Aufarbeitung in Serbien: Fischen im trüben Wasser
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Mit Radovan Karadžić und Ratko Mladić sind die dicksten Brocken an der Angel. Zahlreiche mutmaßliche serbische Kriegsverbrecher leben aber noch heute unbehelligt. Die Suche nach ihnen zieht sich hin.
Dass das Büro für Kriegsverbrechen und organisierte Kriminalität in Belgrad schlechte Arbeit leistet, behaupten nicht einmal seine Kritiker. Die Prozesse entsprechen internationalen Standards. Fast 400 Angeklagte wurden bisher, seit der Gründung der Behörde im Jahr 2003, verurteilt. „Und unsere Arbeit ist noch lange nicht abgeschlossen“, sagt Svetislav Rabrenović, Berater des Behördenleiters Vladimir Vukčević, dem ehemaligen Koordinator des serbischen Geheimdienstes. Unter seiner Führung wurden die letzten großen Fische aufgetrieben und ausgeliefert – darunter Karadžić und Mladić.
Mutmaßliche Kriegsverbrecher werden von weiten Teilen der Bevölkerung in Serbien noch immer als Helden betrachtet. Gleichzeitig aber hat auch der Prozess der Aufarbeitung begonnen, neben staatlichen Institutionen wie dem Büro für Kriegsverbrechen und organisierte Kriminalität unterstützt vor allem auch von Zivilorganisationen.
Wahrheiten gibt es viele
Eine davon ist die 2003 gegründete Youth Initiative For Human Rights, die in allen Staaten des ehemaligen Jugoslawien mit über 30 Mitarbeitern und mehreren hundert Aktivisten tätig ist. Der serbische Zweig der Organisation hat ihren Sitz in einem hellen Büro am Rande des Belgrader Stadtzentrums. Direktorin Maja Mićić kommt zu spät – und hört dann mit dem Erzählen nicht mehr auf.
Die Initiative hat sich laut Mićić unter anderem zum Ziel gesetzt, Kontakte zwischen den Nachkriegsgenerationen aufzubauen und junge Menschen in den Prozess der Aufarbeitung mit einzubeziehen. Es ist ein Berg an Aufgaben. Denn die Erinnerung wird von den Eltern, Medien und der Schulausbildung geformt. „Es ist wichtig, Fakten zu haben, keine Wahrheiten, denn von der gibt es viele“, sagt die Direktorin. Zu den Fakten zählen nicht zuletzt die Namen und die Zahlen der Opfer, welche die Jugoslawienkriege hinterlassen haben.
Die Jugendinitiative engagiert sich unter anderem am „Recom“-Prozess. Recom ist die Abkürzung für den sperrigen Begriff der „Regional Commission for establishing the facts about war crimes and other gross violations of human rights committed on the territory of the former Yugoslavia“. Es ist ein Schritt in Richtung Aussöhnung.
Dafür gehen sie auf die Straße, sammeln Unterschriften – mehr als eine halbe Million sind es bislang in der gesamten Region – informieren die Menschen. Mićić war von den positiven Reaktionen selbst überrascht. „Wenn man ihre Aufmerksamkeit hat, hat man ihre Unterschrift“, stellte sie fest. „Besonders wenn man über vermisste Menschen redet, sind die Leute bereit zu helfen.“ Das sei weniger bei jungen Menschen, stattdessen vor allem bei jenen über 40 Jahre der Fall. „Ich würde nicht einmal sagen, dass die Leute bislang noch nicht bereit dafür gewesen sind“, meint sie. „Man hat ihnen bislang einfach nicht die Möglichkeit gegeben.“
Zudem steht die Initiative in Verhandlungen mit führenden Politikern. „Wir wollen sie dazu bringen, etwas konkretes zu unternehmen und das auch schriftlich zu fixieren“, erklärt Maja Mićić. Aber es sind dicke Bretter, die sie bohren. Boris Tadić, ehemaliger Präsident Serbiens, habe zwar seine symbolische Unterstützung zugesagt. Nur unterzeichnen wollte er nichts. Wie es mit dem neuen Präsidenten Tomislav Nikolic laufen wird, werde man sehen. „Wir werden uns zusammensetzen und reden“, meint Maja Mićić.
EU zeigt kein Interesse mehr
Zugesagt habe der neue Präsident zumindest die weitere finanzielle Unterstützung des Büros für Kriegsverbrechen und organisierte Kriminalität, berichtet der juristische Berater des Behördenleiters, Svetislav Rabrenović. Eine Vorgabe, wann die Arbeit abgeschlossen werden soll, gebe es nicht. Neben finanziellen braucht das lediglich sechs Mann starke Büro aber auch personelle Ressourcen, nicht zuletzt für den Zeugenschutz.
Die Zeugen sind laut Rabrenović die wichtigsten Quellen, da die meisten Dokumente in den letzten 20 Jahren zerstört worden sind. Der Zeugenschutz selbst spielte in diesem Jahr eine sehr unrühmliche Rolle, als herauskam, dass Beamte einen Zeugen aus dem Kosovo misshandelt hatten, anstatt ihn zu schützen. Der Vorgang wurde auch vom Büro für Kriegsverbrechen heftig kritisiert.
"Die müssten ja praktisch gegen sich selbst ermitteln!"
Trotz allem entzündet sich Kritik an der Arbeit der Behörde. „Wir warten immer noch darauf, dass sie nicht nur die kleinen Fälle verhandeln, sondern auch die mittelgroßen Fische an Land ziehen“, heißt es aus internationalen Beobachterkreisen. Dafür mache man auch eine gewisse Unwilligkeit der Ankläger sowie der Polizei als Ermittler verantwortlich. Von einer selbst auferlegten Zensur ist die Rede. „Die müssten ja praktisch gegen sich selbst ermitteln.“ Und noch ein weiteres Problem wurde ausgemacht: „Sobald Mladić den Boden in Den Haag betreten hatte, war der Druck der internationalen Gemeinschaft plötzlich verschwunden.“ Im Klartext: „Die EU hat genug von dieser ganzen Kriegsverbrecher-Sache.“
Autor: Sebastian Garthoff
Illustrationen: Teaserbild (cc)*Seth/flickr; Alle Bilder im Text ©Sebastian Garthoff