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Berlinale 2013: Frauen, die aus der Reihe tanzen

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Berlin

von Christiane Lötsch

Auf der Pressekonferenz der Berlinale warb Direktor Dieter Kosslick bereits mit starken Frauen-Figuren und famosen Schauspielerinnen im Wettbewerb.

Doch während Catherine Deneuve, Nina Hoss, und Juliette Binoche gewohnt in großen Rollen glänzen, trifft man im Panorama auf lebensnahe und überzeugende Charaktere: eine kämpferische Ärztin, eine Tänzerin auf der Suche nach sich selbst und eine Frau, die mit allen Wassern gewaschen ist.

InchAllah Evelyne Brochu und Yousef Sweid in INCH'ALLAH, Foto © Philippe Lavalette

Chloés (Evelyne Brochu) zart schimmernde Haut und ihre feinen Gesichtszüge führen in die Irre. Am Beginn des Filmes "Inch'Allah" (Kanada 2013) sieht man die junge feingliedrige Frau zusammen mit ihrer Freundin Ava durch das nächtliche Tel Aviv streifen, eine Flasche Bier in der Hand. Sie amüsieren sich wie sorgenlose Studentinnen es tun. Erst in den folgenden Szenen wird klar: Sophie arbeitet als Ärztin in einer Frauenklinik für die UN in den palästinensischen Gebieten; ihre israelische Freundin Ava ist Grenzsoldatin, die an einem der unzähligen Checkpoints Ausweise kontrolliert. Beide müssen jeden Tag mit ungerechten und aussichtslosen Situationen umgehen, beide sind hilflose Akteure der politischen Situation: Ava hasst es, wie ihre Kollegen die Palästinenser grundlos schikanieren; Chloé bekommt mit, wie viel Ungerechtigkeit hinter der überdimensionalen Mauer passiert. Durch ihre schwangere Patientin Rand, deren Bruder und die Kinder, die trotz Supermankostüm nicht immer überleben, versteht sie die Sorgen und Ängste der Bewohner im Westjordanland. Wenn Chloé unterwegs ist, folgt ihr die Handkamera wie ein Verfolger durch die engen Gassen, wo das alltägliche ärmliche Leben der Palästinenser wie in einem Dokumentarfilm sichtbar wird. Die Dramaturgie des Films ist so einfach wie genial spannend: Obwohl sich Chloé beider Seiten des Konfliktes bewusst ist, kann sie sich ihm nicht entziehen und gerät zwischen die Fronten, bis am Ende alles in die Luft fliegt.

Frances Ha Greta Gerwig in FRANCES HA, Foto © 2012 Pine District, LLC

Ebenfalls Ende zwanzig aber mit ganz anderen Problemen stolpert Frances (Greta Gerwig) durch den in schwarz-weiß gehaltenen Film "Frances Ha" (USA 2012). Frances hat einen Haufen Probleme, verliert aber nie den ihr eigenen, selbstironischen Humor. Ihr Körper ist viel zu ungelenk, viel zu „awkward“, um jemals die professionelle Tänzerin in New York werden zu können, wie es sich erträumt. Auch sonst läuft es nicht gerade rund in ihrem Leben. Die Beziehung ist vorbei, ihre beste Freundin löst die preiswerte WG auf, die Tanzcompany lässt sie nicht auftreten, der interessante neue Mitbewohner stuft sie als "undateble" ein. Frances befindet sich in einer typischen Endzwanziger-Krise, die vor allem darin besteht, sich selbst definieren, Geld verdienen und einen Partner fürs Leben finden zu müssen. Sie rennt, stolpert, fällt hin, steht immer wieder auf. Es braucht eine missglückte Reise nach Paris, den langweiligen Verwaltungsjob an der Tanzakademie und die eigene, aber bezahlbare Wohnung in einem abgelegenen Viertel bis Frances von einer tollpatschigen Ente zu einem choreographierenden Schwan wird. Diese charmante Komödie zeichnet sich vor allem durch die Woody-Allen-esken Situationen und Dialoge und der umwerfenden Protagonistin aus, für die man sich zunächst schämt, um dann doch mit ihr zu lachen. Der Film ist all denjenigen ans Herz gelegt, die mit ihrem Leben hadern oder sich noch gut an die Zeit zwischen Studium und Berufsanfang erinnern können.

La Piscina Mónica Molinet, Felipe García, Carlos Javier Martínez, Marcos Costa, Raúl Capote in LA PISCINA Foto © Internationale Filmfestspiele Berlin

Die Stärke der schönen Diana (Mónica Molinet) im Film "La Piscina" (Kuba, Venezuela 2012) besteht darin, die Männer um sie herum zu manipulieren. Nicht um einen bestimmten Zweck zu verfolgen, sondern einfach, weil sie es kann. Die einbeinige junge Frau ist eine schnellere Schwimmerin als alle männlichen Mitglieder der kleinen Gruppe, die sich jeden Morgen im Schwimmbad mit ihrem Trainer trifft. Alle haben eine körperliche Behinderung: der übergewichtige Dany hat das Down-Syndrom, der willensschwache Rodrigo leidet an einer Gehbehinderung, und der mürrische Oscar weigert sich hartnäckig, etwas zu sagen. Wie ein Kammerspiel inszeniert Regisseur Carlos Machado Quintela seinen Debütfilm, denn bis auf eine Mittagspause außerhalb des Pools verlassen die Protagonisten den geschützten und abgeschotteten Raum nicht. Die visuellen Linien, die durch Mauern und Schwimmbahnen entstehen, grenzen die vier Protagonisten von der Außenwelt ab. In ruhigen, apathischen Bildern inszeniert der Film den perfekten Ort, um Animositäten, Rivalitäten und unerfüllte Liebschaften in der Sommerhitze köcheln zu lassen. Wie ein Tiger auf Beutefang macht Diana ihren angestauten Aggressionen am Ende des Films Luft – der Zuschauer zuckt zusammen und merkt sich: Man sollte keine der drei Frauen unterschätzen.