“Berlin, meiner Geburtsstadt Tel Aviv so nah”
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Dana PottharstBerlin. Knotenpunkt der Migrationsströme und zugleich eine Stadt voller Geschichte. Hier machen sich Jugendliche jedes Jahr während der Leo-Baeck-Sommeruniversität Gedanken über die jüdische Identität nach dem Krieg und die jüdische Identität in Europa.
Was haben die 25 Jugendlichen, 24 bis 30 Jahre alt, aus vier Ecken Europas, aus den USA und aus Israel, die sich im Sommer in Berlin zusammen finden, gemeinsam? Es ist nicht nur die Attraktivität der deutschen Hauptstadt, die sie in den letzten zehn Jahren hier her gezogen hat. Es ist eine neue Sommeruniversität, die 2007 gegründet wurde und die in der renommierten Humboldt-Universität stattfindet. Ein sechswöchiges Programm, um eine Frage herum konzipiert: Wie gestaltet sich das jüdische Leben und die jüdische Identität in Deutschland von 1945 an bis in die heutige Zeit?
Eine internationale Initiative
Zu Beginn haben die finanziellen Mittel des Marshall-Plans [zum Wideraufbau Europas nach dem Zweiten Weltkrieg, A.d.Red.] es der deutschen Regierung ermöglicht, internationale Austauschprogramme zwischen deutschen und nordamerikanischen Studenten zu entwickeln. Das ursprüngliche Ziel der Leo Baeck Summer University (LBSU) war es, Probleme anzusprechen, die sich in vielen Inhalten der jüdischen Studienprogramme in den USA und in Deutschland ergeben haben. Denn nach 1945 waren Austauschprogramme ein Thema, dessen Umgang viele Schwierigkeiten mit sich brachte und mit dem man sich aus diesem Grund wenig beschäftigt hat.
Dies bedeutet jedoch gleichzeitig eine Nichtbeachtung des jüdischen Nachkriegslebens derjenigen, die verschleppt wurden und in Camps lebten, und auch die Nichtbeachtung der über 15 000 Juden, die sich dafür entschieden haben, sich in Deutschland niederzulassen. Die zweite Generation, nach 1945 geboren, ist mit dem Dilemma ihrer Eltern konfrontiert, die ihre Kinder im “Land der Mörder” großgezogen haben. Und diese Zeit bedeutet erst den Anfang dessen, womit sich die LBSU beschäftigt: Ein neues jüdisches Leben in Deutschland, das sich von da an organisiert.
Von West nach Ost
Aus diesem Grund musste sich ein solches Programm einer größeren Gruppe von Studenten annehmen und die Austauschpartner Amerika-Deutschland um osteuropäische Länder sowie um Israel erweitern. Zur Zeit der massiven Einwanderung von Juden aus der Ex-UdSSR ist die jüdische Gemeinschaft in Deutschland innerhalb von wenigen Jahren um ihr dreifaches gewachsen und hat sich zur drittgrößten Gemeinschaft in ganz Europa entwickelt. Die Fragen, die mit der Einwanderung aus der Ex-Sowjetunion nach Deutschland aufgeworfen werden, sind integrativer Bestandteil der Debatte über Migration in Europa und über die Integration der neuen EU-Mitgliedstaaten.
Die Vielfalt der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland verkörpert wahrhaftig das Anliegen der LBSU: “Unser Ziel war es, eine Diskussionsplattform über die verschiedenen jüdischen Identitäten zu schaffen, und zwar über diejenigen, die sich außerhalb der offiziellen Gemeinschaft befinden. Wir möchten erfahren in welcher Art und Weise die Amerikaner, die Israelis oder die Angehörigen der Ex-Blockstaaten eine Rolle bei der Wiederfindung der Identität spielen”, erklärt Anna Held, die Organisatorin des Programms.
Die Debatten um die jüdische Identität regen auch zum Nachdenken über die Beziehung zwischen anderen Minderheiten, wie zum Beispiel der türkischen Minderheit in Berlin, und dem Rest der Gesellschaft an. Und sie regen die Studenten an, darauf zu reagieren: “Ich war enttäuscht, dass die jüdische Gemeinschaft in Deutschland so zurückhaltend damit ist, ihre Beziehung zur muslimischen Gemeinschaft zu verbessern”, gesteht Sheer aus Israel.
Warum Berlin?
Heute hat die jüdische Gemeinschaft in Deutschland den größten Zuwachs der Welt. Trotzdem kann man nicht von internationaler Anerkennung sprechen: “In den USA und in Israel, den beiden Ländern, deren Staatsangehörigkeit ich besitze, ist das jüdische Leben in Europa nicht wirklich ein Thema. In Deutschland noch weniger”, bestätigt Joseph. Einige Studenten waren überrascht: “Vor dem Programm wusste ich nicht einmal, dass es eine bedeutende jüdische Gemeinschaft in Berlin gibt. Und allgemeiner gesagt, hatte ich nicht erwartet, Berlin als eine Stadt zu erleben, die so international und, trotz allem, meiner Geburtsstadt Tel Aviv so nah ist”, erklärt Maya.
Aber warum ist es Berlin mehr als jede andere europäische Stadt? Robin (Kanada) zufolge, “übt Berlin eine gewisse Anziehungskraft aus, vor allem was Juden anbetrifft, die aus Nord- und Südamerika oder aus Israel kommen. Ich denke nicht, dass dies im Gegensatz zur Geschichte des Landes steht. Ich denke eher, es passiert gerade wegen der deutschen Vergangenheit, dass die Juden heute nach Berlin zurück kehren.” Untergebracht in Kreuzberg, im Zentrum des türkischen Viertels, hat unsere kleine multikulturelle Gruppe sowohl in den Straßen Berlins, als auch in den Gebäuden der Humboldt Universität Erfahrungen gesammelt und Erfahrungen gelebt. “In Berlin sind die Zeichen der Geschichte auf der Oberfläche der Straßen und der Gebäude greifbar. Das deutsche Reich, der Nationalsozialismus, Ost- und Westdeutschland existieren Seite an Seite in der Landschaft der Stadt. Hier ist die Geschichte lebendig”, sagt Robin abschließend.
Translated from « Berlin, si proche de Tel Aviv, ma ville natale »