Batman im Bergdorf
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Die Lebensbedingungen in den nordportugiesischen Berghöhen von S. Pedro do Sul haben sich jahrhundertelang kaum gewandelt. Allmählich zieht jedoch die zusammenwachsende Welt modernisierend in den Alltag ein - und der Nachwuchs aus.
Die Schieferhäuschen von Covas do Monte schmiegen sich in die Talmulde, als wollten sie sich im kalten Wind zwischen sattgrünen Berghängen und spröden Felsauswüchsen aneinander wärmen. Ganz still ist es hier. Dann plötzlich dringt blecherner Lärm durch die dünne Luft, Latinoschlager wabern durch erdige Gässchen. Eine eben noch schlafende Katze rutscht unsanft vom braun gefleckten Fell der aufgeschreckten Ziege, die ihr eben noch als Bettstatt diente: Der wöchentliche Transporter mit Grundnahrungsmitteln ist angekommen und macht mit laut aufgedrehtem Radio auf sich aufmerksam.
Aber nicht nur das ist heute anders: Covas do Monte hat Besuch. Eine Gruppe von jungen Italienern, Deutschen, Bulgaren und Belgiern stapft zwischen jahrhundertealten Schiefersteinmauern umher. Sie verbringen als Teilnehmer einer Jugendbegegnung eine Woche in Portugal. Heute steht der Ausflug in das Bergdorf auf dem Programm, in dem alles noch so aussieht und funktioniert wie vor 300 Jahren. Fast alles. Jeden Morgen treiben jeweils zwei der 58 Einwohner die 2.500 Ziegen bis zum Gipfel. Die anderen bestellen Felder und Obstgärten rund um das Dorf. Mit dem Erlös, vor allem aus dem Zicklein- und Obstverkauf, wird erstanden, was die Erde nicht hergibt.
Internet im Ziegenstall
Ein gutes halbes Jahrhundert der Technisierung, Digitalisierung und der immer dichteren Vernetzung eines Planeten hat seine Spuren hinterlassen: Eine Ziege ziert das „Espaco Internet“ Schild über dem Ziegenstall mit Internetzugang. Die frühere Grundschule ist jetzt eine Mischung aus öffentlichem Fernsehzimmer, Dorfplatz und Kneipe. Hier und überall im Dorf kleben Batman-Aufkleber. "Wahrscheinlich wohnt er hier", meint Gruppenleiter Tiago Marques, ohne dabei zu lächeln.
Die jungen Besucher erbitten in Anlehnung an eine Dorflegende türenklopfend Gemüse und Brot und erhalten so Einblicke in das Innere der Häuser. In einem steht eine Mikrowelle, gibt es Gaskamin und Fliesenbelag in der auffallend blank geputzten Küche. Ganz anders in einer Hütte, deren Besichtigung Alberto Cardera aus Lissabon an seine Kindheit in Namibia erinnert. "Vom Freiwilligendienst in Guatemala kenne ich so was auch", meint Almut Momsen aus Hamburg. Aber dass es so etwas in Europa noch gibt, hätten sie beide nicht erwartet: Nichts passt zusammen in der notdürftig eingerichteten Küche. Vom Lehmboden zieht Feuchtigkeit die Steinwände hoch. Die Frau führt sie herum, sogar ins Schlafzimmer, wo auf der kaum eineinhalb Meter breiten Matratze nur zwei sehr dünne oder sehr verliebte Menschen Platz finden. Der Mann schweigt, betrachtet den Besuch argwöhnisch.
Einmal Paris und zurück
Accès à Internet Hugo Ortolà/flickr)
Umso gesprächiger ist das Pärchen, welches den ganzen Nachmittag gutmütig lächelnd am Wegrand schräg gegenüber des „Restaurants“ stand. Sie erzählen von ihrem ersten und einzigen Ausflug in die große weite Welt: Er wollte nicht für den faschistischen Diktator Salazar in den Krieg ziehen, floh zu Fuß über die Berge und kam per Anhalter bis nach Paris. Sie, die Geliebte aus dem Nachbardorf, folgte ihm. Aber ihn plagte das Heimweh. Das Leben im teuren Paris als Tagelöhner war hart. So tauschten sie die Aussicht von Pont Neuf und Sacre Coeur gegen die grünen Hänge von Covas do Monte. Ihre altersgezeichneten, dennoch klar konturierten Gesichter, mit wachen, bewegten Augen, zeigen ruhige Zufriedenheit.
Glücklich fühlten sie sich, auch wenn das Leben nicht immer leicht sei. Da gäbe es viel Missgunst, Eifersucht, seit einige mehr als andere und alle weniger als die Leute in den Städten - vor allem in Resteuropa haben. Sie schielen kurz zu den verputzten Häusern etwas oberhalb am Hang, die sich grotesk vom Häuschengedränge im Tal absetzen und nun in die Abenddämmerung ragen. Die Kinder dieser Häuser sind nach Lissabon gegangen, zum Studieren, kommen vielleicht nur noch als Urlauber. Sechs junge Menschen, die es hier noch gibt, wissen, dass es sich anderswo angenehmer lebt als auf kaltem Lehmboden. Dort, wo sie scheinbar nur ein Schaufenster vom I-Pod trennt, auf dem sich die Latinoschlager so viel besser anhören.
In Covas do Monte sind die Rhythmen für heute verstummt. Der fahrende Supermarkt ist in die Dunkelheit verschwunden. Lärm und Licht dringt nur noch aus der ehemaligen Grundschule, wo jetzt 36 junge Europäer schweres Maisbrot in die Suppe tunken, und ganz jungen, noch sprudelnden Wein schlürfen, während ein alter Dörfler unentwegt in den über dem Kamin ohne Unterlass laufenden Fernseher starrt.
Auch die Besucher strahlen jetzt die ruhige Zufriedenheit der Dörfler, sind aber schweigsamer als sonst. Vielleicht erinnert beim nächsten Besuch in Covas do Monte nur noch ein gelber Aufkleber daran, dass hier Jahrhunderte lang Menschen und Ziegen wohnten, bis Batman einzog.