Autosuffizienzsyndrom: Das kommt mir aber spanisch vor!
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Bianca KöndgenSpanische Experten klagen über mangelnde Investitionen europäischer Hochschulen in den Sprachunterricht.
“Das Spanische ist eine der wenigen Sprachen, in denen man einen Spaziergang 'gibt' (dar un paseo) und nicht 'macht'. Schlägt man ein beliebiges Wörterbuch auf, findet man eine klare Definition des Ausdrucks: ‚'die Aktion des Spazierengehens oder Herumgehens'. Aber was fängt man mit diesem Substantiv nun an? Und wer klärt uns darüber auf, dass man im Spanischen Spaziergänge 'gibt'?"
Mit solchen Fragestellungen eröffnete Ignacio Bosque, Mitglied der Real Academia Española de la Lengua (Königlich Spanische Akademie für Sprache) am 18. September den 10. Internationalen Kongress des Europäischen Verbandes der Hochschulsprachenzentren in Sevilla (CERCLES). Drei Tage lang nahmen über 350 Fachleute aus etwa 20 Ländern am Kongress zum Thema Sprachzentren für eine mehrsprachige Zukunft in Europa teil. Während seines Vortrags beharrte Bosque besonders darauf, dass der Spracherwerb, ganz abgesehen von seinen positiven Auswirkungen im Lebenslauf, auch eine kulturelle Frage sei. “Wenn man hier Prioritäten setzt, geht es mit dem Spracherwerb voran”, sagte er weiter.
Länder wie die Niederlande oder Dänemark sollten ein leuchtendes Beispiel sein.
Länder mit hohen Einwohner- und somit Sprecherzahlen haben häufig ein “Autosuffizienzsyndrom”, das den Erwerb von Fremdsprachen behindert. Sie glauben, es reiche, ihre Nationalsprache zu sprechen, weil es ja ohnehin die ganze Welt tut, und dass sie keine andere Sprache mehr lernen müssten. Dabei sollten Länder wie die Niederlande oder Dänemark europäischen Staaten wie Frankreich, Spanien oder Großbritannien ein leuchtendes Beispiel sein.
“Sprache”, so Ignacio Bosque weiter, “ist lebendig und dynamisch. Kombinatorische Wörterbücher, die über den bloßen Sinn des Wortes hinausgehen, sind wahrscheinlich kein Allheilmittel für den Sprachunterricht“, bewertet der Akademiker, „aber wenigstens ein Versuch, zu verstehen und eine mögliche Lösung zu finden, um sich dem von der EU geforderten Sprachniveau anzugleichen.” Zum Abschluss seiner Rede appellierte er an den Kampfgeist der Anwesenden. Sie sollten sich vom Alltag überraschen lassen und “das unterrichten, was nicht in den Büchern steht! Nur im unersetzbaren, persönlichen Umgang erlernt man eine Sprache.“
Der Bologna-Prozess, an den niemand glaubt
Die Umsetzung der Ziele bezeichnen viele jedoch als paradox, weil sie nur auf dem Papier besteht.
Seit seiner Gründung im Jahr 1991 versammeln sich über CERCLES alle 2 Jahre die internationalen Fachleute für den universitären Sprachunterricht. Im Jahr 2008 war das Hauptziel, durch universitäre Zusammenarbeit ein Netz zu spinnen, um sich den Herausforderungen bei der Umsetzung des Bologna-Prozesses im Bereich Fremdsprachenerwerb in Europa zu stellen. Die Umsetzung der Ziele bezeichnen viele jedoch als paradox, weil sie nur auf dem Papier besteht und nicht in der Praxis.
Marta Genís Pedra, Präsidentin von ACLES (Asociación de centros de lenguas en la enseñanza superior) in Spanien, prangert die Scheinheiligkeit der spanischen Regierung an. Die UNO hat das Jahr 2008 als “Internationales Jahr der Sprachen” unter dem Motto “Sprachen zählen” deklariert. “Keine einzige öffentliche Einrichtung und kein Offizieller hat dies überhaupt erwähnt.“ Auch wenn Marta Genís glaubt, dass sich der Sprachunterricht “in Spanien sehr verbessert habe”, bleibt sie bezüglich der vom Europäischen Hochschulraum auferlegten Pflichten skeptisch.
Demzufolge fragt sich Marta Genís, wie ein Student neben der Muttersprache zwei Fremdsprachen beherrschen soll, wenn die neuen Studienpläne die Unterrichtseinheiten des Sprachunterrichts herunterkürzen, um die Studiengänge an eine 4-jährige Studienzeit anzupassen, wie sie der Bologna-Prozess vorsieht. Der Vorstoß, der in der Grundschulausbildung gemacht wurde, sei „lobenswert“. Denn für alle Kinder zwischen 6 und 12 Jahren wurden zusätzliche Englischlehrer eingestellt. “Aber diese Förderung darf nicht die einzige bleiben.”
Momentan wird lediglich 1 Prozent des spanischen Bruttoinlandproduktes in den Fremdsprachunterricht investiert. Fehlende Finanzmittel, Lehrermangel und Stundenkürzungen beeinträchtigen die Studenten, die sich sehr wohl darüber im klaren sind, dass man in Europa “ohne Sprachen nichts erreichen kann“, wie Lucia Giordano treffend bemerkt, die gerade ein Studium an der Uni Mailand abgeschlossen hat.
Eine Französin an der Spitze des Sprachinstituts in Sevilla
Die Französin Marie Christine Orsini, Direktorin des Instituto de Idiomas de Sevilla (Sprachinstitut Sevilla), erklärt, dass alle Aktivitäten, die man vorher in den staatlichen Sprachschulen in Spanien als “ergänzend” betrachtete, jetzt zusammengefasst würden unter „bewertbare Stunden und Inhalte”. Dies umfasst zum Beispiel das Anschauen von Filmen und die Diskussion darüber sowie auch eigenständig vorgeschlagene Aktivitäten der Sprachschüler. Die Statistiken des Vorjahres liefern ein gutes Omen: 11.911 angemeldete Sprachschüler aus 45 verschiedenen Ländern, die 10 verschiedene Sprachen lernen. Eine Zahl, die sich im kommenden Studienjahr 2008/2009 mit Einführung des Faches Chinesisch erhöhen wird. Trotzdem verleiht Orsini einer Sorge besonderen Ausdruck: In Spanien sei es immer noch nicht verpflichtend, eine Fremdsprache zu lernen, um einen Universitätsabschluss zu erhalten.
Translated from Caso español: aprendizaje de lenguas contra el complejo de autosuficiencia