Berlinale Moments 2016
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Warum es sich jedes Jahr wieder lohnt. Meine persönlichen Berlinale-Momente 2016.
Berlinale Moment #1: Taumelnde Männlichkeit
Was ist nur mit den jungen Männern los? Die Generation - eine Sektion, die sonst mit witzigen und klugen Coming-of-Age-Geschichten jungen Menschen aus der ganzen Welt eine Stimme gibt - schockiert mich mit zwei Filmen: Valderama (Abbas Amini, Iran) und Avant les rues (Chloé Leriche, Kanada). Die Protagonisten durchleben Obdachlosigkeit, Drogenkonsum und zerrissene Familienstrukturen, sie fühlen sich verlassen und unverstanden und - töten einen anderen Menschen. Weil sie sich wehren müssen, weil sie jemanden beschützen wollen. Das alles wird schonungslos und ohne Happy End gezeigt; nur die kulturellen Wurzeln geben ein wenig Halt. "Junge Menschen auf der ganzen Welt sind ständig mit dystopischen Realitäten konfrontiert, die sich nicht geschaffen haben", sagt Maryanne Redpath, Leiterin der Sektion, in einem Pressestatement dazu.
Berlinale Moment #2: Haka im Kino Toni
Seit dem Start der Berlinale goes Kiez Reihe ist das Kino Toni ein Hotspot. Michael Verhoeven kommt mit Frau Senta Berger aus München eingeflogen, der rote Teppich wird über den Antonplatz gerollt, die Scheinwerfer sind grell. Sonntagabend jedoch nieselt es und die Stimmung ist gedämpft. Das ändert sich schlagartig, als die schwarzen Berlinale-Wagen vorfahren und Starregisseur Lee Tamahori aus Neuseeland mit seiner Crew des Films Mahana vorfährt. Der Film, der auf sehr unterhaltsame Weise die Emanzipation eines Maori-Jungen vom Familienpatriarchen in Neuseeland erzählt, bringt internationalen Glanz in den (noch) sehr urigen Berliner Bezirk. Lee Tamahori ist begeistert: "I love cinemas like this. I grew up in one of them. There should be more of them." Das Kiez-Publikum dankt es ihm mit anhaltendem Applaus und staunt dann auch nicht schlecht, als nach der Vorstellung vor dem plüschigen roten Vorhang zwei der Schauspieler mit Gebrüll und ausladenen Gesten einen typischen Maori Kriegstanz aufführen. Haka!
Berlinale Moment #3: Nothing better than Berlinale Shorts
Die Königsdisziplin der Berlinale - die Shorts! Nur einmal im Jahr sieht man so verschiedene Formate, Genres, Materialien komprimiert in zwei Stunden. Die Regisseurinnen und Regisseure sind meist jung, experimentierfreudig und haben ein Anliegen, das sie engagiert verfolgen. Dieses Jahr auf dem Menü: Lyrische Filmbriefe von einem queeren Ghanaer an seine Mutter auf Super 8 (Reluctantly Queer), 244 zusammengepuzzelte Filmmosaikstückchen die um Abwesenheit und Disorientierung kreisen (Personne), und eine Geschichte über Frösche in Portugal, die den Goldenen Bären des Kurzfilms gewinnt: Balada de um Batráquio (Leonor Teles) deckt auf, dass die putzigen Keramikfrösche, die in Portugal vor Läden sitzen, ausschließlich dazu da sind, Roma zu verjagen. Die Regisseurin mixt Privataufnahmen von Hochzeiten und Familienfeiern mit den Aufnahmen davon, wie sie in die Geschäfte rennt, die Frösche nimmt und unter den verblüfften Augen der Passanten auf der Straße zerschlägt. Film ist eben nicht nur Kunst, sondern auch Politik!
Berlinale Moment #4: Zhaleika rocks
Am Ende sehe ich ihn dann doch noch - "meinen" Berlinale Film. Zhaleika ist ein junges Mädchen, das der Enge ihres Dorfes in Bulgarien entfliehen möchte. Es ist ihr egal, was andere über sie sagen - die löchrigen Jeans und das knappe bauchfreie Shirt zieht sie doch jeden Tag wieder an. Die Haare bleiben lang, die Zigaretten werden stoisch geraucht. Als der Vater stirbt und die große Liebe sie nicht mehr beachtet, bleibt nur noch der Weg raus aus dem Dorf - nach Berlin!? Das alles wird so still und doch eindrücklich erzählt, die bulgarische Landschaft so zärtlich als Zufluchtsort in Szene gesetzt und Traditionen und Rituale so beiläufig gezeigt, dass mich die Geschichte lange nicht loslässt.