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Begegnungen der vierten Art im Tattoostudio

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Translation by:

Jaleh Ojan

Anlässlich der International Brussels Tattoo Convention ist Cafébabel in eine verkannte Welt eingetaucht und  faszinierenden Menschen mit spannenden Geschichten begegnet.

Nathalie, « ein alternatives Vorbild »

An der Biegung eines Gangs treffen wir Nathalie, 37 Jahre alt. Sie liegt auf dem Bauch und ist mitten in der Tätowiersitzung. Ihr Stil wirkt selbstbewusst: rasierter und tätowierter Schädel, Piercings, schwarze Klamotten. Sie ist bereit, uns - mit sanfter und fröhlicher Stimme - von ihrem Weg zum Ausdruck ihrer wahren Identität zu erzählen.

Allen Anschein zum Trotz hat sie erst spät zu diesem Stil gefunden. Etwa zehn Jahre ist es her, dass sie, wie sie sagt, sich „erlaubt hat“, sie selbst zu sein. Aus einem sogenannten „konventionellen“ Milieu kommend und aus Angst, auf Unverständnis zu stoßen, schafft sie es lange Zeit nicht, ihre Andersartigkeit zum Ausdruck zu bringen. Sie beschreibt ihr früheres Ich als unscheinbare junge Frau. Doch die 180-Grad-Drehung bahnte sich schon an. Damals war ihr ultimatives Sexsymbol David Bowie, in seiner Rolle als Jareth in Labyrinth: „Seine etwas androgyne Art, seine Klamotten, die an die Gothic-Szene erinnerten. Aber es war nicht einfach, darüber zu reden, weil es sich nicht mit dem vertrug, was die anderen Mädchen in meinem Alter mochten.“

Diese Gothik-Ästhetik bedeutet ihr viel. „Ich liebe seine Melancholie, seine Sanftheit. Die Literatur des 19. Jahrhunderts ist fraglos die beste. Vielleicht ist es ein bisschen klischeehaft, aber dazu gehört dann auch ein Schloss, Nebel, und eine etwas gewähltere Ausdrucksweise. […] Aber auch Camus mag ich sehr. Wenn ich mich zu einer Lebensphilosophie oder Religion bekennen müsste, dann wäre sie camusianisch“, fügt sie hinzu.

Hat ihr der Look im Berufsleben schon mal Probleme bereitet? Nathalie ist Sozialarbeiterin, spezialisiert auf den Bereich Drogensucht. Die junge Frau versichert, dass ihr Aussehen bislang nie ein Hindernis für sie war. Tatsächlich hatte sie ihre derzeitige Stelle schon, bevor ihre körperliche Identität sich ganz entfaltet hatte. „Das war nicht geplant, das hat sich ganz natürlich so entwickelt“, behauptet sie. „Dass ich mich in meiner Haut wohlfühle, kann auch ein Werkzeug sein. Vor allem, wenn ich mit Jugendlichen arbeite. Für einige unter ihnen, die Schwierigkeiten mit den Erwachsenen und der Gesellschaft haben, verkörpere ich ein alternatives Vorbild.“

Letztlich sind es weniger die Reaktionen auf ihre Piercings und Tattoos, denen sie sich stellen muss, als vielmehr den Vorurteilen gegenüber der Gothic-Kultur. Eine Ästhetik, die für die Vergänglichkeit und Endlichkeit der Zeit steht, und sich damit schwer durchsetzen kann in einer Gesellschaft, in der das Altern des Körpers, insbesondere des weiblichen, negativ besetzt ist. „Das ist schade, denn sich daran zu erinnern, dass wir eines Tages sterben müssen, kann unseren Entscheidungen und Taten Tiefe verleihen, im positiven Sinne des Wortes. Es bedeutet, sich der Tatsache bewusst zu werden, wie wichtig eine Lebensethik ist. Und gerade in dieser Hinsicht finde ich Camus so interessant. […] Die Leute laufen, halten nie inne, jammern, und dann sterben sie. Und ich frage mich, was haben sie am Ende vom Leben gehabt? (…) Das steht nicht in der Torah oder in der Bibel, sondern in der Diskographie von Jean-Jacques Goldman.“

Matthieu und Giuls, Tätowierer

Ein paar Stände weiter begegnen wir zwei Tätowierern: Mathieu alias Fat Kush, ein ehemaliger Graffiti-Künstler, und Giuls Foianesi, eine ehemalige Kunsthochschulstudentin. Was sie gemeinsam haben? Ihre Liebe zum Zeichnen und das Gefühl von Zufriedenheit, das sie erfüllt, wenn sie ihre Arbeit auf der Haut von Leuten betrachten. Die beiden Tätowierer sind nicht zufällig dort gelandet: ihre beiden Eltern sind jeweils tätowiert, und Giuls hat mit ihrem Vater sogar ihr erstes Tattoo gestochen.

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Die beiden Künstler sagen, für sie habe sich der Blick der Gesellschaft stark geändert, und obwohl einige Vorurteile weiterbestehen, ist es nicht mehr so ungewöhnlich, einen Stil wie ihren zur Schau zu stellen. 

Ein Tätowierer hat immer eine gute Anekdote über seine Kunden in petto. Fat Kush bildet da keine Ausnahme und erzählt von seiner Erfahrung mit einer Kundin ohne Komplexe: „Das Mädchen kommt rein, und während ich mit dem Rücken zu ihr stehe, zieht sie sich obenrum bis auf den BH aus - für ein Tattoo auf dem Handgelenk! Und als wir sie im Studio darauf aufmerksam machen, sagt sie uns, dass sie sich so einfach wohler fühlt!“ Normal.

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Andere scheinen sich in den Gängen der Fachmesse nicht minder wohl zu fühlen. An einer Ecke, mitten in einer Oldtimer-Ausstellung, bleiben wir bei einer Vorführung stehen und schauen zu, wie Kleidung aus Seilen hergestellt wird. Im Anschluss daran wird eine Performance gezeigt, bei der Körper mit schwarzem Klebeband dekoriert werden, das „Black Tape Project“. Eine fesselnde Show.

Loesje Handel, „Tieren ein zweites Leben geben“

Nicht weit von diesen Performances entfernt treffen wir auf Loesje Handel. Die 46-jährige Niederländerin hat vor fünf Jahren ihr Unternehmen gegründet: Sie handelt mit ausgestopften Tieren.

Ihre Leidenschaft für Tiere geht auf ihre Kindheit zurück, als sie von quicklebendigen Tieren umgeben war: Ihre Eltern besaßen ein Zoofachgeschäft. Für sie ist die Liebe zu Fauna und Flora nicht unvereinbar mit der Taxidermie. Im Gegenteil: „es bedeutet, diesen Tieren ein zweites Leben, ihrem Tod einen Wert zu geben.“

Für sie hat alles vor fünf Jahren angefangen, „mit einem Schädel, und dann habe ich die Kontrolle verloren, es hat sich angesammelt“, erklärt sie uns. Die Tiere werden heute von „einem älteren Herrn“ ausgestopft, „der viel Erfahrung hat und zügig arbeitet. Das ist wichtig, denn es ist ein kompliziertes Handwerk, und ich mache 35 Veranstaltungen pro Jahr“, sagt sie. Kein Tier wird vorsätzlich getötet, versichert uns Loesje, für die es Ehrensache ist, nur sterbliche Überreste zu verwenden, die in der Natur gefunden wurden. Als jemand, dem ein respektvoller Umgang mit unserer Umwelt wichtig ist, hat sie ebenfalls beschlossen, keinen Handel mit geschützten Arten zu treiben.

Die meisten Leute, die an ihrem Stand vorbeikommen, sind fasziniert und neugierig, auch wenn es Menschen gibt, die sich nicht gerade dafür begeistern können. Letzteren gibt sie zu bedenken, dass „man, bevor es das Internet gab, in den Schulen ausgestopfte und in Formaldehyd konservierte Schädel und Tiere als Anschauungsexemplare im Unterricht einsetzte. Nur so konnte man erfahren, wie ein Hund, eine Katze oder auch ein Schwein aussieht. Und heute finden wir das seltsam. Aber das ist es nicht.“

Translated from Rencontres du 4ème type au salon du tatouage