Als Vietnamese im Europawahlkampf
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In Tschechien lebt eine große vietnamesische Minderheit, bislang in einer Parallelwelt. Zu den Europawahlen sieht Nguyen Cong Hung seine Chance, das zu ändern. Er kandidiert für die frühere Klaus-Partei ODS und macht Stimmung gegen den Euro und die Brüsseler Bürokratie.
Für Nguyen Cong Hung ist das, was er gerade tut, ein symbolischer Akt. Er läuft vor einer Metrostation in Prags Innenstadt auf und ab und murmelt immer wieder die gleiche Frage: „Guten Tag, sind sie gegen die Euro-Einführung?“
Nguyen ist Student an der Prager Wirtschaftshochschule, Jahrgang 1985. Am Revers seiner schwarzen Steppjacke trägt er eine Anstecknadel: zwei überkreuzte Fahnen, die tschechische und die europäische. Nguyen meint, die vietnamesische Minderheit in Tschechien sollte sich engagieren, gesellschaftlich und politisch. Deshalb kandidiert er bei den Europawahlen, für die ODS – die konservative und euroskeptische Demokratische Bürgerpartei von Ex-Präsident Vaclav Klaus. Nguyen sammelt Unterschriften gegen den Euro.
2009 gingen in Tschechien nur 28 Prozent der Wahlberechtigten an die Urnen – so wenige wie zu keiner anderen Wahl. Die Parteien brauchen deshalb knackige Themen und ungewöhnliche Kandidaten. Der ODS, einst die dominierende Kraft rechts der Mitte, antwortet mit noch mehr Euroskeptizismus. Der Partei, die seit einem Abhör- und Korruptionsskandal in der Krise ist, sagen Meinungsforscher für die Wahl acht Prozent voraus – maximal.
Heute hat Nguyen hundert Unterschriften in nur zwei Stunden gesammelt. Dazu braucht es nicht viel. Mehr als drei Viertel der Tschechen sind gegen die Einheitswährung. Am Petitionsstand gibt es zwei Kategorien von Passanten: solche, die Nguyen ignorieren, und solche, die Nguyen ignorieren und ihre Unterschrift auf die Liste setzen.
Gartenzwerge, Flechtkörbe und Zigaretten
Dabei hat der Student mit dem freundlichen Lächeln und den an den Seiten kurz geschorenen Haaren Argumente gegen den Euro: Dieser habe höhere Verbraucherpreise gebracht, im Nachbarland Slowakei und überall. Tschechien sei nicht in der Verfassung, Schulden der südlichen Eurostaaten mitzutragen. „Der Euro würde schreckliche Folgen für die Einwohner und die Wirtschaft bringen“, sagt Nguyen.
Seine Herkunft wird an diesem Donnerstagnachmittag in der Fußgängerzone nicht zum Thema. Wenn jemand bislang fragte, was er als Vietnamese in der tschechischen Politik verloren hat, dann antwortete Nguyen: „Ich fühle mich mehr als Tscheche denn als Vietnamese.“
Geboren wurde er in Hanoi. Als er acht Jahre alt war, zogen seine Eltern an die sächsisch-tschechische Grenze, um Gartenzwerge, Flechtkörbe und Zigaretten an deutsche Touristen zu verkaufen. Wie viele Vietnamesen der zweiten Einwanderergeneration wuchs Nguyen zeitweise bei einer tschechischen „Tages-Oma“ auf, er besuchte das Gymnasium im nordböhmischen Decin. Sein Tschechisch ist perfekt.*
Offiziell zählt die vietnamesische Gemeinschaft in Tschechien 60.000 Menschen – in Wirklichkeit sind es wohl mehr. Ein Großteil der Elterngeneration sind Kleinunternehmer, die Kinder gelten als Musterschüler, viele studieren an den Wirtschaftshochschulen des Landes. Seit Dezember können sie die doppelte Staatsbürgerschaft erlangen – ein wachsendes Wählersegment für die neoliberale ODS.
Das weiß auch Jan Zahradil, Vorsitzender der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformisten und Spitzenkandidat der ODS. Er war es, der einen Kandidaten aus der Minderheit suchte und Nguyen auf Listenplatz 22 setzte. Eine Woche vor dem Urnengang nimmt er für eine Wahlkampfveranstaltung neben Ngyuen im Restaurant „Lotus“ Platz. Dieses befindet sich im Großmarkt SAPA, einer Art Little-Hanoi in einer Prager Randsiedlung.
"meine tschechischen Freunde nennen mich Petr"
Der Markt steht auf einem Privatgrundstück, lange Zeit hat sich kaum ein Tscheche durch das Eingangstor mit dem fernöstlichen geformten Ziegeldach verirrt. Hier gibt es einen buddhistischen Tempel, vietnamesische Banken, Grafikbüros, Reiseagenturen. Seit einigen Jahren locken vor allem dampfende Nudelsuppen und gefüllte Reispapierrollen neugierige Tschechen hierher. Die Minderheit öffnet sich. Und Nguyen Cong Hung möchte der lebende Beweis dafür sein.
Etwa dreißig Leute sind seiner Einladung zur Euro-Debatte gefolgt. Auf roten Stuhlpolstern liegen ODS-Wahlprogramme – auf Tschechisch und Vietnamesisch. Der EU-Kandidat stellt sich vor: „Mein Name ist Nguyen Cong Hung, meine tschechischen Freunde nennen mich Petr.“
Dann ergreift Zahradil das Wort. Er lobt die vietnamesischen Tugenden, den Fleiß, Zusammenhalt und den Integrationswillen der jungen Generation. Beifall. Nguyen sagt das, was er in den letzten Wochen schon so oft gesagt hat, in Kameras und Mikrofone: „Ich möchte zeigen, dass wir Vietnamesen ein integraler Bestandteil der Gesellschaft sind.“ Beifall.
Ein junger Vietnamese mit schwarzer Hornbrille steht auf. Frage an Zahradil: Man habe sich mit dem EU-Beitritt zur Einführung des Euro verpflichtet. „Ist das, was Sie fordern, nicht Vertragsbruch?“ Zahradil sieht das anders, die Bedingungen hätten sich seit 2004 gänzlich geändert. Mit der Petition wolle man die Regierung dazu bringen, eine dauerhafte Ausnahmeregelung auszuhandeln – wie in Großbritannien.
Einwanderer gut bilden
Glaubt man den Umfragen, dann werden europafreundliche Kräfte wie die regierenden Sozialdemokraten und die Ano-Partei von Milliardär Andrej Babis die Europawahl gewinnen. Rechtspopulisten à la Wilders und Le Penn spielen in Tschechien keine große Rolle. Auch wenn die Partei „Morgendämmerung“ (Usvit) des Tschecho-Japaners Tomio Okamura die Prager U-Bahnen mit Plakaten vollgekleistert hat, die von der Schweizer SVP abgekupfert sind. Ein schwarzes Schaf wird darauf von der tschechischen Trikolore verwiesen. „Arbeit für uns, nicht für Einwanderer“, steht dort.
Auch die ODS warnt in ihrem Programm vor einer angeblich in Brüssel geschmiedeten Einwanderer-Quotenregelung, vor Immigrationswellen und der Entstehung von Ghettos. Nguyen stößt das nicht übel auf. Er findet: Die Souveränität der Nationalstaaten sollte gewahrt bleiben und Einwanderer gut gebildet und integrationswillig sein – so wie er.
Von Martin Nejezchleba