Berlinale: Frauenliebe und die Französische Revolution
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von Michael Kienzl Einen Film über die Anfangstage der Französischen Revolution zu drehen ist erst einmal nichts Ungewöhnliches. Was aber den neuen Film des französischen Regisseurs Benoît Jacquot (Villa Amalia) auszeichnet, ist seine Erzählperspektive. Leb wohl, meine Königin!
(Les adieux à la Reine), der die Berlinale eröffnete, interessiert sich nicht für das Volk, von dem die Revolution ausging. Er spielt ausnahmslos bei Hofe, widmet sich dort aber weniger den Herrschenden als dem Dienstpersonal, allen voran der jungen Sidonie (Léa Seydoux), Vorleserin von Marie Antoinette (Diane Kruger).
Basierend auf dem gleichnamigen Roman von Chantal Thomas, spielt der Film in einem Kreis Privilegierter, der von den Problemen der Außenwelt kaum etwas mitbekommt. Weltliches wie die Pest dringt höchstens mal in Form einer toten Ratte, die im venezianischen Kanal treibt, durch. Dann machen allerdings Nachrichten die Runde, die vor allem die Herrschenden stark beunruhigen: Das Volk hat die Bastille gestürmt. Als auch noch ein Flugblatt auftaucht, in dem die Köpfe der Adeligen gefordert werden, macht sich Untergangsstimmung breit. Die ersten Koffer werden gepackt.
Obwohl Jacquot an Originalschauplätzen in Versailles gedreht hat, rückt die beliebte Sehenswürdigkeit nur selten ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Leb wohl, meine Königin! grenzt sich von den meisten bei Hof angesiedelten Historienfilmen schon deshalb ab, weil die Bilder eher an den Gesichtern der Schauspieler interessiert sind als an Kostümen oder der glamourösen Kulisse. Auch formal setzt Jacquot nicht auf Opulenz, sondern auf Dynamik. Immer wieder folgt eine Handkamera der Protagonistin, wie sie durch die labyrinthischen Gänge des Schlosses hetzt und in neue Winkel vordringt. So intim und lebendig wie Jacquot das inszeniert, vertreibt er effektiv jenen Mief, der so vielen Filmen mit historischen Sujets anhaftet. Ohnehin ist bei ihm die Welt der Monarchen nicht nur glatte Oberfläche, sondern verfügt etwa auch über andere Vorstellungen von Hygiene. In einer der ersten Einstellungen sehen wir Sidonie, wie sie sich erst ausgiebig an den roten Pusteln kratzt, die sich auf ihren Armen befinden, und anschließend an den verfilzten Haaren.
Sidonies Leben ist im Grunde genommen nur darauf ausgerichtet, der Königin zu dienen. Sich hübsch machen, mit Parfüm einreiben und schnell über den Hof hasten, um Marie Antoinette, die sich derweil im Bett räkelt, nicht warten zu lassen. Dass Leb wohl, meine Königin! die Sichtweise der Bediensteten einnimmt, hat auch gerade vor dem Hintergrund der Französischen Revolution durchaus etwas Subversives. Wenn etwa die Dienerinnen am Fenster stehen und über den König und seine Brüder lästern, zeigt der Film die Zwischenposition, die die Bediensteten einnehmen, irgendwo zwischen Abscheu und Faszination für die Welt der Monarchen.
Das ungleiche Machtverhältnis zwischen Herrschenden und Bediensteten bildet schließlich auch die Grundlage für ein Liebesdreieck unter Frauen, das Jacquot mit subtiler Spannung inszeniert. Sidonie fühlt sich zwar sexuell zu einem Diener hingezogen, der als Casanova gilt, ist im Grunde genommen aber vollkommen der Königin erlegen. Während das Volk draußen revoltiert, schafft sie es selbst nach der tiefsten Demütigung nicht aufzubegehren. Marie Antoinette weiß diese Zuneigung zu erwidern und für sich zu nutzten, ist aber in ihrer unerwiderten Liebe zur Herzogin von Polignac ebenso schwach und hilflos. Am Schluss gibt es nur Opfer. Nicht nur der Revolution, sondern auch der emotionalen Verstrickungen.
Diese Kritik wurde zunächst auf Berlinale im Dialog veröffentlicht, unser Partner für die Berlinale.