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Beine, Köpfe & der 1. Mai auf dem Istanbuler Taksim-Platz

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Istanbul

Özcan TIKIT

Bei den 1.Mai-Demonstrationen im Jahre 1977 wurden in Istanbul 35 Menschen getötet und 127 Demonstranten verletzt. Heute sind auf dem Istanbuler Taksim-Platz erneut Horror-Szenarien zu erwarten. Wir sollten an diesem Tag die Augen auf Istanbul richten. Während die Gewerkschaften und zahlreiche NGOs darauf bestehen, den 1.

Mai als Tag der Arbeit in Taksim zu feiern, warnte der Istanbuler Gouverneur Muammer Güler die Gewerkschaftsführer davor, am 1. Mai zum Taksim-Platz zu marschieren. Sollten die Gewerkschaften und ihre Anhänger sich auf dem Taksim-Platz versammeln, würden 16.000 Polizisten eingreifen und sie aufhalten, erklärte Güler. 1 MAI 1Das Vorhaben der Gewerkschaften, am 1. Mai, dem Tag der Arbeit und der Solidarität, in Taksim zu demonstrieren, sei eine illegale Veranstaltung, sagte Güler, der auf Geheimdienstberichte verweist, aus denen hervorgehe, dass terroristische Gruppierungen für den 1. Mai Angriffe auf Polizisten mit Schusswaffen planten. Die Polizei werde es nicht zulassen, so Güler weiter, dass Terroristen von einer solchen Gewalt Gebrauch machten. Irgendwer sollte Güler erklären, dass er, wenn er derartige Warnungen erhält, gegen terroristische Aktivitäten vorgehen soll – aber es kann keine Lösung sein, Gewerkschaften und Studierenden zu drohen, wenn es darum geht, Terrorismus zu bekämpfen. Es ist nicht die erste Warnung, die Güler ausspricht. Auch im letzten Jahr gewährte er den Gewerkschaften nicht das Recht auf dem Taksim-Platz zu demonstrieren. Das Ergebnis seiner Anordnung war, dass im vergangenen Jahr Tausende von Einsatzkräften Arbeiter und Studierende angriffen, etliche Aktivisten wurden verletzt. Taksim wurde zu einer Chaos-Szenerie. Kurz vor Gülers Warnung an die Gewerkschaften, erklärte Premier Recep Erdoğan, der Tag, an dem die Beine zum Kopf würden, sei der Tag des jüngsten Gerichts. Etliche Politiker und Gewerkschafter kritisierten Erdoğan für diese missglückte Aussage. Es scheint notwendig, Erdoğan daran zu erinnern, dass er ehemals ein Bein des Systems war – heute ist er der Kopf. Die Demokratie ist ein Regime, wo die Beine zum Kopf werden können. Erdoğan sollte deshalb noch einmal in sich gehen und sich bei den „Beinen“, den wahren Gründern und Säulen der demokratischen Republik Türkei, entschuldigen. Die AKP-Regierung und Erdoğan selbst sollten sich nicht nur dann an die Demokratie und Menschenrechte erinnern, wenn es darum geht, ihre eigene Partei vor einer Sperrung zu bewahren, denn die Demokratie sollte jeden einzelnen Tag in der Türkei Priorität genießen.

Aus dem Englischen von Dorte HUNEKE