Amara Lakhous, an der Kreuzung der Kulturen
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Jeannette Carolin CorellSein Roman war in Italien das Literaturereignis des Jahres: Der Algerier Amara Lakhous, 36, über die italienische Einwanderungspolitik und den Kampf der Kulturen.
In der Rangliste der zehn meistgelesenen Bücher der italienischen Tageszeitung Corriere della Sera war im vergangenen Mai auch sein Buch zu finden, und zwar in der Kategorie der „italienischen Bücher“. Eigentlich stammt Amara Lakhous aus Algerien, doch er schreibt auf Italienisch. In Italien gilt er als die literarische Entdeckung des Jahres. In seinem Roman Scontro di civiltà per un ascensore a Piazza Vittorio [wörtlich: Kampf der der Kulturen um einen Aufzug am Piazza Vittorio, AdR] erzählt er mit Ironie und Schärfe die Geschichte eines Mordes, der in einem Multikulti-Viertel Roms begangen wird und die Eigenheiten der aus allen Ecken der Welt stammenden Bewohner an den Tag bringt.
„Ich habe sechs Jahre am Piazza Vittorio gewohnt. Dinge, die ich dort vor zehn Jahren gesehen habe, fand ich auch woanders wieder, allerdings immer ein paar Jahre später“ erzählt uns der Autor, als wir in der eleganten Umgebung des Vereins der Auslandspresse in Rom sitzen. „Der Piazza Vittorio ist eine Art Zukunftslabor, der Prototyp interkulturellen Zusammenlebens".
Ein Ausländer unter Ausländern
Er liebt dieses Viertel, aber auch die Stadt Rom, die nunmehr seit mehr als zehn Jahren seine Wahlheimat ist: „In Rom fühle ich mich zu Hause, als Ausländer unter Ausländern. Die Gastfreundschaft ist Teil der Geschichte dieser Stadt“. Seit seiner Ankunft empfand Lakhous in Italien stets ein Gefühl der „Freiheit“, das er, wie er der Zeitschrift Left anvertraute, in Frankreich nie haben könne, weil Algerien dort noch immer als ehemalige Kolonie abgestempelt werde.
Anfang November kehrte er dann in seine Heimat Algerien zurück, als Gast einer Buchmesse in Algier. Inzwischen ist er Italien jedoch so verbunden, dass er die Messe als Vertreter des italienischen Kulturinstituts besuchte. Das von ihm vorgestellte Buch lässt den Einfluss seiner großen, typisch italienischen Leidenschaften durchblicken: Die für die „italienischen Filmkomödie ebenso wie für „Die grässliche Bescherung in der Via Merulana“, das Meisterwerk des italienischen Schriftstellers Carlo Emilio Gadda.
Sprachliche Abgrenzung
Lakhous bereichert das Italienische um zwei charakteristische Elemente der Einwandererliteratur. „Das erste ist der unverfälschte Blick und die objektive Distanz bei der Beschreibung der Realität: Ein eingewanderter Schriftsteller bemerkt Dinge, die von Einheimischen einfach übersehen oder als selbstverständlich empfunden werden.
Der zweite Vorteil ist das Experimentieren mit der Sprache: Der eingewanderte Schriftsteller setzt die Bilder, Redensarten und Ausdrucksformen seiner Heimat um und bereichert damit die Sprache des Gastlandes“. Was Lakhous an der so genannten „Einwandererliteratur“ ablehnt, ist der Stempel, den man ihr mit der Tendenz zur Autobiografie aufdrückt: „Von Immigranten wird generell erwartet, dass sie aus ihrem Leben, von ihren Erfahrungen mit der Integration und ihren Sorgen erzählen“, beklagt er.
Spitze Kritik am Westen
Natürlich soll das nicht heißen, dass der Schriftsteller seine Wurzeln als Einwanderer vergisst, ganz im Gegenteil. Vor unserem Treffen hatte er gerade die Präsentation der neuesten Caritas-Statistiken zu Einwanderungsfragen besucht. Das Dossier, das der Sozialverband Caritas jedes Jahr vorstellt, ist die Bibel der Einwanderungsexperten Italiens.
Derzeit arbeitet Lakhous als Autor an einer TV-Sendung über Immigration, die im kommenden Frühjahr ausgestrahlt wird. An der Universität Rom schreibt er gerade seine Doktorarbeit über die erste Generation muslimischer Immigranten in Italien. Er war drei Jahre als Journalist für die Nachrichtenagentur AdnKronos International tätig.
Lakhous hat alle Probleme der Einwanderung hautnah erlebt, vor allem die Diskriminierung durch das so gennante Gastland: „Die Italiener haben noch immer ein großes Problem mit der Einwanderungsfrage“, sagt er. „Dies liegt größtenteils daran, dass es ihnen noch nicht gelungen ist, die zwei Erscheinungsformen der Immigration zu verarbeiten, die ihre Geschichte charakterisieren: zum einen die Einwanderung aus dem Ausland und zum anderen die hohe Fluktuation im Süden des eigenen Landes. Ebenso schwer tut sich Italien mit der Verarbeitung der muslimischen Kultur, die Sizilien historisch wie kulturell innewohnt“.
Der Schriftsteller geht mit der jüngsten Regierung hart ins Gericht: „In der vergangenen Legislaturperiode wurde der Gegensatz Italiens zum Islam zur Chefsache erklärt. Regierunschef Silvio Berlusconi hat von der ‚Überlegenheit der westlichen Zivilisation’ gesprochen, der Senatsvorsitzende Marcello Peras ein ‚Manifest für den Westen’ verfasst und der Reformminister Roberto Calderoli hat demonstrativ ein T-Shirt mit einer der umstrittenen Mohammed-Karikaturen getragen.“
“Das schlimmste ist die Gleichgültigkeit
In Sachen Europa bleibt Lakhous skeptisch: „Viele behaupten, Einwanderung sei ein europäisches Problem. In Wirklichkeit hängt das Thema jedoch viel enger mit der Innenpolitik und den Wahlkampagnen zusammen. Es bietet sich doch geradezu an, die Unzufriedenheit der Bürger auf den Anderen zu richten, die Aufmerksamkeit der Medien umzuleiten und so andere nicht weniger ‚heiße’, aber ‚unbequemere’ Themen unter den Tisch zu kehren. Die Frage ist für jedes Land viel zu wichtig, als dass sie von den Regierungen einfach nach Brüssel abgeschoben werden könnte“.
Lakhous benutzt den Stift als Waffe. Ironisch kritisiert er den Medienrummel um den „Kampf der Kulturen“. Der erste Teil des Buchtitels bezieht sich nämlich auf die bekannten Thesen des amerikanischen Politologen Samuel Huntington vom Kampf zwischen der islamischen und westlichen Welt. Dieser „Kampf“ verberge aber, so Lakhous, noch etwas anderes „Er ist eher virtuell als real“, erklärt er. „Die Diskussion über den ‚Kampf der Kulturen’ ist inzwischen schon ein etwas abgegriffenes Thema, so als würde man über das Wetter plaudern oder auf die Regierung schimpfen. Einige reden vom Kampf der Kulturen um nicht über andere, ebenso schwerwiegende Probleme wie die Integration muslimischer Immigranten sprechen zu müssen, die wesentlich tiefgreifendere Überlegungen erfordern“.
Anstelle eines Kampfes hätte Amara Lakhous lieber das „konstruktive Missverständnis, aus dem Dialog hervorgeht. Das Schlimmste, was zwei Kulturen widerfahren kann, ist Gleichgültigkeit. Autobahnen sind langweilig, weil sie immer nur in eine Richtung führen. Straßen mit Kreuzungen hingegen sorgen für Überraschungen und lassen uns neue Wege erkunden. Nur so gelangt man zu neuen Erkenntnissen.“
Translated from Amara Lakhous, quer pasticciaccio dello scontro di civiltà