig sarkastisch:„Der Promoter des Klubs fragte mich, ob ich lesbisch und türkisch sei, bevor er mich anflehte, den DJ zu spielen: "Wir haben die nächsten drei Tage eine orientalische Schwulenparty und wir haben keinen türkischen DJ." Ich wusste gar nicht, wie das ging, ich hatte nur Tapes. Ich hatte nie mit dem Gedanken gespielt, Musikerin oder DJane zu werden.“ Das war 1994, als Ipek die Multikulti-Idee und sogenannte „kulturelle Quoten“ noch entgegenkamen. Eine Zeit lang war sie die einzige in der Szene, die keine amerikanische Musik spielte, sondern mit türkischen, arabischen und orientalischen Klängen in ihren Sets ankam, die später mit Elektro gemixt wurden.
Heute ist Ipek international gefragt und als eine der bedeutendsten Berliner Kulturschaffenden anerkannt. Wir treffen uns in einem Straßencafé zwischen Kreuzberg und Neukölln (und nur zur Info, der Name 'Kreuzkölln' ist längst schon wieder out). Auf ihrem Wohnzimmertisch liegt eine DVD mit dem Titel Tokyo Godfathers, an ihrer Wand hängen einige indische Poster und ein riesiges Foto von Istanbul.„Manchmal ist es schwer, aus dem folkloristischem Klischee raus zu kommen, da ich auch Elektrozeugs mache“, sagt sie. „Die Leute verlangen nach 'etwas Arabischem' und ich sage 'Aber das hier IST arabisch'. Es ist einfach nicht das, was sie gewohnt sind. Oft wollen die Leute die traditionellen Sachen, aber du musst ihnen neue Sounds beibringen oder dir neue Szenen suchen.“ Ipek schätzt, dass es fünf oder sechs Leute wie sie gibt, also hört sie sich immer um, um Neulinge zu unterstützen, die ebenfalls Ethno-Sounds spielen.
Im Allgemeinen scheinen sich Musikszenen wie Balkanbeats nicht zu mischen. „Das hat mit den Berliner Sounds nichts zu tun, das wird einfach gespielt. Die Leute führen parallele Leben “, sagt der in Berlin lebende Franzose Théo Lessour, der das Buch Berlin Sampler geschrieben hat. Stefan denkt, dass nur die etablierten Minderheiten einen Einfluss auf die Bevölkerung und die Musik haben. Daher haben die meisten Deutschen eine Vorstellung davon, was 'türkischer Pop' ist. Andere wie Reggae füllen Lücken durch Medien und Plattenverkauf. Manchmal gibt es Momente des Durchbruchs, so wie Nordic by Nature. Die beiden Mädels aus Schweden vertreiben skandinavische Musik in Deutschland, arbeiten als DJs, haben ihre eigene Radioshow auf BLN.FM und organisieren Konzerte und Partys wie das Berliner Mittsommerfestival.
Wladimir Kaminer: ‘Es ist mir vollkommen egal, als Modell-Russe zu gelten’
Wladimir Kaminer war mit seinen Russendisko-Events auch ziemlich erfolgreich, aber das ging nur bis zu einem bestimmten Punkt , sagt Stefan. „Die Leute haben sich mit Wodka zugedröhnt und zu Vysotskjy getanzt – das war’s dann aber auch.“ Dennoch, denkt er, bleibt die richtig gute Musik innerhalb der ethnischen Ghettos. „Wenn die Deutschen jemals Zigeunermusik hören, sind das immer Blaskapellen aus Rumänien“, erklärt er, „aber nie das Synth-Zeug , das die Zigeuner in ihren eigenen Bars und Klubs hören. Es ist alles da, aber total unsichtbar.“
So fern, so nah
„Ethnische musikalische Einflüsse werden zu oft einfach zum Aufpeppen benutzt”, sagt Andreana Slavcheva, ehemalige Redakteurin des Online-Radiodienstes Aupeo.com. „DJs ist die Essenz eigentlich egal.“ Ihr zufolge steht dahinter meistens der Versuch, kreativ, exotisch oder originell zu sein. Wie um ihre Theorie zu unterstützen erzählt mir Théo Lessour von einer Party, auf der er neulich war: „ Der Typ hat nur Tapes aus Mali von einem afrikanischen Label der Achtziger gespielt. Er war weiß und die meisten Leute dort waren weiß, es gibt in dieser Stadt sowieso nicht sehr viele Afrikaner. Es war eine lustige Hipster-Party mit billiger afrikanischer Musik, die mit schlechtem Equipment gemacht wurde.“
Andererseits benutzt Goldmann in seinem neuesten Technotrack Motive (die nicht gesampled, sondern von ihm selbst komponiert und gespielt wurden) im Stil des sehr beliebten und ebenso gering geschätzten Balkan/bulgaro-türkischen, trashigen Folkpop-Genre namens Tschalga. „Die Welt ist mehr als bereit für Tschalga“, sagt er. „Ich habe es schon überall gespielt, von Italien bis Japan. In Sofia beginnt das Eis auch langsam zu schmelzen. Ich habe es Silvester im Kino Vlaykova gespielt und die Leute fingen gerade an zu begreifen, wie genial die ganze Sache ist. Mit der modernen elektronischen Musik von dort kann niemand in Berlin, New York oder London bisher mithalten. Das Potenzial ist so riesig, was die Modernität angeht. Ich kann das besetzen.“
Wie schafft man’s in Berlin
Berlin ist eine kleine Insel, wo man für eine Weile glauben kann, dass der Kapitalismus dich nicht jeden Tag auffrisst.
Tim Thaler, Mitbegründer und leitender Redakteur des Radiosenders BLN.FM und Journalistik-Professor, ist in der schmucken, etwas heruntergekommenen Wohnung in Berlin Mitte, in der der Radiosender untergebracht ist. Wir sitzen draußen auf dem Bürgersteig, wo kurz darauf die strahlende und einschüchternd erfahrene DJane und Promoterin Barbara Hallama zu uns stößt, die auf ihrem Fahrrad vorbeikommt. „Ich glaube, ich habe noch nie einen Musiker oder DJ gesehen, der es in Berlin geschafft hat”, sagt er. „Sie ziehen hierher, versuchen es ein Jahr lang, merken, dass es nichts wird, und hauen wieder ab.“ Radikaler Eskapismus ist das Wesentliche, schließt Théo. „Es gibt keinen sozialen Druck, es zu schaffen. Es ist eine kleine Insel, wo man für eine Weile glauben kann, dass der Kapitalismus dich nicht jeden Tag auffrisst, dass man aussteigen kann. Die Leute hier glauben, dass sie anders leben.“
In einer Stadt mit 50,000 DJs ist es unmöglich ins Geschäft zu kommen, wenn man die Insider nicht kennt. Selbst Gigs in kleinen Bars sind sehr schwer zu kriegen und extrem schlecht bezahlt – wenn überhaupt. Man kann natürlich seine eigene Party starten, aber laut Tim wird das auch nicht funktionieren. Man braucht schon eine ernsthafte Portion Selbstdisziplin, um am Ball zu bleiben, wie schon David Strauss, Musikredakteur der Zeitschrift Ex-Berliner, in einer Radiosendung auf Spark FM sagte: „Mein intellektueller Ehrgeiz ist von einem Berliner Verlangen abgelöst worden, einfach nur über die Runden zu kommen.“
Dieser Artikel ist Teil der cafebabel.com Reportagereihe MULTIKULTI on the ground 2012. Vielen Dank an das cafebabel.com Localteam in Berlin.
Illustrationen: Teaserbild ©Ipek Ipekcioglu offizielle Facebook-Seite; Im Text ©Berlin Sampler; ©Nordic By Nature offizielle Seite
Translated from Berlin's multicultural music mix: subsuming Berlin