Auf Kriegsfuß mit Paris
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Oft als kinderlose Loser-Generation verschrien, bieten die in den Achtzigern geborenen Twens mehr verborgene Talente, als gedacht. Zwei deutsch-französische Journalisten lassen sie zu Wort kommen. Teil 2 einer Porträtreihe zwischen Paris und Berlin.
Generation 80 (Blog-Illustration: © Eva John/ Romy Straßenburg)
"Es ist Zeit für den Apéro!" So begrüßt mich Anne in ihrer Stammkneipe, dem Rhumarin im 11. Arrondissement. Eine Bar, wo der Name Programm ist. Alle vorstellbaren Variationen von Rum stehen auf der Karte. Wir entscheiden uns für das Tagesangebot, ein Rumcocktail mit Mango und Kiwi.
Die 27-Jährige aus der Bretagne kommt oft hierher, wegen der Atmosphäre, der Musik, der stetig wechselnden Dekoration. Von der Decke baumeln Holzautos und Weihnachtskugeln. Anne liebt dieses Pariser Viertel, sie hat ihre kleinen Gewohnheiten, den Marktbesuch auf dem Place de la Réunion, wo die Händler ihre Preise noch auf Arabisch heraus schreien. Keineswegs das bürgerliche Paris hinter schönen Fassaden.
Pariser Parallelwelten
Die Gegensätze der Hauptstadt beschäftigen Anne ständig: "Paris und die Banlieue, das sind zwei Parallelwelten. Zwei Gesellschaften, die sich nicht überschneiden und die nichts voneinander wissen." Sie weiß wovon sie spricht, arbeitet sie doch in Créteil, einem Vorort süd-östlich von Paris. Nach ihrem Politikstudium hat sie hier einen Job gefunden und organisiert kulturelle Veranstaltungen für Jugendliche. "Theater, Zeichenateliers und Ausflüge sollen die Menschen aus ihrem Alltag herausholen." Doch glücklich ist sie mit ihrer Arbeit nicht: "Wenn ich wenigstens selbst mit den Jugendlichen zusammenarbeiten würde! Aber ich sitze nur im Büro, telefoniere und plane."
Auch das Gehalt ist, wie so oft im kulturellen Bereich, niedrig. Mit einem Vollzeitjob bleiben Anne am Ende des Monats 1100 Euro. "Für Paris ist das gar nichts!" Wenn sie einen Beruf wählen könnte, dann wäre sie Reisejournalistin geworden. Andere Länder haben sie schon immer fasziniert. Vor allem Osteuropa, aber auch Fernost. Denn "man sollte auch über den europäischen Tellerrand blicken. In ganz fremde Kulturen eintauchen". Für ihr Erasmus-Jahr hat sie aber doch nur den Nachbarn ausgewählt. Ein Jahr lang studierte sie in Potsdam, lernte dadurch auch Berlin kennen, eine Stadt, von der sie bis heute schwärmt.
Wohnungsmarathon
Ihre Vorliebe für Berlin liegt nicht zuletzt an den Problemen, die sie in Paris hat. Im Moment ist die Wohnungssuche ihre größte Sorge. Noch lebt sie in einer WG, zusammen mit einem 30-jährigen Ingenieur. Als Hauptmieter hat er sie vor drei Monaten gebeten, sich etwas Neues zu suchen, obwohl sie sich gut verstehen. "Ich glaube für ihn ist die WG-Zeit vorbei, er möchte alleine leben."
Seit drei Monaten ist Anne nun auf der Suche nach einer neuen Bleibe. Für den Wohnungsmarkt in Paris fällt ihr nur ein Wort ein: skandalös! Sie hat schon alles gesehen: Bruchbuden für 700 Euro im Monat, katastrophaler Zustand in zwielichtiger Lage. Also war die Überlegung wieder eine WG zu suchen. Doch auch das ist mittlerweile zum Lottospiel geworden: "Die Leute veranstalten richtige Castings. Bei einer Wohngemeinschaft wurde ich gefragt, wie sehr ich mich denn in die Freundschaft einbringen würde. Ich hatte den Eindruck, die haben eine neue Familie gesucht. Es gab sogar Angebote, in denen sich Leute eine Einzimmer-Wohnung teilen wollten. Ich finde das geht zu weit. Ich will nur in Würde leben."
Ihre Chancen stehen schlecht. Bei den meisten Immobilienmaklern muss das Gehalt das Dreifache der Miete betragen. Das hieße in ihrem Fall, die Wohnung dürfte nicht mehr als 350 Euro kosten. Völlig utopisch! Daneben hat sie kaum Zeit für die Wohnungssuche: "Das wäre ein Vollzeitjob, aber den hab ich ja schon." Das Schlimmste für Anne ist, ständig über Geld nachdenken zu müssen. Ob Wohnung oder Freizeit, immer muss sie nachrechnen, was sie sich leisten kann. Dabei hat sie gerade im Moment Lust darauf, das Privatleben zu genießen. Vor drei Monaten hat sie während eines Theaterstücks ihren Freund kennen gelernt. Wenn sie am Wochenende nicht auf Wohnungssuche ist, dann liebt sie es, lange auszuschlafen, sich den Luxus eines Brunchs zu gönnen, Freunde zu treffen, in eine Ausstellung zu gehen. In diesen Momenten scheint sie ihren Frieden mit der Stadt gefunden zu haben. Doch für immer will sie auf keinen Fall in Paris bleiben: "Ich weiß zwar noch nicht wohin, aber anderswohin!"
Für weitere deutsch-französische Porträts, besuchen Sie - ein dynamisch-partizipatives Adventskalender-Blog, auf dem jeden Tag ein Kalendertürchen mit interessanten Geschichten geöffnet werden kann. Einen Monat lang tauschen Eva John und Romy Straßenburg, zwei 24-jährige Journalistinnen, Wohnung, Stadt und Leben, beschreiben Perspektiven, Ängste, Zweifel und Träume, die Leute ihres Alters ihnen anvertraut haben. Das Projekt wird vom unterstützt.
gen80.euDeutsch-Französischen Jugendwerk
Fotos: Bar (©Romy Straßenburg) -Homepage (©magaliB/istock)