Andrew Todd: "Die Gehrys und Libeskinds geben einer Stadt nichts"
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Barbara W.Der Architekt englischer Herkunft - Fachzeitungen zufolge einer der 40 besten der Welt - zu europäischen Städten, die mehr und mehr zu Museen verkommen.
Andrew Todds Haare haben genau die richtige Länge. Er kann seine schmalen Finger darin versenken und einigen größeren Haarsträhnen in regelmäßigen Abständen einen belebenden Schwung verpassen. Seinem Italienisch verleiht er damit eine beinahe körperliche Dimension. Man würde ihn fast für einen Muttersprachler halten, wäre da nicht von Zeit zu Zeit diese leichte britische Flexion, die ihn verrät.
„Le Corbusier und Alvar Aalto haben in ihren kleinen Ateliers gearbeitet, mit höchstens 20 Leuten um sie herum,“ fängt er beim ersten Anzeichen einer Frage an Berührungspunkte zu seinem eigenen Leben zu suchen. „Heute wird die Logik von großen Konzernen bestimmt, von riesigen Büros mit 200 Beratern. Ich glaube nicht, dass man so arbeiten kann", fasst er zusammen, während er den ersten Schluck Tee trinkt.
'Flughafenarchitekten': eine barbarische Invasion
Eine Attacke auf die Stararchitekten würde man von jemandem erwarten, der es nicht an die Spitze geschafft hat, von einem Außenseiter. Es ist hingegen befremdend, dass das „J'accuse“ aus dem Mund eines Architekten stammt, der bei dem preisgekrönten, französischen Architekten Jean Nouvel gelernt hat und dann seinen eigenen Weg von Bristol, über New York bis nach Paris gegangen ist. In der französischen Hauptstadt arbeitet er nach wie vor als Professor.
Paris sei allerdings nur seine „Schlafstadt“. „Das Arbeiten mit Nouvel ist komplett anders“, belehrt Andrew Todd gutmütig. „Er ist jemand, der sich neu erfindet, der studiert und kontextualisiert. Er ist gewiss keiner dieser Trendarchitekten, die von den Bürgermeistern der Großstädte aufgesucht werden, um ein paar Architouristen anzuziehen.“ Er bezieht sich damit sehr offensichtlich auf das spanische Bilbao, das auf den Landkarten der europäischen Kultur erst seit der göttlichen Intervention „namens Guggenheim“ aufgetaucht ist: „Aber die Gehrys und Libeskinds geben einer Stadt nichts. Sie fallen durch Wirkung auf, aber sie kümmern sich in keiner Weise darum, wie ihr Projekt danach konkret von den Menschen erlebt wird. Ihre Mission endet mit der Einweihungszeremonie.“
Für sie hat Todd den x-ten gelungenen Ausdruck des Interviews geprägt: „Flughafen-Architekten“. „Sie kommen mit ihrem Trolley in der Hand, unterschreiben, posieren, schütteln ein paar Hände und gehen wieder.“ Eine barbarische Invasion, der Todd eine andere Architektur entgegensetzen möchte.
Die beste Architektur? In Spanien und in der Schweiz
„Für den Raum planen, auch im Raum improvisieren, sich dem Problem des Respekts, des Kontexts und der Umwelt stellen. Das sind die moralischen Pflichten der Architektur heute.“ Für einen wie Andrew Todd, der sich zuletzt vor allem auf die Umarbeitung und Realisierung von Szenen- und Theaterräumen spezialisiert hat, ist „den Gebäuden zuzuhören, den Geist der Orte zu bewahren“ eine absolute Priorität. Momentan arbeitet Todd in London, zum Beispiel mit dem Young Vic, einem Anti-Theaterprojekt zum historischen Londoner Theater 'Old Vic', sowie in Marseille und der Schweiz, „Die beste Architektur,“ fügt er hinzu, „wird heute in Spanien und in der Schweiz gemacht. Und zwar deshalb, weil die Architektur ein politischer Akt geworden ist, bei dem sehr viel Geld im Spiel ist. Daher können nur gute Regierungen gute Projekte unterstützen. Aber in der „copy and paste“-Architektur der Einkaufcenter-Städte müsse zu allererst eine zivilgesellschaftliche Identität geschaffen werden.“
In die gleiche Richtung geht Todds Kritik der Museumsstädte, die sich in Europa zunehmend durchsetzen. „Man muss das arrogante Dubai-Modell ebenso vermeiden wie die gegenläufige Tendenz: In Saint-Germain-des-Près findest du jedes nur erdenkliche Kleidungsstück. Aber versuch mal, etwas zu essen aufzutreiben: Das ist schier unmöglich! Das urbane Europa ist dabei, sich zu einem Vorwand zu entwickeln, zu einer Falle für Touristen, denen eine synthetische, irreale Stadt dargeboten wird.“
Es ist die Geschichte des Containers, der seinen Inhalt aufsaugt. Wenn die Könige Europas nackter denn je sind, so lässt sich das Gleiche von ihren Königreichen sagen: „Es ist eine bloße Immobilienlogik: Man sucht immer mehr nach einer optisch wirkenden Architektur, die visuell das Auge des Betrachters anspricht, während es vor allem ein großes Bedürfnis gibt, den Möglichkeiten des Lebens Raum zu geben.“
"Und gebt uns neue Städte, weil wir den Mut brauchen, uns neue vorzustellen", zitiert Todd den italienischen Schriftsteller Italo Calvino. „Ja, neue Städte im Sinne von neuen Stadtkonzepten. Schluss mit den Monsterstädten, den unendlichen Ausläufern von London“ - laut Todd „objektiv ein bisschen hässlich“ - „und den Vororten von Paris. Wir brauchen Organisation und Ordnung, jedenfalls in einer Dimension.“ Zieht er also die amerikanische Herangehensweise der „dreidimensionalen Unordnung über eine zweidimensionale Ordnung“ vor? „Die Verkehrsmittel“ schließt Todd, „spielen eine grundlegende Rolle. Beim Wettlauf nach oben braucht man Gleichgewicht: Der Wolkenkratzer ist und bleibt die schwierigste Übung unserer Disziplin.“
Translated from Andrew Todd: «L’architettura è un atto politico»