Antisemitismus und Islamophobie
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Der Vergleich erscheint naheliegend, doch sind die beiden Phänomene wirklich vergleichbar? Der Historiker Uriya Shavit verweist in einem Essay auf das unterschiedliche Verhältnis von Juden und Muslimen zu ihrer Aufnahmegesellschaft. Muslime seien anders als Juden eine echte Bedrohung für Europa. Zumindest in der Theorie. Donnerstag 28. August 2008
Sind Muslime die neuen Juden Europas?
Seitdem infolge des 11. Septembers der Islam ins Schlaglicht geraten ist, klagen europäische Muslime über Diskriminierung im täglichen Leben, auf der Straße, in der Schule, bei der Arbeits- und Wohnungssuche. Tatsächlich ist das Bild der Muslime in Presse und Öffentlichkeit geprägt von Vorurteilen und Verallgemeinerungen. Politisch motivierte Anschläge auf Moscheen, Friedhöfe und Gemeindezentren sowie offen islamfeindliche Kundgebungen rechtspopulistischer und rechtsextremer Gruppen sorgen nicht nur bei Muslimen für Unruhe.
Der Vergleich zwischen Islamophobie und Antisemitismus erscheint naheliegend. In beiden Fällen handelt es sich um die Ablehnung einer religiösen Minderheit wegen ihren tatsächlichen oder vermeintlichen Besonderheiten. Durch die Herausstellung ihrer Andersartigkeit werden Muslime oder Juden nicht nur aus der Gesellschaft ausgeschlossen, sondern auch als Bedrohung des Zusammenhalts ebendieser Gesellschaft dargestellt. Mit Verweis auf reale Eigenheiten wird eine Karikatur, ein Zerrbild des Anderen konstruiert, das diese als zugleich lächerlich und bedrohlich erscheinen lässt.
Eine Rationalisierung an sich irrationaler Vorurteile
So wie die Juden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts unterscheiden sich auch die Muslime nicht nur durch ihre Religion, sondern auch durch ihre Sprache, ihre Kleidung sowie ihre Speisen von der Mehrheit. Zudem leben sie zum Teil in eigenen, weitgehend geschlossenen Vierteln. Wenn man heute bei Muslimen von einer Parallelgesellschaft sprechen kann, so konnte man dies bei den Juden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in vielen Fällen ebenfalls, auch wenn in beiden Fällen ein Großteil der Gruppe in die Gesellschaft integriert war bzw. ist.
Wenn früher die Tatsache, dass Juden weit stärker als es ihrem Bevölkerungsanteil entsprach im Bildungs-, Kultur- und Finanzwesen vertreten waren, dazu verwendet wurde, die Idee einer jüdischen Verschwörung zu begründen, so dient heute der islamische Extremismus und Terrorismus als Beweis für die Bedrohung durch den Islam. Die große Sichtbarkeit der jüdischen Bankiers auf der einen und der muslimischen Terroristen auf der anderen Seite ermöglicht es, die gesamte Gruppe ins Schlaglicht zu bringen, obwohl es sich in beiden Fällen nur um eine winzige Minderheit handelt.
Eine gedachte Gemeinschaft trotz aller Unterschiede
Es gibt also Parallelen zwischen Islamophobie und Antisemitismus, doch ist deshalb ihre Gleichsetzung zulässig? In einem Essay für das Wall Street Journal hat sich der israelische Historiker Uriya Shavit mit dieser Frage befasst. Er verweist darauf, dass es weniger die Fremdheit der Muslime an sich ist, die Misstrauen und Ablehnung hervorrufen, als was mit ihnen verbunden wird. Das Kopftuch sei nicht auffälliger als der Turban der Sikhs, dennoch würden die Sikhs nicht als Bedrohung der europäischen Kultur wahrgenommen.
Laut Shavit unterscheiden sich Muslime und Juden weniger im Bezug zu sich selbst, als in ihrem Verhältnis zu den anderen. Beide Minderheiten, die verstreut außerhalb ihres Herkunftslandes leben, die Juden seit Jahrtausenden, die Muslime meist erst seit Jahrzehnten, verstehen sich als Gemeinschaft mit eigener Identität. Auch wenn sie in unterschiedliche sprachliche und kulturelle Gruppen zerfallen, stellen sie sich weiterhin als Gemeinschaft vor, die einander und ihrem Herkunftsland verbunden ist.
Eine Verpflichtung zur Mission wirkt bedrohlich
Doch während für die Juden die Zugehörigkeit zur jüdischen Nation so abstrakt sei, schreibt Shavit, dass sie sich in ihr fremdes Umfeld integrieren können, verlange der Islam von seinen Anhängern, sich auch in der Fremde für die Verbreitung der Religion einzusetzen. Während die jüdische Gemeinschaft nach außen geschlossen sei, verstehe sich der Islam als universell. Das Judentum kenne keine Mission, der Islam hingegen verpflichte seine Anhänger für seine Ausbreitung einzutreten, weshalb er zu Recht von anderen Religionen als Bedrohung wahrgenommen werden könne, schreibt Shavit.
Seiner Ansicht nach sind Antisemitismus und Islamophobie nicht vergleichbar. Denn während die „jüdische Weltverschwörung“, mit der sich ersterer begründet, völlig fiktiv sei, basiere die Furcht vor dem Islam auf dem realen Drang der Muslime, Europa dem Islam zu unterwerfen.
Allerdings schränkt Shavit hier sein Urteil ein, wenn er schreibt, dass die europäischen Muslime in der Realität nicht dem Gebot folgen, sich für die Verbreitung des Islam einzusetzen. Selbst konservative Muslime akzeptierten, dass es einen Unterschied zwischen Theorie und Praxis gebe. Sie würden die umma zwar als theoretischen Bezugsrahmen anerkennen, orientierten sich im täglichen Leben aber an ihren eigenen vom jeweiligen kulturellen und politischen Kontext bestimmten Interessen, anstatt wie eigentlich gefordert an dem Wohl der umma und des Islam.
So überzeugend die Argumentation von Shavit auch sonst erscheint, ist ihm doch darin zu widersprechen, dass nicht allein die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die in der Theorie einen missionarischen Anspruch vertritt, die Feindschaft gegenüber dieser Gruppe rechtfertigen kann. Dennoch erscheint eine Gleichsetzung von Antisemitismus und Islamophobie tatsächlich insofern problematisch, als damit jede und auch jede berechtigte Kritik am Islam und den Muslimen unmöglich gemacht wird. Besonders in Deutschland lässt kaum etwas schneller verstummen, als in die Nähe des Antisemitismus gerückt zu werden.
Vom 22. bis zum 24. Juni hat eine Konferenz namhafte Wissenschaftler am University College in London versammelt, um über „Antisemitism and Islamophobia in Europe – comparisons, contrasts, connections“ zu diskutieren. Eine Veröffentlichung der Beiträge ist in Vorbereitung. Man darf gespannt sein.