Berlinale Tag 1: Gestatten, die Jury
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Lilian PithanDer Beginn der Berlinale wird von zwei dramatischen Ereignissen in der Filmszene überrschattet: Die von Woody Allens Stieftochter vorgebrachten Missbrauchsvorwürfe und der Tod von Philip Seymour Hoffman waren bei der Pressekonferenz der Berlinale-Jury unweigerlich große Themen. Aber wer vergibt denn jetzt eigentlich den goldenen Bären?
James Schamus, der Präsident der achtköpfigen Jury, ist ein ausgesprochen umtriebiger Producer, Drehbuchschreiber und Gelehrter. Die Berlinale-Organisatoren werden bei seiner Nominierung sicherlich auch an den Nutzen für ihr Filmfestival gedacht haben, da Schamus vor allem der Balanceakt zwischen kommerziellem Kino (Stichwort "Hollywood") und Arthouse-Filmen überraschend gut gelingt. Eben dieser Balanceakt bestimmt auch das Programm der Berlinale seit vielen Jahren. Neben seiner Mitarbeit an vielen einflussreichen Filmen (Far from Heaven, Eternal Sunshine of the Spotless Mind, Lost in Translation, Milk, Dallas Buyers Club, The Kids Are All Right), produzierte Schamus außerdem mehrere Ang Lee Filme und schrieb auch am Drehbuch von Lees Crouching Tiger, Hidden Dragon mit. Mit seinem Interesse für China macht sich Schamus einen Trend zu Nutzen.
In den letzten Jahren macht China dem US-amerikanischen Kino die Vormachtstellung mit vielen Schlqgzeilen streitig. „Chinesisches Kino wird global", glaubt der chinesische Schauspieler und Regisseur Tony Leung. „Immer mehr chinesische Filme werden auch bei internationalen Filmfestivals gezeigt werden." Vielleicht können ja chinesische Filmemacher den gefühlten Abwärtstrend der Branche auffangen.
Manche Journalisten sorgen sich um die Rolle der Berlinale in einer Welt, in der Kinobesuche als Gemeinschaftserlebnis auf dem absteigenden Ast sind. „Der Kinobesuch als Erlebnis ist nicht am aussterben", meint Schamus. „Schauen Sie nur mal nach China: Dort werden jeden Tag sieben neue Kinos gebaut. Und die sind für immer jüngere Besucher da."
Hoffman, Allen und die Untiefen des Filmgewerbes
In Bezug auf den Tod von Philipp Seymour Hoffman fragt ein Reuters-Journalist, ob das Schauspielgewerbe neuerdings immer gefährlicher werde. Da kann Schamus nur lachen: „Vielleicht. Aber sicher nicht so gefährlich wie manche Spielarten des Journalismus, zu denen auch die Ihre zählt." Mehr als zufrieden mit seiner Rolle als Juryvorsitzender beantwortet Schamus fast alle Fragen der Journalisten, die nicht ausdrücklich an andere Mitglieder der Jury gerichtet waren. Dabei wäre es sicher nicht uninteressant, auch die Meinung der anwesenden Schauspieler zu hören. Unter Verweis auf den gegenwärtigen Skandal um Woody Allen und seine Stieftochter fragt ein Journalist die Jury, inwieweit „ethische und moralische Überlegungen" in die Entscheidungsfindung einflössen. „Ich nehme an, dass diese ethischen und moralischen Entscheidungen schon von dem Auswahlkommitee getroffen worden sind", entgegnet Schamus ganz diplomatisch.
Der französische Regisseur Michel Gondry ist bei der diesjährigen Berlinale gleich in zwei Funktionen vertreten: Er ist sowohl Mitglied der Jury als auch mit seiner Noam Chomsky-Doku Is the Man Who is Tall Happy? im Panorama dabei. Der Regisseur des erfolgreichen Films Eternal Sunshine of the Spotless Mind (2004), der auch mit einem Oscar ausgezeichnet wurde, macht trotz allem einen eher demütigen und etwas verwirrten Eindruck. „Christoph [Waltz] hier hat aber sogar zwei Oscars gewonnen", murmelt Gondry. „Das ist wirklich sehr selten."
Christoph, der Charmeur, und die stillen Damen
Christoph Waltz, der unangefochtene Star unter den Jurymitgliedern, verhält sich auch entsprechend: eloquent, scharfsinnig, ausweichend und fast ein bisschen arrogant, aber trotzdem immer charmant. Als er gefragt wird, wie er die filmische Leistung anderer zu beurteilen gedenkt, antwortet er kurz und knapp: „Es gibt keine grundlegenden Prinzipien, nach denen man Filme beurteilen könnte." Nach den Unterschieden zwischen Cannes und der Berlinale gefragt, meint er: „Ein großes Manko ist das Fehlen eines Strandes in Berlin. Die Berlinale versucht ganz eindeutig, mutigere Standards zu setzen als Cannes, aber das Essen ist im Süden immer noch besser."
Festivalleiter Dieter Kosslick erklärt das Programm der 64. Internationalen Filmfestpiele Berlin.
Seit 2011 ist es auch zur Berlinale-Tradition geworden, iranische Filmschaffende als Jurymitglieder zu laden. Was ursprünglich eine Reaktion auf die erfolglosen Proteste 2009-2010 im Iran war, ist seitdem zu einem alljährlichen politischen Statement gegen ein Regime geworden, das die Freiheiten filmischen Ausdrucks schmerzhaft beschneidet. Die etwas schüchterne Mitra Farhani (Jahrgang 1975) kann sich aber behaupten, als sie sich vom Eindruck eines Journalisten distanziert, dass ihre Aufnahme in der Jury nur ihrer Karriere diene: „Ich bin alt genug, um die Filme anderer zu beurteilen." Greta Gerwig, Trine Dyrholm und Barbara Broccoli, drei weitere Jurymitglieder, sind an diesem Donnerstag nicht unbedingt gesprächig. Deswegen werde auch ich mich hier verabschieden.
CAFEBABEL BERLIN BEI DER 64. BERLINALE
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Translated from Berlinale Day One: International Jury Press Conference