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Armenien: Brandy gut, alles gut

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sgarthoff

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Die Jerewaner Brandy-Fabrik Ararat ist eines der traditionsreichsten Unternehmen des Landes. Zurück in die Erfolgsspur brachte sie ein ehemaliger Armwrestling-Weltmeister.

„Ich bin der Marketing-Direktor hier“, sagt der Mann mit schwerer Zunge und pult sich mit seinem Autoschlüssel den Schmalz aus den Ohren. Die Sonntagsonne scheint über das Gelände der Jerewaner Brandy-, Wein- und Wodkafabrik „Ararat“, der Mann blinzelt gegen die Strahlen und sieht glücklich aus. Wer an diesem Ort arbeitet, muss wohl einfach glücklich sein.

Die Jerewaner Brandy-, Wein- und Wodkafabrik Ararat mit ihren 300 Mitarbeitern wird von starken Händen geleitet. Wie stark, zeigte sich 1996, als Firmenmanager Gagik Zarukyan all das niederrang, was sich Gegner nannte und einen eindrucksvollen Titel seiner Vita beifügen konnte: Weltmeister im Armwrestling. Zwei Jahre später kam der Europameister-Titel hinzu. In den Nullerjahren wurde er Parlamentsabgeordneter, Mitglied im ständigen Ausschuss für Verteidigung, nationale Sicherheit und Inneres, Vorsitzender des Nationalen Olympischen Kommittees. Verheiratet ist er auch - und Vater von sechs Kindern.

Gagik Zarukyans Oberkörper ist gewaltig, eine Demonstration an Masse und Kraft, ein armenischer Hulk. Seine Füße sind in Krokodilsschuhe gekleidet. Wahrscheinlich hat er es eigenhändig erlegt. Doch das Bild ist nur ein solches. Denn er ist nicht gekommen. Es ist Sonntag in Jerewan, Arbeitsruhe in der Fabrik. Kein Zarukyan. Kein Handschlag mit dem Mann, dessen Multi Group-Konzern von Pharma- bis Zementbetrieben reicht, der im armenischen Parlament den Rekord an Abwesenheit hält, der sich in seinem Privatzoo Bären, Hirsche, Tiger und Löwen hält und 2003 verdächtigt wurde, an einem Bombenanschlag auf einen kritischen Journalisten beteiligt gewesen zu sein.

Dafür ist Mara Gevorgjan da und hält einen Vortrag über Damentränen. „Man muss das Glas erst etwas schütteln, dann schräg halten und zählen, wie lange die Tropfen herabfließen, davon lässt sich das Alter des Brandys bestimmen“, erklärt sie. Getrunken wird der Brandy in Zimmertemperatur, ohne Eis, ohne Oliven, ohne Zitronen. Man trinkt ihn schluckweise mit Obst, Schokolade, Kaffee und einer Zigarre. Zigarren gibt es von Mara Gevorgjan keine, dafür Anekdoten.

Stalin, so heißt es, habe Churchill auf der Konferenz von Jalta mit dem Brandy bekannt gemacht. Danach ließ sich dieser einmal monatlich ein Fass schicken. Den Rest der Geschichte hat Gevorgjan wohl schon hundertmal erzählt. Eines Tages nämlich habe Churchill bemerkt, dass die Qualität des Brandys schlechter geworden sei. Warum? Weil der technische Direktor Markar Sedrakjan gerade und wohl nicht ganz freiwillig in Sibirien weilte. Es kam, wie es kommen musste: „Stalin reagierte blitzschnell, ließ Sedrakjan befreien, gab ihm sein Parteibuch zurück - und Churchill konnte wieder jeden Tag seine Flasche armenischen Kognak trinken.“ Brandy gut, alles gut.

Die armenische Brandy-Tradition geht auf die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück, als der Kaufmann Nerses Tairyan das Gelände der durch ein Erdbeben zerstörten persischen Festung erwarb. 1877 begann er mit der industriellen Produktion von Wein, zehn Jahre später mit Kognak. 1898 vermietete Tairyan die Fabrik an das russische Spirituosenunternehmen Schustow und Söhne, die sie nach einem Jahr für 50.000 Rubel kaufte und fortan eine Legende begründete.

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und den katastrophalen 1990er Jahren, die dem Land einen Krieg mit Aserbaidschan, geschlossene Grenzen zur Türkei und eine Nation in Armut brachten, war auch die Brandy-Fabrik in einem desolaten Zustand. Dann packte Gagik Zarukyan das Unternehmen an und stellte es wieder auf die Beine, ließ die Gebäude renovieren und ein Museum einrichten. Zur feierlichen Eröffnung des Betriebes im November 2004 grinste er mit dem damaligen Ministerpräsidenten Robert Kotscharyan um die Wette.

Dass seine Firma im armenischen Brandy-Geschäft nur die Nummer Zwei ist, dürfte den 54-jährigen Zarukyan nicht stören, der mit seiner Multi Group 150 Millionen Dollar Umsatz pro Jahr macht und zu den Top-5-Unternehmern des Landes zählt. Vor ihm steht die fünf Mal mehr Brandy produzierende Yerevan Brandy Company, ebenfalls ein Nachfolger des alten Schustow-Unternehmens und heute in den Händen des französischen Multis Pernod Ricard.

Der Besuch neigt sich dem Ende zu. Der selbsternannte Marketing-Direktor ist nirgendwo mehr zu sehen. Die brandytrunkenen Gedanken schweifen in die Ferne, bleiben am Berg Ararat hängen, der sich am Horizont über 5000 Meter in den Himmel schraubt. Und plötzlich kommt wie aus dem Nichts Maxim Gorki in den Sinn. „Es ist leichter auf den Berg Ararat zu steigen, als aus dem Keller Ararat“, soll der russische Schriftsteller geschwärmt haben. Wer einmal dort gewesen ist, weiß, wovon er sprach.

Fotos: ©SG

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