Belleville Park Pages: Print für weniger als ein Pint
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Anna Sophia HofmeisterDie Literaturfans James Bird und Will Cox sind in Paris gestrandet. Bei einem Picknick entsteht dann zufällig die Idee zu Belleville Park Pages, einem Literatur-Magazin in Taschenbuchformat, das jungen zeitgenössischen Autoren eine neue Ausdrucksmöglichkeit bieten soll. Die Geschichte einer Zeitschrift, die zwischen einer Parkbank und einer Mansarde über den Dächern von Paris entstand.
James und Will sind zwei jugendliche Träumer, die den Spuren von Hemmingway und Picasso bis nach Paris gefolgt sind. Sie beschließen eine Literaturzeitschrift zu gründen. Und dann auch noch handgemacht! Sie scheinen aus einer anderen Zeit zu kommen. Aus einer Epoche, die nach vergilbten Büchern und Tinte riecht. Eine Epoche, die knarzt wie die alten Mansarden der Buchhandlungen im Herzen der französischen Hauptstadt. Eine Zeit, die von träumerischen Fenstern weiß, die über die grauen Dächer von Paris blicken.
Genau wie das Fenster, das sich in der Decke des sechsten Stocks eines eleganten Mietshauses in der Avenue de la République öffnet. Wir befinden uns in einer kleinen Einzimmerwohnung unter dem Dach im 11. Arondissement von Paris. Genau hier befindet sich die Redaktion von Belleville Park Pages, einer kleinen literarischen Broschüre - für und von zeitgenössischen Schriftstellern. Sie erscheint alle 2 Wochen und wird zum bescheidenen Preis von 2 Euro verkauft. Die Idee zur Zeitschrift, die im Juni 2013 zum ersten Mal erschien, entstammt den Köpfen von James Bird, 22, Engländer, und Will Cox, 23, Amerikaner.
Wie aus einem Picknick eine Zeitschrift wurde
"Wir haben einen Computer und einen Drucker", erzählt Will, "das ist alles, was wir brauchen". Die Belleville Park Pages sind ganz einfach ein DIN-A3-Blatt, das kunstvoll gefaltet 20 Seiten Zeitung ergibt und bequem in jede Tasche passt. "Wir wollen den zahlreichen, jungen Autoren unserer Zeit Raum und eine Stimme geben", erklären sie. "Uns gefällt es nicht nur den Lesern, sondern vor allem den Schriftstellern etwas Konkretes anbieten zu können." Sie sagen: "Jeder kann im Grunde genommen heute einen Blog schreiben, aber Print ist für viele Autoren immer noch wichtig. Etwas Geschriebenes, das man in seinem Bücherregal aufheben kann, auf dem Nachttisch - das ist unsterblich", sagt Will.
Die Idee, eine Zeitschrift zu gründen, in der sich Federn aus aller Welt ausdrücken können - bislang in englischer Sprache - entstand während eines Picknicks im Pariser Park von Belleville. "James und ich haben ein bisschen geblödelt", erzählt Will. "Aber wir haben sofort gemerkt, dass wir schon viele Leser hätten, vor allem Schriftsteller. Und dass wir nur darauf warteten, dass jemand den Mut hätte, ein Magazin zu gründen, um darin zu veröffentlichen zu können." Gesagt - getan! Belleville Park Pages startete zunächst mit einer Fanpage auf Facebook und dank Freunden von Feunden von Freunden erhielten die beiden Herausgeber bereits in weniger als einem Monat Beiträge aus aller Welt: aus Japan und Paris, aus Amsterdam und den Vereinigten Staaten.
Als die Zeitschrift irgendwann auch in den Regalen von Shakespeare and Co., dem wohl bekanntesten englischsprachigen Pariser Buchladen, landete, hatten James und Will die halbe Miete rein. Ziemlich schnell stiegen die Zahlen der Online-Abbonnenten. Der Großteil der Autoren ist zwischen 18 und 25 Jahre alt. Ihre Beiträge sind, wenngleich unterschiedlich in Stil und Inhalt, in Versen oder in Prosa, oft ähnlichen Ansätzen treu. "Viele von ihnen erzählen Geschichten aus dem Alltag, von Alltäglichkeit, aber sie sind mit einer ziemlich starken, erfinderischen Kraft geschrieben, einem außergewöhnlichen Gemisch aus rhetorischen Figuren und Bildern", erzählt Will. "Nimm zum Beispiel ein Abendessen mit der Familie oder Situationen, über die wir gar nicht mehr nachdenken würden, die aber aus unterschiedlichsten Ecken und Blickwinkeln beschrieben werden."
"Die Blätter zu falten gehört dabei zu den langweiligsten Momenten", sind sich beide einig. "Immer wieder fragen wir Freunde, ob sie uns dabei helfen können." James und Will haben sogar eine spezielle ‘folding playlist’ erstellt. Wenn bei der rechten Musik dann endlich fertig gefaltet wurde, wird die jeweilige Ausgabe bestempelt und in eine Plastikhülle gesteckt. Die Auslieferung erfolgt wie im letzten Jahrhundert: In einem kleinen Karton und per Fahrrad. Und für alle, die bereits ein Abo abgeschlossen haben, klopfen die Lieferanten der Belleville Park Pages sogar an die Haustür. Das Heft wird dann in einem Briefumschlag mit handgeschriebender Adresse überreicht.
Neue tote Dichter
"Wir haben schon neue Pläne ausgeheckt", sagen Will und James und erzählen von ihrer jüngsten Idee: Belleville Park Players, eine Videoserie, in der die Autoren ihre Gedichte auch vortragen. Die beiden sind zudem Stammgäste der Montagslesung des Chat Noir, einem Pariser Café in der Rue Jean-Pierre Timbaud. Für den reservierten James, mit blauen Augen und tiefer Stimme, reichen Bühne und Publikum, um den verkappten Dichter in ihm zum Vorschein zu bringen. Genauer gesagt, im Kellergeschoß des Cafés, wo sich regelmäßig eine kleine Schar anglophoner Literaten trifft, um ihre Verse zu rezitieren - wie ein frisch gebackener Club der toten Dichter.
Aus einem Spaß ist mittlerweile die Hauptbeschäftigung der beiden Gründer geworden. Will hat seinen Job beim Abbey Bookshop an den Nagel gehängt, um sich voll und ganz dem literarischen Projekt widmen zu können. Und James erzählt davon, dass sie sich teilweise dazu zwingen müssten, hin und wieder einfach nur ein wenig Sonne am Ufer des Canal Saint-Martin zu genießen - ohne Arbeit. "Als Herausgeber und Urheber haben wir ein kleines Anfangskapital in das Projekt gesteckt", erklären sie. "Und jetzt finanzieren wir mit dem Ertrag der vorhergehenden Ausgabe jeweils die nächste." Die Möglichkeit, Geld über Crowdfunding zu sammeln, scheint beiden keine verlockende Alternative. "Wir wollen unsere Entscheidungen selbst kontrollieren können", sagt Will, "ohne Kompromisse."
Deshalb haben die beiden Querköpfe einstimmig beschlossen, die einzigen Verwalter des Projekts zu bleiben. Ohne detaillierte Programme und Arbeitspläne. Nach dem Motto: Mal schauen, was passiert. In Erwartng der nächsten Ausgabe bleiben zunächst die Croissants ihres Lieblingsbäckers und eine Lawine unveröffentlichter Autoren im Briefkasten. Auch der Sommer steht vor der Tür. Er ist endlich auch am Pariser Canal Saint Martin angekommen. Und mit ihm eine gewisse Sorglosigkeit. Wie einer der Belleville-Autoren schreibt: "Summer in town breaks it down". In der kleinen Mansarde im sechsten Stock scheint das auf jeden Fall Programm zu sein.
Translated from Belleville Park Pages: la nuova letteratura su carta