Berlinale 2011: Kinofieber erobert Berlin
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aenne_seidelNach einem feuchtfröhlichen Jubiläum im letzten Jahr hält die Berlinale vom 10. bis 20. Februar 2011 erneut Einzug in die deutsche Hauptstadt. Wenig Glamour, aber viele junge Regisseure im Dienst einer Festivalausgabe, die vor allem im Zeichen des politischen Engagements steht. Oder?
Berlin ist nicht Cannes. Da können die Organisatoren noch solange versuchen, der deutschen Hauptstadt einen Glamour-Anstrich zu verpassen. Man muss zugeben, dass ein blaues Meer und ein heller Horizont den bewölkten Berliner Himmel dieses zu Ende gehenden trüben Winters nicht wirklich fürchten müssen. Natürlich fehlen die Berühmtheiten nicht völlig. Jeff Bridges und die Coen-Brüder gehörten zu den ersten, die den roten Teppich am Marlene-Dietrich-Platz betraten. Nicht etwa um eine unwahrscheinliche Fortsetzung von The Big Lebowski zu präsentieren, sondern anlässlich der Europa-Vorpremiere ihres Western True Grit. Und auch Madonna ist mit von der Partie. Getreu ihrer Gewohnheiten hat sie ihren Besuch angekündigt, um mit einer Handvoll Auserwählten drei kurze Minuten, nicht mehr, nicht weniger, ihres neuen Films W.E. zu teilen.
Erobern werden die Promis Berlin jedoch nicht, die Berühmtheiten bleiben hier Accessoires. Denn während das Festival in Cannes auf die „alles-Glamour“-Karte setzt, will die Berlinale publikumsnah bleiben. Und so finden sich in diesem Jahr unter den insgesamt 21 Festivalkinos ein halbes Dutzend kleine Stadtteilkinos. Damit dürfte das Festival für möglichst viele zugänglich werden.
Jugend auf Abwegen
Das diesjährige Festival rückt im Wettbewerbsprogramm vor allem junge Regisseure, die sich mit den Beziehungskrisen der Generation der Dreißigjährigen beschäftigen, ins Blickfeld. In Come Rain, Come Shine inszeniert Lee Yoon-ki ein Paar auf Sinnsuche in ihrer beeindruckenden und gleichzeitig erstickenden Zweisamkeit. Die gleichen Zweifel in The Future von Miranda July, in dem sich ein Paar mit der schrittweisen Entfremdung voneinander konfrontiert sieht - ausgelöst auch durch das ständige Surfen im Internet. Eine fruchtlose Suche nach dem Glück steht ebenfalls im Mittelpunkt der deutschen Produktion Schlafkrankheit von Ulrich Köhler.
Auch im Wettbewerb läuft Pina, eine Hommage von Wim Wenders an die 2009 verstorbene Tänzerin und Choreografin Pina Bausch. Auch wenn vieles über den Film noch im Dunkeln liegt, weiß man dennoch bereits, dass es sich um ein ästhetisches Spiel zwischen Tanz und Kino, das in 3D-Technik präsentiert wird, handelt. Grund genug also zur Neugier für viele Kinobegeisterte. Andere heiß erwartete Filme, vor allem in der Panorama-Sektion, sind die Fortsetzung von Tropa de Elite von José Padilha, der in den Favelas von Rio de Janeiro spielt, oder The Devil’s Double von Lee Tamahori, ein Fantasyfilm, in dem ein schwarzer Prinz nur Chaos auf seinem Weg hinterlässt. Auch erwähnt werden muss die Forum-Sektion, die wie gewöhnlich experimentelle Filme aus der ganzen Welt zeigt, oder die Retrospektive, die dieses Jahr Ingmar Bergmann gewidmet ist und ausgewählte Filme aus seinem Werk präsentiert.
Solidarität mit Jafar Panahi
Ein Programm, über das sich die Berliner zu freuen scheinen, denn sie reißen sich um die Eintrittskarten, die seit Montag verkauft werden. Ein Platz wird jedoch leer bleiben, derjenige des iranischen Regisseurs Jafar Panahi, Jurymitglied und Opfer der iranischen Machthaber. Eine politische Maßnahme, die vermutlich auf seinen Erfolg in der internationalen Kritik zurückzuführen ist, die sein menschliches und fortschrittliches Werk immer wieder bejubelt hat. Ob er nun in seinem Film Offside - für den er 2006 den Silbernen Bären erhielt - die Situation der Frau thematisiert, oder aber in Crimson Gold - für den er 2003 in Cannes belohnt wurde - die soziale Frage behandelt, sein Engagement und sein Talent führten dazu, dass er letzten März in die Jury des diesjährigen Berliner Festivals eingeladen wurde.
Dies hat die iranische Regierung nicht davon abgehalten, ihn erneut anzuklagen, diesmal Seite an Seite mit seinem Kollegen, dem Regisseur Mohammad Rasoulof. Grund war ein angebliches Filmprojekt über die Revolte der Opposition im Sommer 2009. Das Urteil fiel im Dezember. Panahi und Rasoulof wurden zu sechs Jahren Gefängnis und 20 Jahren Berufsverbot verurteilt. Als Zeichen der Solidarität mit ihrem Kampf für die Meinungsfreiheit im Iran zeigt die Berlinale im offiziellen Festivalprogramm vier Spielfilme sowie einige Kurzfilme von Panahi. Ein leerer Stuhl in der Jury wird darüber hinaus seine Abwesenheit symbolisieren.
Dieter Kosslick, der Direktor der Berlinale, unterstrich die Wichtigkeit einer solchen Botschaft im Kontext der Revolten in der arabischen Welt, die sich auch bis auf den Iran ausweiten könnten: „Wer hätte noch vor knapp einem Monat gedacht, dass viele unter uns ihren sonnigen Aufenthalt in Tunesien absagen würden müssen?“ Dieses Engagement ehrt die Berlinale, auch wenn es im Kontrast zu dem Schweigen um eine andere Angelegenheit steht.
Iran, Russland: ein Zweiklassen-Engagement
Cyril Tuschi steht unter Druck. Vor einer Woche wurde sein Berliner Büro verwüstet und unter den gestohlenen Computern war auch derjenige, auf dem die Endversion seines Dokumentarfilms Khodorkovski gespeichert war. Fünf Jahre lang hat Tuschi insgesamt 180 Stunden Interviewmaterial mit Freunden, Mitarbeitern und Politikern, die dem russischen Oligarchen Michail Chodorkowski nahe standen, gesammelt. Chodorkowski wurde wegen Betrugs und Steuerhinterziehung verurteilt und sitzt seit 2003 im Gefängnis. Beobachter sehen in ihm einen Dissidenten und Opfer des Putin-Regimes. Der Film skizziert ein Porträt Chodorkowskis und enthüllt, was hinter dem Zierrat des offiziellen Gesichts Russlands vor sich geht. Glücklicherweise wird dennoch eine von Tuschi an das Festival geschickte Version des Films zu sehen sein, allerdings nicht in Anwesenheit der russischen Gesprächspartner des Regisseurs. Diese hatten zunächst vorgehabt, zur Vorpremiere nach Berlin zu kommen, haben ihre Reise nun aber aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen abgesagt.
Hat das politische Engagement der Berlinale zwei Gesichter? Während es dem Zeitgeist entspricht, auf die Vorfälle im Iran zu reagieren, scheint ein Vorfall, der Russland betrifft, größere Zurückhaltung bei den Organisatoren hervorzurufen. Dabei hätte eine simple Verurteilung der Gewalt und der Einschüchterungsversuche gegen einen unabhängigen Regisseur und seine Arbeit - wer auch immer die Urheber dieser Aktion waren - ausgereicht. Die Berlinale hat es vorgezogen zu schweigen.
Man kann den Wunsch, ein publikumsnahes Festival mit einem reichhaltigen und vielfältigen Programm zu organisieren nur begrüßen. Was jedoch das politische Engagement betrifft wäre ein bisschen mehr Kohärenz vielleicht durchaus angebracht.
Fotos: ©Katarzyna Swierc
Translated from Berlinale 2011 : la fièvre du cinéma s'empare de Berlin