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„Auschwitz was the best“ - Die eigene Sprache der dritten Generation

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Kultur

Mit dem Theaterprojekt „Third Generation“ hat die israelische Regisseurin Yael Ronen zusammen mit den Dramaturgen Amit Epstein und Irina Szodruch ein Experiment gewagt, das bereits als “work in progress” in Halle, Tel Aviv und Parma zu sehen war. Nun kommt eine erste fertige Fassung an die Berliner Schaubühne.

Ein Stuhlhalbkreis im kargen Raum der Berliner Schaubühne. Zehn junge Schauspieler um die Dreißig sitzen barfuß, in grauen Trainingshosen und knalligen T-Shirts mit „3G“ - Aufdruck auf ihren Stühlen. Sie gehören keiner Therapiegruppe an, sie sind die Dritte Generation. Die Enkel von Holocaust-Überlebenden, vertriebener Palästinenser und Nationalsozialisten - keiner von ihnen ist heute direkt verantwortlich für das, was die Großeltern damals getan haben. Für das eigene Selbstbild im jeweiligen nationalen Kontext jedoch wirken die Erfahrungen der Ersten Generation mehr als nach.

Yael Ronen hat 2008 ein Work in progress begonnen, das die persönlichen Erfahrungen und Vorurteile aller Beteiligten überspitzt und in kurzen Szenen auf der Bühne verarbeitet. Komplexe und Schuldgefühle, die die deutschen, israelischen und palästinensischen Schauspieler als Vertreter der dritten Generation empfinden, sind ihnen bei diesem Prozess bewusst geworden. An der Grenze zur Standup-Comedy wird der deutsche Niels von seinem israelischen Freund als „Nazi-Maus-Täter“ beschimpft, weil er eine elektronische Mausefalle aufgestellt hat; werden die jüdischen Teenager parodiert, die mit ihrer Klasse zum „Holocaust und Shopping“ in die Konzentrationslager nach Polen fahren - („Auschwitz was the best“) und der palästinensische Schauspieler George freut sich über seine Erfolge in israelischen Filmen, in denen er die Rolle des fundamentalistischen Terroristen „mit großem Herz“ spielen darf. Am eindrücklichsten wird das Stück, wenn es ausgehend von persönlichen Erfahrungen dann doch in gespielte Situationen wechselt und ausnahmsweise auf Ironie verzichtet. Das angespannte Verhältnis zwischen einer Mutter und ihrem Sohn im Gazastreifen, der sich aus Angst vor den israelischen Angriffen in die Hose macht. Der junge israelische Soldat, der angesichts eines Palästinensers seine tote deutsche Großmutter sieht, die ihm einschärft, dass alle nur sein Blut sehen wollen - und schießt.

Im Laufe des Stücks wird trotz der Verknappung von sehr komplexen Inhalten klar: Jede Position, jedes Trauma hat seine Berechtigung. Keine Perspektive ist nur richtig, keine nur falsch. Wenn gefragt wird „Wer ist der Täter?“ und alle auf die anderen zeigen, wenn gefragt wird „Wer ist das Opfer?“ und alle auf sich selbst zeigen, dann wird klar, wie beliebig die Kategorien „Opfer“ und „Täter“ sind.

Amit Epstein ist Teil der dritten Generation. Der Allround-Künstler wurde 1977 in Tel Aviv geboren und wohnt seit 2003 in Berlin. Das Theaterprojekt „Third Generation“ hat er als Dramaturg begleitet.

Wie ist das Projekt „Third Generation“ entstanden?

Die erste Phase des Projekts diente der Recherche; die Schau©Christiane Lötschspieler sind nach Israel, Berlin und in palästinensische Gebiete gefahren und haben mit Therapeuten, Journalisten, Politikern und Schriftstellern geredet, die eine bestimmte Meinung zum deutsch-jüdischen Verhältnis oder dem israelisch-palästinensischen Konflikt haben. In der zweiten Phase haben wir gemeinsam überlegt, wie die persönlichen Erfahrungen szenisch dargestellt werden könnten. So entstand die Idee eines Halbkreises - ähnlich wie in einer Gruppentherapie - in dem jeder seinen Auftritt hat. Der Inhalt der einzelnen Szenen hat sich im Laufe des Prozesses noch verändert, besonders nach dem erneuten Konflikt in Gaza.

Was bedeutet es, Israeli, Deutscher oder Palästinenser der dritten Generation zu sein?

Die erste und zweite Generation hat einen eigenen Diskurs über den Holocaust und die Ereignisse in den palästinensischen Gebieten. Sie haben eine ganz bestimmte Terminologie, sie denken in den Kategorien „Opfer“ oder „Täter“. Die dritte Generation erlebt momentan eine große Diskrepanz: Einerseits liegen die Ereignisse historisch weit zurück, andererseits bestimmt es ihr Leben und ihre Identität so sehr, dass man es kaum ignorieren kann. Sie haben den Holocaust oder die Vertreibung aus den palästinensischen Dörfern nicht erlebt. Sie sind nicht mehr „Opfer“ oder „Täter“, sie haben andere Positionen, für die sie eine neue Sprache und neue Terminologie brauchen. Jede Gruppe hat ihre Art der Erzählung und es ist nicht immer leicht zu sagen, ob die eine „richtig“ und die andere ist „falsch“ ist, denn jede Erzählweise hat ihre Berechtigung. Die dritte Generation braucht einfach ihre eigene Sprache.

Am Ende der Aufführung gibt es einen lautstarken Clash zwischen allen beteiligten Gruppen. Zum Schlussapplaus kommen die Schauspieler mit Gipsarm, Kopfverband und Halskrause auf die Bühne. Gibt es keine Hoffnung auf eine Lösung des Konflikts?

Ich sehe die gesamte Situation nicht als Problem, zu dem es eine konkrete Lösung gibt. Es wird nie eine friedliche Koexistenz geben. Was es geben kann, ist eine ständige Auseinandersetzung, ein ständiges Graben in der Vergangenheit. Manche Dinge können nicht wieder „gerade gerückt“ werden. Der Holocaust kann nicht wieder „gerade gerückt“ werden. Aber wir können den Dialog aufrecht erhalten und das Menschliche in den vermeintlichen Feinden sehen, wir können das Leid der Anderen akzeptieren und verstehen, dass das Leid der Anderen uns nichts „wegnimmt“.

Das Stück „Third Generation“ ist vom 7.-9. Mai an der Berliner Schaubühne zu sehen.