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Auf den Spuren meines deutschen Urgroßvaters in Sibirien

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Gesellschaft

Im Sommer 2010 reisten mein Großvater, Lothar Mahler, und ich nach Rubzowsk, um das Grab seines Vaters zu finden. 1945 starb mein Urgroßvater dort in Kriegsgefangenschaft. Rubzowsk ist eine Stadt mit rund 160.000 Einwohnern - fern von Zivilisation - an der russisch-kasachischen Grenze im südlichen Westsibirien.

Mein Großvater hatte seit über 65 Jahren gehofftdie genaue Todesstätte seines Vaters zu finden.

Heinrich Mahler, mein Urgroßvater, kämpfte während des Zweiten Weltkrieges an der russischen Front und geriet 1945 in Ostpreußen während des Rückzuges in Kriegsgefangenschaft. Von dort aus wurde er zusammen mit vielen anderen Gefangenen ins 5000 Kilometer entfernte Rubzowsk deportiert, wo er nur einige Wochen später an Hungertyphus starb. Meine Urgroßmutter erhielt nur spärliche Informationen über den Tod ihres Mannes, selbst der Todesort konnte nicht eindeutig bestimmt werden. In den folgenden zwei Generationen meiner Familie wurden keinerlei Nachforschungen zum Tod meines Urgroßvaters angestellt. Der Kontakt zu Russland brach ab.

Eine Reise in die Vergangenheit

Dies änderte sich, als ich 2008 für ein Jahr in Moskau studierte. Mein Großvater bat mich, dort zu recherchieren, wo genau mein Urgroßvater verstorben sei. Alte Karten ermöglichten mir tatsächlich das Kriegsgefangenlager „511“, 500 Kilometer südlich von Nowosibirsk, in Rubzowsk ausfindig zu machen. Leider war damit jedoch bereits das Ende der zugänglichen Informationen erreicht. Schließlich fassten mein Großvater und ich den Entschluss, nach Sibirien zu fahren, um vor Ort weiter zu forschen.

Um unsere Reise vorzubereiten, setzte ich mich mit dem Generalkonsulat der Bundesrepublik in Nowosibirsk in Verbindung. Ich hoffte mehr über das Lager und seine inhaftierten Soldaten zu erfahren. Sechs Wochen später meldete sich Professor Sergej Bukin von der Akademie der Wissenschaften in Nowosibirsk, der sich seit vielen Jahren mit dem Schicksal deutscher Soldaten in Sibirien beschäftigt.

Über die nächsten Wochen entwickelte sich zwischen Sergej und mir ein reger Email-Austausch, der uns Einblicke in die Lebensumstände der ehemals in Rubzowsk Inhaftierten geben sollte. Sergej hatte Zugang zum Friedhofsbuch des Lagers: Tatsächlich war dort ein Eintrag über meinen Urgroßvater zu finden. Wo genau die toten Soldaten jedoch begraben waren, konnte uns auch Sergej nicht sagen, da es keine weiteren offiziellen Aufzeichnungen zum Lager in Rubzowsk gibt.

Da Sergej selbst noch nicht vor Ort geforscht hatte, luden wir ihn kurzerhand ein, uns auf unsere Reise nach Rubzowsk zu begleiten. Zu unserer großen Freude sagte er sofort zu. 18 Monate später und 5000 Kilometer Luftlinie von meinem Wohnort, Hundsmühlen in Niedersachsen, entfernt, kamen mein Großvater, Sergej und ich in Rubzowsk an. Wladimir, ein alter Studienfreund von Sergej, holte uns am Bahnhof ab. Zu unser aller Überraschung hatte er bereits ein umfangreiches Programm für die folgenden Tage in Rubzowsk und Umgebung zusammengestellt.

Traktorenfabrik Altaiski Traktor

Zunächst besuchten wir das ehemalige Kriegsgefangenlager, das auch heute noch die Funktion eines Arbeitslagers hat. Nebenan befindet sich die Traktorenfabrik Altaiski Traktor, die nach dem Krieg von deutschen Gefangenen erbaut wurde. Am Verwaltungsgebäude der Traktorenfabrik verläuft die Eisenbahnlinie von Nowosibirsk nach Kasachstan, über die mein Urgroßvater vor über 65 Jahren in einem Wagon aus Ostpreußen angekommen sein muss. Seine Deportation von Ostpreußen nach Rubzowsk dauerte damals vermutlich mehrere Wochen

Deutsche in Russland

In Gesprächen mit Menschen vor Ort erfuhren wir, dass nach dem 2. Weltkrieg selbst die Bevölkerung in dieser Region massiv an Unterernährung litt und die Wachen des Kriegsgefangenenlagers sogar die Bevorzugung der Häftlinge gegenüber Einheimischen beklagten.

Während unseres Aufenthalts interviewte uns ein Reporter der Lokalzeitung Rubzowsker Abend. Da sich deutsche Besucher eher selten in die Region um Rubzowsk verirren, fragte er uns nicht nur nach unserem Reiseanlass, sondern auch nach dem Russlandbild der Deutschen: Warum empfinden Deutsche Sympathie für Michael Gorbatschow? Denn in Russland wird Gorbatschow mit dem Auseinanderbrechen einer Weltmacht und oftmals auch einem sozialen Niedergang verbunden. Für Deutschland, so erklärten mein Großvater und ich, steht Gorbatschow für Wiedervereinigung und Demokratie.

Am nächsten Tag machten wir uns mit unseren neuen russischen Bekanntschaften auf den Weg zu dem über eine Million alten Kolywaner See an den Ausläufern des Altai-Gebirges. Hier in überwältigender Natur erlebten wir bei einem Picknick die außergewöhnliche russische Gastfreundschaft. Mit Zucchinipfannkuchen und Wodka besiegelten wir die neue Freundschaft. Bei unserer Abreise waren wir uns sicher, dass mein Urgroßvater hier eine angemessene letzte Ruhestätte gefunden hat.

Obwohl auch wir die Gräber der deutschen Kriegsgefangenen von Rubzowsk nicht finden konnten, erfuhren wir in Deutschland, dass sich aufgrund des Zeitungsartikels ein Zeitzeuge gemeldet habe, der sich an den Ort erinnern konnte, an dem die Kriegsgefangenen begraben wurden. Die deutsche Kriegsgräberfürsorge möchte an dieser Stelle nun einen Gedenkstein errichten.

Text und Fotos: ©Christian Mahler

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