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Babel Ackademy 2008: Orgiastische Fantasien Europa-gestochener Journalisten

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Monika Oelz

inside cafébabel

Flughafen Rom-Fiumicino, Ausgang Terminal C. Dreißig Grad im Schatten. Vierzig junge Menschen stehen - aufgeregt wie eine Horde 15-Jähiger vor ihrem ersten Discobesuch - um einen Haufen Rucksäcke und Koffer. Eine Gruppe hysterischer Ricky Martin-Fans? Mitglieder einer Parteijugend, die die Hinterhalte der kommenden Legislaturperiode vorbereiten?

Ein Stamm wehmütiger Pfadfinder, die noch keine Pläne für die Sommerferien haben? Zuerst einmal warten sie auf den Bus, der sie zur Isola Polvese bringen soll, einem Stück hingeworfenem Land in der Mitte des Lago Trasimeno - im Herzen von Umbrien mitten in Italien. Der Bus rauscht an Pinienbäumen, Glockentürmen und gepflasterten Straßen vorbei.

Jugendliche Journalisten und Draufgänger

Sie sind die Pfeiler eines journalistischen Abenteuers im 21. Jahrhundert, das darin besteht, die transnationale Presse über die veralteten Modelle des nationalen Journalismus triumphieren zu lassen. Der Älteste unter ihnen ist gerade dreißig Jahre alt. Sie kommen aus 19 verschiedenen europäischen Ländern. Unter ständigem Gelächter erzählen sie dummes Zeug in einer Sprache, die weder perfekt, noch ausgewählt oder glänzend ist. Es ist weder die Sprache Shakespeares noch Dantes oder Molières. Doch auch diese Vordenker ihrer Zeit hätten gern die Möglichkeit gehabt, mit Cervantes, Camões oder Kafka zu plaudern.

viola

Viola, eine Italienerin, die das idyllische Reiseziel ausgewählt hat, steht - oh Neid der Götter - ohne Koffer da. Diese sind mit einer Boeing von Kuwait Airways wohl auf dem Weg nach Dubai. In ihrem Zimmer findet sie später von diskreten und freundlichen Spenderinnen eine Auswahl an sauberen Röcken, T-Shirts, Unterwäsche und Toilettenartikeln. Die junge Journalistin ist nun startklar. Längst vergessen ist der Verlust, den der Zufall Reisenden in einer globalen Welt so manches Mal aufbürdet, um deren Geduld zu strapazieren.

Mücken und viel Arbeit

Die „Babel Ackademy“ (oder Sommerakademie des europäischen Online-Magazins cafebabel.com) kann beginnen. Wie von unsichtbarer Hand gelenkt zeichnet diese Veranstaltung ein mysteriöses Gleichgewicht, wie es seit der Gründung des Vereins im Jahr 2001 Tradition ist. Jedes Problem löst sich plötzlich in Wohlgefallen auf, ganz wie beim Szenenwechsel im Theater. “Fernando, ich bin in Indien und habe fürchterlichen Durchfall und kann die Übersetzung diesmal nicht fristgerecht einreichen.” Zur Kenntnis genommen - eine Stunde vor der Veröffentlichung eines beliebigen Artikels an einem beliebigen Tag bei cafebabel.com.

Aber diese Gruppe abenteuerlicher Ausflügler ist nicht auf die einsame Insel gekommen, um Däumchen zu drehen. In einer Atmosphäre absoluter Abgeschiedenheit, in der normalerweise nur Forscher ihre neuesten Erfindungen ausbrüten, und einzig unterbrochen von Wolken und Mücken, sind 33 Babelianer bereit, sich in die Plagegeister zu verwandeln, die europäische Politiker in Zukunft kräftig piesaken wollen.

Die Öffentliche Meinung in Europa soll zum Hauptakteur der Europawahlen im Juni 2009 werden. Das ist das Ziel des politischen Workshops, den wir gerade beginnen. Abgeschiedenheit? Ja, aber nur, um in Ruhe neue Ideen zu diskutieren. Denn “cafebabel.com ist keine geschlossene Gesellschaft”, stellt Julien Bidoret richtig. Er ist Geschäftsführer der französischen Programmierfirma Oxys, die den Internetauftritt des Magazins und der cafebabel-Community bereitstellt. “Die Teilnehmer müssen sich mit der restlichen “Blogospähre” vernetzen“, sagt Julien. Die Babel Ackademy ist das pulsierende Herz, das die Adern eines neuen Journalismus zu füllen bereit ist und frisches Blut in die Kapillargefäße der Redaktionen in den abgelegensten Winkel Europas pumpt.

Babel Ac 3Strategie 2009: weniger orgiastische Fantasien und mehr „Just do it“

Die Highlights? Die brandneuen Projekte EU campaign on the ground und Eudebate2009.eu. “Der Journalismus 1.0 ist am Ende! Heute heißt Journalismus 2.0 und dass ein Artikel auch nach seiner Veröffentlichung weiter bearbeitet und ergänzt werden kann”, wiederholt Adriano Farano, einer der Gründer und aktueller Redaktionschef von cafebabel.com. Mehr aktuelle Artikel zu europaspezifischen Themen und mehr Links unter den Artikeln und Blogs? Es ist Zeit, konkrete Strategien zu diskutieren. “Cafebabel.com hatte bisher eine pyramidenförmige Struktur und die Zusammenarbeit der ehrenamtlichen Mitarbeiter sollte eher auf einer horizontalen Ebene verlaufen”, hört man während der Workshops.“ Weniger Kommunistische Internationale, weniger Sowjets. Und mehr Just do it!”, so der Kommentar eines Teilnehmers.

Und welche technischen Spielereien erwarten uns? “Wir wollen in den Blogs Umfragen durchführen können! Wir wollen mit den Profilinhabern Kontakt aufnehmen können! Wir wollen ein Klavier! Immer langsam: Zunächst einmal wird ein neues Design für die Blogs entwickelt. Dann sollen demnächst mehr Videos und interaktive Fotogalerien den Auftritt bereichern. Und weniger interne Serverfehler! “Aber na ja,” stellt Adriano Farano fest ,“mit der Technik ist es so wie mit den sexuellen Fantasien: Im Geist stellen wir uns alles perfekt vor und wenn es dann Realität wird, müssen wir akzeptieren, dass sie niemals perfekt ist!”. Auf den Punkt gebracht: 40 Journalisten, die auf einer Insel zusammenarbeiten wollen und weit und breit keine verdammte WLan-Verbindung.

Babel Ac 1

Text: Fernando Navarro

Übersetzung: Bianca Köndgen

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