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Auf der Suche nach dem portugiesischen Blues

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Barbara Braun

Kultur

Die engen Gas­sen von Lis­sa­bon ste­cken vol­ler Ge­heim­nis­se. Musik hängt in der Luft: die me­lan­cho­li­schen Verse des Fado er­zäh­len von  Miss­ge­schi­cken in der Liebe. Die Sän­ger nehmen die Rolle von grie­chi­schen Tra­gö­di­en­dar­stel­lern ein. Mein Streif­zug durch eine tief ver­wur­zel­te Tra­di­ti­on, die auch Tou­ris­ten­her­zen ein­nimmt.

Es ist ein­fach in Lis­sa­bon ein Re­stau­rant zu fin­den, in dem man Fado hören kann. Aber es ist schwie­rig, einen Ort mit ech­tem, au­then­ti­schem Fado zu fin­den. Dafür muss man tief ins In­ne­re der Lis­sa­bon­ner Alt­stadt ein­drin­gen. Ich be­ge­be mich auf die Suche nach jenen Stim­men, die das In­ners­te der Stadt mit ihren me­lan­cho­li­schen Ge­sängen vi­brie­ren las­sen.

Wo alles be­gann

Der Be­rufs­mu­si­ker Mi­guel weiht mich in die Ge­heim­nis­se der por­tu­gie­si­schen Gi­tar­re ein: „Sie hat 12 Sai­ten und wird ein biss­chen so wie Oud ge­spielt (ein In­stru­ment mit Ur­sprung in der Re­gi­on von Ba­by­lon, das in der ara­bi­schen Welt weit ver­brei­tet ist, Anm. d. Red.). Sie be­glei­tet die Stim­me." Die an­de­ren ein bis drei Gi­tar­ris­ten geben das Tempo vor. „Oft hat der Sän­ger oder die Sän­ge­rin ihre Texte selbst ge­schrie­ben", er­klärt Mi­guel. Oder es sind alte Texte, die alle ken­nen„In man­chen Vier­teln wird Fado nur für Tou­ris­ten ge­spielt. Aber unser Gi­tar­rist kennt einen Ort, an dem man Fado in sei­ner ur­sprüng­li­chen Form lau­schen kann: „In der Mesa Da Fra­des wird wirk­lich guter Fado ge­spielt.“ Der Weg dort­hin führt mich nach Al­fa­ma, ein eher armes Vier­tel, in das mehr und mehr Tou­ris­ten kom­men, weil viele Lo­ka­le Fa­do-All-In­clu­si­ve-Aben­de für 30 Euro an­bie­ten.

Alfama wim­melt nur so von Re­stau­rants und Bis­tros. Es hat sei­nen ur­sprüng­li­chen Charme er­hal­ten. Nur die zahl­rei­chen Schie­fer­ta­feln mit der Auf­schrift „Fado to­night" oder „Fa­do-Me­nu" stö­ren das Bild ein wenig. 

Und so fin­de ich auf einem kaum be­leuch­te­ten, win­zi­gen Platz, den Ein­gang zur mys­te­riö­sen Mesa da Fra­des. Ein schwe­res, ver­schlos­se­nes Ein­gangs­tor wirkt, wie eine un­über­wind­ba­re Bar­rie­re. Ich läu­te und war­te. Es ist 23 Uhr. Kaum hör­ba­res Ru­mo­ren dringt aus dem Saal. Eine Sän­ge­rin stimmt ihr ers­tes Lied an, dann ein zwei­tes und macht eine Pause. Das Tor öff­net sich. Drin­nen ist es fast ganz dun­kel. Es ist ein Ort, an dem die Zeit ste­hen­ge­blie­ben zu sein scheint. Ei­ni­ge klei­ne Lam­pen auf den Ti­schen wer­fen einen schwa­chen Schein. Auf den Ti­schen steht Cham­pa­gner. Im Saal sind nur Por­tu­gie­sen. Es ist ein Ge­heim­tipp für wohl­ha­ben­de Leute, ob­wohl es durch­aus be­zahl­bar dort ist. Als die Musik wie­der ein­setzt, wer­den alle still im Saal. Zwei Gi­tar­ris­ten be­glei­ten eine alte Diva, die ein un­bän­di­ges Ver­lan­gen da­nach zu haben scheint, sich ihre Ge­füh­le von der Seele zu sin­gen. Als sie eine be­kann­te Me­lo­die an­stimmt, sin­gen alle mit. Ein de­zen­tes Blink­licht macht die Be­sit­zer dar­auf auf­merk­sam, dass noch mehr Fa­do-Lieb­ha­ber um Ein­lass bit­ten. Bis zwei Uhr mor­gens wech­seln sich Sän­ge­rin­nen und Sän­ger im 4-Lie­der-Takt ab.

Deo­linda - « Fado To­ninho »

Und mit ein biss­chen glück...

Als wir gehen, er­zählt uns Luis, ein ein­ge­fleisch­ter Fa­do-Lieb­ha­ber, dass die tra­di­tio­nel­le Musik der por­tu­gi­si­schen Haupt­stadt an Po­pu­la­ri­tät ver­liert, weil es kei­nen Nach­wuchs gibt, und Fado nur noch für Tou­ris­ten ge­spielt wird". Den­noch gäbe es Bands wie Deo­linda und António Zam­bujo, die mit Fa­do-Rhyth­men ein neues Pu­bli­kum er­obern. Dar­über ist der junge Stu­dent sehr froh. Luis wohnt in der Nähe der U-Bahn-Sta­ti­on Laran­jei­ras, in einem weit vom Zen­trum ent­fern­ten, das für Stu­den­ten wie ihn er­schwing­lich ist.

Die Bar von Tony ist ganz in der Nähe von Luis‘ Woh­nung. Schwer zu sagen, ob die Bar offen ist. Sie scheint immer ge­schlos­sen zu sein, nie­mand war­tet vor ihrem Holz­tor. Und den­noch hört man hier manch­mal ein paar Fa­do-Tö­ne. Man muss an­klop­fen, um ein­ge­las­sen zu wer­den. Und war­ten. Bis ein un­ter­setz­ter klei­ner Mann mit spit­zem Schnurr­bart und in­qui­si­to­ri­schem Blick seine Nase her­aus­streckt. Es ist Tony, der sich trotz sei­nes un­wir­schen Auf­tre­tens immer über neue Gäste freut. Wie­der sind nur Por­tu­gie­sen im Saal, wenn auch dies­mal jün­ge­ren Al­ters. Tony und der an­de­re Be­sit­zer der Bar, spre­chen kein Eng­lisch, denn sie sind Be­such aus dem Aus­land nicht ge­wöhnt. Aber das macht nichts, der Wirt be­dient uns trotz­dem als wären wir Stamm­gäs­te. Zeit­lo­ses Dekor schmückt die Wände. Die Luft ist vol­ler Rauch, das Licht ge­dämpft. Auf den Ti­schen ste­hen volle Aschen­be­cher und halb­lee­re Rot­wein­glä­ser. Die Enge des Raums schafft eine be­son­de­re Nähe zu den Mu­si­kern und ihrer Musik. Ein paar Sän­ge­rin­nen in Klei­dern, die ele­gant aus­se­hen sol­len, räu­men die Bühne für einen alten, völ­lig be­trun­ke­nen Mann. Alle schei­nen von den Tex­ten, die sie sin­gen, be­ses­sen zu sein. Schließ­lich haben sie die Lie­der selbst ge­schrie­ben. „Wäh­rend der Dik­ta­tur [von Sa­la­zar, Anm.​d.​Re­dak­ti­on]", er­zählt Tony, „waren viele The­men ver­bo­ten. Mit dem Sturz des Re­gimes, ist auch die Krea­ti­vi­tät der Fa­do-Tex­te zu­rück­ge­kehrt!“

An einem ge­müt­li­chen Tisch zu sit­zen und Fado zu hören, ist ein Muss bei einem Be­such in Lis­sa­bon. Fado ist nicht nur Musik und Ge­sang, es ist eine ganz be­son­de­re Stim­mung. Und Stim­mun­gen sind nicht leicht zu fin­den. Es ist aber genau diese Stim­mung, die eine Reise nach Lis­sa­bon be­son­ders macht.

Die Ge­sprä­che führ­te Tho­mas La­borde in Lis­sabon.

Translated from Lisbonne : Portuguese Blues