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Bauherr Europa

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Anna Karla

Kultur

Offenheit, Transparenz, Effizienz: Welche Gebäude braucht eine Demokratie? Wie Architekten versuchen, dem Prinzip Europa ein Gesicht zu geben.

Das Europäische Parlament: Griechenland am Rhein

Europaparlament in Straßburg (Foto: ©inyucho/flickr)

Der politische Mittelpunkt der Europäischen Union steht für architektonische Innovation: Seit 1999 versammelt sich das Europäische Parlament im Louise-Weiss-Gebäude am nordöstlichen Rand Straßburgs. Seinen Namen verdankt das Parlamentsgebäude einer französischen Politikerin, Feministin und Europa-Aktivistin der 1920er Jahre. Seine Gestalt ist das gelungene Ergebnis des Versuchs, der europäischen Demokratie ein zu Hause zu geben. Das französische Büro Architecture Studio, das 1991 den internationalen Wettbewerb gewann, vereint auf insgesamt 220 000 Quadratmetern die prägenden Stilprinzipien der europäischen Architektur. Der Kreis und die Ellipse dominieren das Gebäude – die geschlossene Form der Klassik und die offene Linie des Barock. Äußerlich gliedert sich der Parlamentsbau in einen bogenförmigen Gebäudeteil mit Konferenzräumen, in dem auch der Plenarsaal untergebracht ist, und einen Turm für die Büros der Abgeordneten. Der an seiner Ostfassade unfertig anmutende Turm bietet Anlass für Spekulationen: Zitiert er das Kolosseum in Rom? Oder doch eher eine Art Turm zu Babel, erweiterbar in Richtung Osten? Nach Vorstellung von Architecture Studio begegnen die Besucher in dem öffentlich zugänglichen Turm vor allem einem Grundpfeiler westlicher Demokratie: der griechischen Agora, dem Debattierplatz des antiken Athens. Als Gegenstück zum Plenarsaal nimmt der runde, öffentliche Platz das Innere des Büroturmes ein. Der Plenarsaal mit seiner Kuppel wirkt dagegen verschlossen und strahlt nichts von der Transparenz der Glaskuppel des Berliner Reichstages aus.

Europapalast: Ritterburg mit Charme der 70er

Sitz des Europarates in Straßburg (Foto: ©Kpalion/Mai2004)

Dass es sich bei dem Louise-Weiss-Gebäude tatsächlich um ein "Luxusdomizil" (Süddeutsche Zeitung) für Europas Volksvertreter handelt, bestätigt ein Blick auf den Europapalast in unmittelbarer Nachbarschaft. Das quadratische Gebäude mit seiner regelmäßigen Fassadenstruktur entstand 1977 nach Plänen des französischen Architekten Henry Bernard. Europa erscheint in diesem Konzept zumindest nach außen hin weniger diskussionsfreudig als im neuen Parlamentsbau: Die Fassade des 38 Meter hohen Bauwerks sollte nach Vorstellung Bernards die Kraft und die Geschlossenheit der Union verkörpern. Dagegen bevorzugte er im Innern eine kurvenreiche Bauweise - für eine freie Zirkulation der Ideen. Noch heute beherbergt der Europapalast den Europäischen Rat. Bis 1999 tagten hier mangels baulicher Alternativen auch die Parlamentarier.

Abwägend: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte

Architektur-Modell des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in Straßburg/ Richard Rogers & architects/ Ausstellung Paris 2008 (Foto: ©dalbera/flickr)

Die Göttin Justitia hält in ihrer Hand eine Waage. Die Allegorie der Gerechtigkeit mag den Stararchitekten Richard Rogers für seinen Entwurf des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte inspiriert haben. Zumindest aus der Vogelperspektive ähneln die kreisförmigen Sitzungssäle des Gerichtsgebäudes zwei überdimensionalen Wagschalen. Der 1995 fertig gestellte Bau bildet mit dem Louise-Weiss-Gebäude und dem Europapalast das so genannte "magische Dreieck" im Straßburger Europaviertel. Der Gerichtshof aus Stahl und Glas, dessen Fassade sich im angrenzenden Flüsschen Ill spiegelt, soll nach Willen des Architekten kein "Denkmal" sein, sondern eine "symbolische Landmarke", die Europa ein "glaubwürdiges Bild" verleihen kann. Rogers, britischer Architekt italienischer Herkunft und Pritzker-Preisträger 2007, schreibt die Grundsätze einer gerechten Justiz in sein Gebäude ein: Transparenz und Durchschaubarkeit. Die Symmetrie des Bauwerks hat jedoch auch eine ganz prosaische Ursache in der ursprünglichen Verwaltungsstruktur des Gerichts. Bis 1998 tagten hier sowohl der Gerichtshof als auch die Europäische Kommission – jeder in seiner Wagschale.

Finanzriese: Die Europäische Zentralbank in Frankfurt am Main

Momentaner Sitz der EZB in Frankfurt am Main (Foto: ©Mike from Zurich/flickr)

Im Februar 2008 erteilte die Stadt Frankfurt am Main die Baugenehmigung, im April sollen die Arbeiten beginnen: Am östlichen Rand der Mainmetropole entsteht auf dem Gelände der ehemaligen Großmarkthalle der neue Sitz der Europäischen Zentralbank. Das österreichische Architekturbüro Coop Himmelb(l)au plant einen 185 hohen Büroturm, bestehend aus zwei ineinander verdrehten Einzeltürmen und einem gläsernen Atrium. Ein Symbol, so die Wiener Architekten, für "Transparenz, Effizienz und Stabilität". - Eigenschaften des Bauwerks, die auch für Europas Währungshüter gelten sollten. Bis voraussichtlich 2012 verbleibt die EZB im Eurotower in der Frankfurter Innenstadt, der in den neunziger Jahren für die Zentralbank umgebaut worden war. Der geplante Skytower ist allerdings schon vor Baubeginn ein Sorgenkind: Die ehemalige Großmarkthalle aus dem Jahr 1928 steht unter Denkmalschutz, weshalb die Erben des Architekten Martin Elsaesser vehement gegen den Bau protestieren. Der ursprüngliche Vorschlag von Coop Himmelb(l)au wurde durch die Proteste bereits abgewehrt. Direkt neben der Großmarkthalle sollte ein Konferenzzentrum in Form eines Groundscrapers entstehen.

Auf dem Gelände der Großmarkthalle soll der Skytower - neuer Sitz der EZB entstehen (Foto 2006: ©dontworry)

Nun soll die Großhalle selbst zum Konferenzraum umgestaltetet werden. Der Abriss der Seitenteile der Halle und der Bau eines gläsernen Querriegels über das Industriedenkmal stehen aber weiterhin auf der Agenda - und sorgen in Frankfurt für Diskussionsstoff.

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